Statt "mehr Demokratie wagen" abhören und abzocken

Ein Kommentar von Willy Wimmer

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Es ist nicht von der Hand zu weisen. Mancher Fernsehsender ist sein Geld wert. Da bezahlt man gerne seine Abbuchungen im öffentlichen Interesse, wenn man sich die "Anstalt" ansehen kann. Sie ist ein getreues Abbild unseres Staates: man kann sich der Wirklichkeit nur über die Satire nähern, Real-Satire eben. Wer die letzte Ausgabe der "Anstalt" am 28. Oktober 2014 gesehen hat, der weiß, was uns blüht. Nur noch die immer älter werdende Generation kennt noch das Deutschland, das vom Aufbruch eines Willy Brandt bestimmt gewesen ist. "Mehr Demokratie wagen" war das Signal, aus der Verkrustung aufzubrechen und ihr zu entfliehen. Heute ist eines gewiss: soviel Verkrustung wie jetzt und Bürgerferne war nie zuvor.

Am Tag nach der "Anstalt" konnte jeder in den Staats-Medien wieder den erhobenen Zeigefinger an die Adresse diesmal der Studenten nachlesen. "Politikferne" sei noch nie so groß, wie es für die jetzige Generation gesagt werden müsse. Es gibt Umfrageeinrichtungen zur Genüge, die aus der Bedarfslage versuchen, aktuelle Politik zu machen. Was ist aber, wenn die Studenten dieses Landes versuchen, sich nicht dem gedankenlosen Mainstream der Plapperer anzuschließen sondern die innerstaatliche Immigration vorzuziehen. Die Erinnerung ist noch frisch an jene Zeiten, als die jungen Leute sich der Partnerschaft oder der Eheschließung verweigerten, weil sie nur ein Praktikum nach dem anderen vor Augen hatten. Diese Land und seine Führung sind groß darin, die Schuld für alles nur beim Bürger zu sehen. Haben die Studenten nicht Recht? Was soll denn ablaufen in einer Republik, bei der jeder davon ausgehen muss, abgehört und ausgespäht zu werden. Die "Anstalt" mit einem ungeheuren Glaubwürdigkeitsfaktor im Land hat deutlich gemacht, wie rabulistisch die wohlfeilen Erklärungen der Verantwortlichen für die Ausspähaktionen sind.

Willy Wimmer

Es war aber die spannende Bandbreite, die einen vor dem Bildschirm gehalten hat. Landauf-landab wird darüber geklagt, was in diesem Land schadhaft ist. Von den maroden Straßen bis hin zu der ungeheuren Last auf den Schultern der "kleinen Leute". Die wenigen Minuten, die dem glänzend aufgelegten Team der "Anstalt" zur Verfügung standen, reichten für eines völlig aus. Jetzt versteht das Land, warum es die "Europäische Union" eigentlich in der heutigen Verfassung gibt. Globalkonzerne haben hier die "Lizenz zum plündern". Unverfrorener geht es wohl nicht, "die fliegenden Steuer- und Unternehmensmodelle" in der "Europäischen Union" so einzusetzen, dass einerseits glänzende Gewinne eingefahren werden, andererseits im Vergleich zu innerstaatlichen Unternehmen mit gleicher Geschäftstätigkeit in einem "Steuerparadies Europa" leben zu können. "Tributpflichtige Vasallen" nannte man das früher, wenn man sich die stolze Riege derer ansieht, die hier die Fischzüge machen, um unsere Unternehmen den Garaus zu machen. Es gibt wunderbare Finanzmodelle, die den Finanzvorteil der Niederlande wegen der Funktion des Hafens Rotterdam für das Ruhrgebiet bis hin nach Basel klassifizieren. Es lohnt sich schon da. Aber manche bekommen den Hals nicht voll oder haben nichts anderes anzubieten.

Die staatlich gelenkte Hilflosigkeit den Problemen gegenüber wird uns allerdings auf einem anderen Sektor einen "heißen Winter" bescheren. Das Kölner Wochenende hat uns einen Vorgeschmack dafür gegeben, was bei uns los sein wird, wenn die Bundesregierung ihren über Jahrzehnte in Deutschland praktizierten Weg verlässt und irgendwo Kumpanei mit rechten Kräften betreibt oder diese Kräfte einfach hinnimmt. Viele in Deutschland und anderswo haben es für überzogen gehalten, wie die Regierung des Bundeskanzlers Gerhard Schröder mit der österreichischen Regierung umsprang, als Wien es wagte, Jörg Haiders FPÖ an der Macht zu beteiligen.

Die ganze EU stand Kopf und Wien war temporär geächtet. Haider war das eine, aber das, was sich in der Ukraine abspielte beim Putsch gegen eine frei gewählte Regierung war, etwas ganz anderes. Wo war der Aufschrei Europas und anderer, als sich der rechtsextreme Mob auch noch in der ukrainischen Nationalgarde breitmachen konnte? Ignorieren, wegschauen, kleinreden, das war die Maxime. Die öffentlich-rechtlichen Verharmloser und die Staats-Presse machten gehorsam mit. Was lehrt uns das eigentlich? Eine rechtsextreme Gefahr gibt es nur dann, wenn man in Deutschland eine tapfere Polizei und eine großartige Stadt oder gleich das ganze Land in eine Ecke stellen kann, die historisch niemand zu begründen braucht. Die Reflexe der Sicherheitsbehörden scheinen auch nicht neu zu sein. Sofort erschallt der Ruf nach Personalverstärkungen, statt mit dem bisher vorhandenen Personal rechtzeitig die Vorkehrungen getroffen zu haben, die "Abwehr" zur Folge haben.

Die schiefe Bahn, auf der sich unser Land und die Europäische Union befinden, ist nicht zu übersehen. Viele sind aus den unterschiedlichsten Gründen gleichgültig, was das Schicksal Deutschlands anbelangt. Die "Anstalt" ist Gegenwehr dem Verstande nach auf sehr hohem Niveau, d. h. für jedermann verständlich.

Willy Wimmer ist CDU-Politiker. Er war zwischen den Jahren 1985 und 1992 verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU und Staatssekretär im Bundesministerium für Verteidigung. Wimmer war Stellvertretender Leiter der Delegation des Deutschen Bundestages bei der Parlamentarischen Versammlung der OSZE und von 1994 bis 2000 Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE.

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