Ukraine: Kämpfe um Regierungsbildung

Die rechtsextreme Swoboda sieht Wahlbetrug zugunsten von Russland und den Oligarchen, Poroschenko und Jazenjuk wollen zur gegenseitigen Kontrolle umfassende Koalition

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Die rechtsextreme Swoboda-Partei, mit Udar von Vitali Klitschko und der Vaterlandspartei von Julia Timoschenko nach der Maidan-Revolte Mitglied der Regierung, hat bei den Wahlen den Einzug in die Rada nicht mehr geschafft. Die ebenfalls rechtsnationalistische Radikale Partei und die nationalistische Volksfront von Regierungschef Jazenjuk waren wohl etwas weniger extreme Alternativen. Das passt Swoboda aber nicht, sie sieht, wie sollte es anders sein, die lange Hand Russlands hinter dem Wahlergebnis.

Swoboda sieht sich wie etwa der Rechte Sektor als direkten und unkorrumpierten Vertreter der Maidan-Bewegung, die deren reine Ziele vertreten. Weil die Umfrage nach der Stimmabgabe, bei der Swoboda noch gerade über die 5-Prozent-Hürde zu kommen schien, von der Auszählung der Wahlstimmen abweicht, hier erzielt Swoboda 4,7 Prozent, vermuten Parteianhänger und Kandidaten Wahlbetrug und haben vor der Zentralen Wahlbehörde protestiert.

Swoboda-Chef Oleg Tyagnibok bei dem Protest vor der Wahlbehörde. Bild: Swoboda

Swoboda-Sprecher Yuriy Syrotiuk kündigte schon mal weitere Demonstrationen und Klagen vor Gericht an. Man werde alles "friedlich nach europäischer Art" machen, aber "nach der Revolution der Würde ist es nicht akzeptabel, Stimmen der Bürger zu stehlen". Swoboda will selbst ausgerechnet haben, dass die Partei 5,26 Prozent kommen müsste. Für den vermeintlichen Wahlbetrug machen die schlechten Verlierer die Minsker-Vereinbarungen und die westlichen Partner der Ukraine aus: "Niemand will Swoboda im Parlament sehen", womit Swoboda-Kandidat Ihor Miroshnichenko durchaus Recht hat. Aber die Fäden hätten "Putin und seine Agenten" gezogen - zugunsten Russlands, aber auch der Oligarchen.

Auffällig sei, dass der russische Präsident erst einmal angeblich die Wahlen nicht anerkennen wollte, aber dies dann doch gemacht habe, als mit Swoboda die Nationalisten außen vor blieben. Für Moskau sei es besser, mit den "Liberalen" verhandeln zu können. Verdächtig sei auch gewesen, dass die Wahlbehörde von so vielen Sicherheitskräften umstellt worden sei. Das sei wie in der Zeit von Janukowitsch gewesen. Ähnlich wie der Rechte Sektor wird allerdings auch betont, dass Swoboda, die über keine mächtige Lobby verfügt, nicht besiegt sei, auch wenn der Zugang zum Parlament verhindert wird. Eine Revolution könne das Land nicht plötzlich ändern, es gehe langsam: "Deshalb ist unser Kampf nicht vorbei." Man werde auch weiter für den Nationalismus im Sinne von Bandera kämpfen. Auch Swoboda-Chef Oleg Tyagnibok sprach von "schmutzigen Tricks" und davon, dass man nachdem Sturz von Janukowitsch im Interesse der Ukraine geschwiegen und nachgegeben habe. Man habe es aber geschafft, "die Flamme der Revolution zu entzünden", sie müsse nun weiter aufflammen.

Obwohl die Volksfront von Jazenjuk mit 22,17 Prozent knapp mehr Stimmen als der Block Poroschenko mit 21,82 Prozent erhalten hat, wird Poroschenkos Partei durch mehr Direktkandidaten die größere Fraktion in der Rada stellen. Dass Regierungschef Jazenjuk kurz vor der Wahl noch eine eigene Partei gegründet und sich nicht der Partei von Poroschenko angeschlossen hat, zeigt, dass es zwischen den beiden starken Männern erhebliche Differenzen gibt. Es soll Verhandlungen gegeben haben, die aber zu keiner Einigung führten. Das war auch schon so zwischen den Führungsfiguren nach der Orangen Revolution. Während Poroschenko seit seinem Amtsantritt etwa auf eine Verhandlungslösung mit den Separatisten und Russland setzte, favorisierte Jazenjuk die stärkere Konfrontation und eine militärische Lösung, auch den Nato-Beitritt. Beide sind für die Öffnung zum Westen und einen schnellen Beitritt zur EU, aber auch hier ist Jazenjuk radikaler und dringt vor allem auf schnellere wirtschaftlichen Reformen und Privatisierungen und eine schärfere Bekämpfung der Korruption sowie eine umfassende Säuberung der Behörden von mutmaßlichen Janukowitsch-Anhängern.

Poroschenko und Jazenjuk im Machtclinch. Bild: Block Poroschenko

Poroschenko hatte sicherlich mit einem größeren Erfolg gerechnet und hätte auch gerne einen neuen Regierungschef aus seiner eigenen Partei eingesetzt. Gemunkelt wird, er hätte den Vizeregierungschef für Regionalpolitik, Volodymyr Groysman, vorgezogen. Nach dem überraschenden Erfolg von Jazenjuk wird aber kein Weg daran vorbeigehen, dass Jazenjuk weiter Regierungschef bleiben wird und Poroschenko schon von Beginn an zu einer "lame duck" wird.

Allerdings bestünde die theoretische Möglichkeit, dass Poroschenko versuchen könnte, eine Koalition ohne die Volksfront zu bilden. Nicht umsonst bemüht sich Jazenjuk derzeit darum, strategisch eine Verbindung zum Block Poroschenko zu bilden, sondern auch alle anderen "proeuropäische" Parteien, abgesehen vom Oppositionsblock, in Koalitionsverhandlungen einzubeziehen, also vor allem die christlich-libertäre Samopomich-Partei und die Vaterlandspartei, aber auch die rechte Radikale Partei, in allen gibt es im Übrigen wie in der Volksfront rechtsnationalistische Lager. Heute wird es ein Treffen aller dieser Parteien geben.

Angestrebt werden soll eine umfassende "Europäische Fraktion", die eine verantwortungsvolle Regierung bilden und das Assoziierungsabkommen umsetzen soll. Daneben wird eine Art Regierungsprogramm von der Volksfront vorgelegt, das beschlossen werden soll, u.a. Wiederherstellung der territorialen Integrität, Bindung an die Nato, Deregulierung, Energieunabhängigkeit, Dezentralisierung etc.

Am Mittwoch hatte bereits der Block Poroschenko einen sehr detaillierten Koalitionsvertrag vorgestellt. Auch Poroschenko will eine umfassende Koalition, wohl auch, um die Macht der Volksfront zu begrenzen. Ein "konstruktives" Gespräch zwischen Poroschenko und Timoschenko hat bereits stattgefunden. Samopomich fordert, dass ein Koalitionsvertrag gleichberechtigt zustande kommen müsse und dieser die Freiheit der Abgeordneten nicht einschränken dürfe.

Neben der Regierungsbildung und Koalitionsverhandlungen stehen aber erst einmal die Wahlen in den abtrünnigen "Volksrepubliken" statt, die von der Ukraine und ihren Verbündeten nicht anerkannt werden, während Russland auch diese anerkennen will, obgleich sie den Minsker Vereinbarungen widersprechen. Dazu kommt, dass sich der weiter schwelende Konflikt, der immer wieder Todesopfer fordert, wieder zuspitzt.

Kiew hat klar gemacht, dass es keine Vereinbarung über Pufferzonen gibt, wie sie von den Minsker Vereinbarungen gefordert wird. Die Separatisten wollen die von ihnen kontrollierten Grenzabschnitte zu Russland nicht der Ukraine übergeben, sondern sie höchsten international beobachten lassen. Zudem werden der in Minsk verabredete Sonderstatus und lokale Wahlen im Dezember abgelehnt, man will eigene Wahlen durchführen und unabhängig werden. Und die Separatisten wollen die umkämpfte Hafenstadt Mariupol in ihr Gebiet übernehmen. Wenn dies nicht durch Verhandlungen geschehe, droht man mit Gewalt.