Randgruppen-Kampagnen gegen Randgruppen

Hooligans gegen Salafisten, Salafisten gegen Säufer, Rocker gegen "Kinderschänder"...

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Hooligans gegen Salafisten? Ein Plagiat. Und zugleich Teil eines Megatrends: Umstrittene Bevölkerungsteile trachten danach, sich aufzuwerten, indem sie andere umstrittene Bevölkerungsteile attackieren.

Polizisten, Journalisten, Bahnreisende, Spaziergänger, Anwohner, Kirchgänger, linke Gegendemonstranten, Kaffeetrinkengeher, gebrechliche Seniorinnen: Eigentlich gab es während der Kölner Hogesa-Krawalle nur eine Bevölkerungsgruppe, die von den Attacken der Hooligans und ihrer ultrarechten Kameraden wirklich verschont blieb. Und das waren ausgerechnet jene, gegen die Randale sich vorgeblich richtete. Die Salafisten also.

Ein nicht intendierter Nebeneffekt: Deutschlands informeller Ober-Salafist Pierre Vogel inszeniert sich seit Köln als "Friedensaktivist", dessen Kundgebungen durch Friedlich- und Sauberkeit glänzen.

Hooligans gegen Salafisten? 0:1. Doch das, so steht zu befürchten, ist nur ein Zwischenstand.

Und doch: Der Claim "Hooligans gegen Salafisten" war mit Bedacht gewählt. Offensichtlich erhofft die Randgruppe vor dem "Gegen" sich Publicity und Aufwertung, wenn sie wider die Randgruppe nach dem "Gegen" vorzugehen vorgibt. Beim Modell "PKK gegen Salafisten" hat das ja auch funktioniert. Längst erscheint das Verbot der Kurdischen Arbeiter- und Bauernpartei vielen anachronistisch, ist die Verwicklung von PKK-Funktionären in Anschläge und Drogenhandel Schnee von vorgestern. Die PKK ist Teil jener Kräfte, die dem IS in Kobane Widerstand entgegen setzt, mithin das kleinere Übel.

Salafisten gegen Säufer

Aber die Welle, auf der die "Hooligans gegen Salafisten" unbewusst surften, sie ist noch größer. So bekam die Wuppertaler Sharia Police (inoffizielles Motto: "Salafisten gegen Säufer, Zocker, Drogis") zwar kaum Anerkennung des Mainstreams, aber ihre 15 Minuten des Ruhms waren ihr mehr als einmal sicher. Und die Publicity dürfte der rechtgläubigen und schnell wachsenden Szene noch mehr Zulauf verschafft haben.

"Nationalisten gegen Kinderschänder", dieser Spruch geisterte erstmals Ende der 1990er-Jahre durch die Unweiten des Datennetzes. Klar, Sexualstraftaten gegen die Kleinen und Sexualstraftäter findet keiner gut, Nazis finden entsprechend gelegentlichen Anklang, wenn beispielsweise irgendwo vor Ort einem einschlägig Vorbestraften das Aufenthaltsrecht streitig gemacht wird.

Volkes Zorn füllt braune Segel, zumindest temporär. "Seht her, schlimm sind nicht wir Nazis, schlimm sind die, die sich an Kindern vergreifen und der Staat, der Euch nicht schützt vor denen." Die NPD-nahe Facebook-Gruppe "Deutschland gegen Kindesmissbrauch" startete mit ihrer Kampagne "1.000.000 Stimmen gegen Kinderschänder" einen echten Dauerbrenner. 3,1 Millionen Facebook-Nutzer wurden eingeladen, 733.000 klickten "Gefällt mir!".

Das sind gewiss nicht nur Fake-Profile und die üblichen Unverbesserlichen. Blöd nur, wenn zwischendurch mal wieder ein Nazi als ein mutmaßlicher Teil der eigenen Hass-Zielgruppe geoutet wird. Wie der langjährige Kader der NPD und des "Thüringer Heimatschutzes" Tino Brandt, der im Juni wegen des Verdachts auf Kindesmissbrauch in Untersuchungshaft landete. "Nazis für Todesstrafe gegen kinderschändende Nazis"? Eher unwahrscheinlich...

Vereinslogo von B.A.C.A.

B.A.C.A. und BACAA gegen "Kinderschänder"

Jeder braucht jemanden, auf den er herab zeigen kann, um sich selbst zu erhöhen, je weiter unten er selbst steht, desto dringender: Das hatte irgendwann auch ein weiterer nicht mainstreamiger Teil der Gesellschaft verstanden, nämlich die Rocker-Szene. "Gegen Kinderschänder gehen immer", scheint man sich dort zu sagen.

Mindestens zwei Rocker-Initiativen machen in Deutschland gegen vermeintliche oder tatsächliche Sexualstraftäter mobil. Die "Bikers Against Childabuse" (B.A.C.A.), die im Mai 2013 die Gründung ihres deutschen Ablegers feierten, verfügen sogar über einen eingetragenen Verein.

"Wir stehen bereit, Kinder vor weiterem Missbrauch zu beschützen", heißt es in einem Selbstdarstellungstext von B.A.C.A. Germany e.V. "Die Anwendung von Gewalt jeglicher Art und Weise lehnen wir ab. Wenn es jedoch die Umstände ergeben, dass wir als einziges Hindernis zwischen dem Kind und weiterem Missbrauch stehen, dann sind wir dieses Hindernis."

Das Vereinslogo indes ist eine dem Betrachter entgegen fliegende Faust. Stell Dir vor, 40 Rocker fahren auf vagen Verdacht kollektiv in der Nachbarschaft eines vermeintlichen Sexualstrafttäters vor - und sagen, sie lehnten Gewalt ab...

Die Badges des Vereins sind beliebt in der Szene. Müßig zu erwähnen, dass es auch unter Rockern Kinderschänder geben soll. Dass je ein Rocker einen kinderschändenden Rocker attackierte, ist allerdings nicht überliefert.

Natürlich gibt es auch immer wieder die Kämpfe "Rocker gegen Rocker", zum Beispiel "Hells Angels" gegen "Bandidos" und mitunter sogar durch Rockerhand getötete Rocker anderer Kutten-Beschriftung - doch all das schafft gewiss nicht so gute PR, wie es der Einsatz gegen "Kinderschänder" potenziell kann. Wer jubelt schon einem Bandido zu, der einen Hells Angel meuchelt? Jeder ahnt: Da geht es bestenfalls um die Claims im Rotlicht-Milieu und Drogen-Schwarzmarkt. Und schlimmstenfalls um Männerehre.

Dann doch lieber "gegen Kinderschänder"! Die Konkurrenzsituation der "Bikers Against Childabuse" mit den ebenfalls in Deutschland für sich werbenden "Biker Against Childporn And Abuse" hat bisher allerdings noch nicht zu blutigen Fehden geführt. Hier scheint eher ein Neben- denn ein Gegeneinander gegeben zu sein. Rocker gegen Kindesmissbrauch und gegen andere Rocker, die gegen Kindesmissbrauch vorgehen - das wäre auch wohl kaum vermittelbar.