Vertrauliche Gespräche deutscher Unternehmer in Moskau

Eine hochrangige Delegation deutscher Unternehmer sprach in Moskau mit Regierungsmitgliedern über Geschäftsbeziehungen unter Sanktionsbedingungen

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Das Treffen von 20 Vertretern deutscher Unternehmen mit dem russischen Vizepremier Igor Schuwalow und Außenminister Sergej Lawrow fand am Mittwoch in Moskau hinter verschlossenen Türen statt, berichtete der Moskauer Kommersant. Bei den Gesprächen ging es um "den Erhalt der Geschäftsbeziehungen unter den Bedingungen der Sanktionen", berichtete das Blatt unter Berufung auf einen namentlich nicht genannten Informanten aus dem Kreis der deutschen Delegation.

Vom Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft, der das Treffen organisierte, gab es keine offizielle Pressemitteilung. Aus der Pressestelle des Ost-Ausschusses hieß es, es habe ein Mittagessen mit dem russischen Außenminister und Treffen mit russischen Unternehmern gegeben. Das vom Kommersant erwähnte Treffen mit Vizepremier Schuwalow wurde nicht erwähnt. Der Vorsitzende des Ost-Ausschusses, Eckhard Cordes, erklärte gegenüber Telepolis:

Hauptziel der Treffen in Moskau war es, gemeinsam mit den russischen Unternehmerkollegen die wirtschaftliche Lage in Russland und die Auswirkungen der Sanktionen zu analysieren und über die zukünftigen deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen zu sprechen. Wir hatten dazu einen sehr offenen Austausch, den wir im Frühjahr 2015 mit einem Treffen in Deutschland fortsetzen werden.

Eckhard Cordes

Zu der deutschen Unternehmerdelegation gehörten der Aufsichtsratsvorsitzende der Wintershall-Holding Rainer Seele, der Metro-Vorstandschef Olaf Koch, der Leiter der Abteilung Politik und Außenbeziehungen der Daimler AG, Eckart von Klaeden, sowie Manager in Russland tätiger deutscher Unternehmen wie der Chef der Siemens AG, Dietrich Möller.

Das eintägige Treffen am Mittwoch war vorher nicht angekündigt worden. Der Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft gab keine Pressemitteilung zu dem Treffen heraus. Das russische Außenministerium teilte lediglich mit, es habe einen "sachlichen Meinungsaustausch" über die Perspektiven im Handel und bei den Investitionen gegeben. Der russische Außenminister habe bei dem Treffen "die russische Bewertung der Situation in der Ukraine" dargelegt.

Anhaltende Kritik deutscher Unternehmer an den Sanktionen

Auch wenn der Ost-Ausschuss das Treffen klein zu hängen versucht, ist allein die Tatsache, dass hochrangige deutsche Unternehmer trotz der westlichen Sanktionen zu Gesprächen mit Regierungsvertretern und russischen Unternehmern nach Moskau reisten, ein Politikum und ein Hinweis darauf, dass es in der deutschen Elite beim Thema Russlandpolitik heftig knirscht. Das hat vor allem wirtschaftliche Gründe. Die deutschen Unternehmen, die mit Russland seit Jahren gute Geschäfte machen, sind durch die Sanktionen hart getroffen.

  • Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes ging der deutsche Export nach Russland von Januar bis August um 16,6 Prozent zurück.
  • Von Januar bis August sank der Export von Fahrzeugen nach Russland um 27,3 Prozent und der Export von Maschinen um 17,2 Prozent.
  • Das Handelsvolumen zwischen Deutschland und Russland erreichte 2012 mit 80,5 Milliarden Euro einen Rekord, ging dann aber 2013 um fünf Prozent zurück.

. Seitdem im Jahr 2000 Wladimir Putin das erste Mal Präsident Russlands wurde, hat der Handel zwischen Russland und Deutschland ungeahnte Höhen erreicht. Heute sind 6.000 deutsche Unternehmen in Russland aktiv. Im Energiebereich sowie in der Auto- und Maschinenproduktion sind deutsche Unternehmen zudem mit Direktinvestitionen in Russland aktiv.

Wie jedoch das Beispiel VW Kaluga zeigt, müssen sich die deutschen Manager in ihren russischen Produktionsbetrieben auf eine neue, krisenhafte Lage einstellen. Das 2007 eröffnete Volkswagen-Werk in Kaluga (Russischer Gouverneur folgt dem chinesischen Vorbild) verkündete im September wegen der Rubel-Schwäche und Absatzproblemen eine zehntägige Produktionspause. In dem Kaluga-Werk produzieren mehrere Tausend Arbeiter Autos vom Typ Tiguan, Polo Sedan und Octavia.

Über Einschränkungen bei anderen deutschen Direktinvestitionen ist bisher nichts bekannt.

  1. Seit 2007 besitzt der E.On-Konzern ein Kontroll-Paket in dem großen russischen Energie-Unternehmen E.On Russia.
  2. Zwischen Gazprom und Wintershall ist bis zum Ende des Jahres ein Aktientausch geplant. Gazprom soll 100 Prozent des Gas-Unternehmens Wingas erhalten. Wintershall soll im Gegenzug zu 25,01 Prozent an der Ausbeutung eines nahe der nordrussischen Stadt Urengoi gelegenen Gasfeldes beteiligt werden.
  3. Im Bereich Maschinenbau ist Siemens der größte deutsche Investor in Russland. Zusammen mit dem russischen Unternehmen Sinara baut Siemens den Eisenbahnzug Lastotschka (Schwalbe), Turbinen für Wärmekraftwerke und Transformatoren. Außerdem will Siemens sich am Bau von U-Bahn-Wagen beteiligen.

"Politische Probleme politisch lösen"

Bis zum Jahresende erwartet der Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft einen Exporteinbruch von 25 Prozent. Das werde in Deutschland 50.000 Arbeitsplätze gefährden, erklärte der Vorsitzende des Ost-Ausschusses.

Die Wirtschaftssanktionen der Europäischen Union und die protektionistischen Gegenreaktionen Russlands stellten deutsche Unternehmen "aktuell vor erhebliche Herausforderungen im täglichen Geschäft", heißt es in einer Mitteilung des Ausschusses. Wettbewerber aus anderen Ländern "nutzten den Vertrauensverlust bei russischen Abnehmern hinsichtlich der Liefertreue deutscher Unternehmen." Bereits im September warnte Ausschuss-Sprecher Cordes in einem Interview mit der FAS, "die Wirtschaftssanktionen haben bis jetzt keinen sichtbaren Fortschritt gebracht. Politische Probleme müssen politisch gelöst werden."

Proteste im Gesundheitsbereich

Der russischen Regierung kam die Unternehmer-Delegation aus Deutschland vermutlich gelegen. Denn die aufziehende Krisen-Stimmung im Land, die vor allem durch den Rekord-Kursverlust des Rubel gegenüber dem Dollar (seit Jahresbeginn minus 25 Prozent) ausgelöst wurde, verängstigt Verbraucher und Investoren. Der Ölpreis ist auf 85 Dollar gesunken und liegt damit unter der Marke von 90 Dollar, die Russland für einen ausgeglichenen Haushalt braucht. Das Wirtschaftswachstum lag im letzten Jahr bei nur noch 1,3 Prozent. Russland muss deshalb jetzt auf seine Finanzreserven zurückgreifen, die bei einer lang anhaltenden Krise zu Ende gehen können.

Trotz der zunehmenden Belastungen für die Bevölkerung ziehen die marktradikalen Ideologen in der russischen Regierung weiter ihre "Effektivierungsprogramme" im Bildungs- und Gesundheitsbereich durch. In Moskau sollen 18 Krankenhäuser geschlossen bzw. mit anderen Krankenhäusern zusammengelegt werden. Gegen diese Pläne demonstrierten am 2. November in Moskau 6.000 Menschen, vor allem Mitarbeiter von Krankenhäusern und Polikliniken aber auch Mitglieder linker Organisationen.