Arme: Wachsende Isolation und sozialer Ausschluss

Bild: Telepolis

Der Situationsbericht des Secours catholique über Verhältnisse jenseits der Grenzen des Sozialstaats in Frankreich

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Die europäische Statistikbehörde Eurostat hatte am Dienstag das große Bild aufgezogen. Demnach sind nach Zahlen aus dem Jahr 2013 etwa ein Viertel der EU-Bevölkerung, 24,5 Prozent, in absoluten Zahlen 122,6 Millionen dem "Armuts-Risiko oder dem Risiko des sozialen Ausschlusses" ausgesetzt. Aus Großbritannien wurde gestern gemeldet, dass vorliegende Armutszahlen nach oben korrigiert werden müssten. Laut eines Studie sind es immerhin 300.000, die neu zu den Armen gerechnet werden müssten. In Frankreich liefert eine kirchliche Organisation nun einen detaillierteren Ausschnitt aus dem großen Bild.

Die Verarmung beschleunige sich. Zu beobachten sei, dass die Armen immer ärmer werden, aber auch immer weniger sichtbar für die Öffentlichkeit. In seiner Organisation treffe man häufiger auf Personen, die auf einem Niveau leben, dass immer brüchiger werde, so bringt der Generalsekretär des Secours catholique, der französischen Caritas, die Situation auf die wesentlichen Kernbeobachtungen.

Dem zugrunde liegt ein ausführlicher Lagebericht über die Betreuung und die Hilfe von Personen, die zum großen Teil, in 76 Prozent der Fälle, von Sozialämtern zur Caritas geschickt wurden. Dabei zeigen sich ein paar Eigentümlichkeiten, wie sie auch im eingangs genannten Bericht aus Großbritannien auftauchen, wie zum Beispiel, dass auffällt, wie sehr steigende Energie- und Lebensmittelpreise besonders die Ärmeren belasten, dass sich Altersarmut zu einem Problem auswächst sowie die Auffälligkeit des Anteils von Alleinerziehenden unter den Armen.

Insgesamt waren es 1,5 Millionen, die 2013 Hilfe von Secours catholique erhielten. Insgesamt zählt man in Frankreich 8,5 Millionen, die aufgrund ihrer finanziellen Situation, zu den Armen gerechnet werden. Gegenüber dem Vorjahr hat sich die Zahl um 50.000 gesteigert.

Das mag in Zeiten, in denen einem täglich spektakuläre Zahlen vor die Augen kommen, keine eklatante Größe sein, aber, was den Bericht interessant macht, sind weniger die "Wachstumsraten" als die Phänomene, die dort angesprochen werden. Dazu gehört etwa die Beobachtung, dass sich die Armut verankert hat - auf ziemlich niedrigem Niveau: Als durchschnittlich monatlich verfügbare Summe der Hilfesuchenden gibt die französische Caritas 515 Euro ("pro Konsumeinheit") im Monat an. Zum Vergleich stellt man als Durchschnittsverdienst der Bevölkerung den Wert von 1.843 Euro entgegen.

"Aufnahme menschlichen Kontakts"

Im weiteren gehört zu den interessanten Aspekten der Hinweis darauf, wie sehr die Situation der Ärmeren der öffentlichen Wahrnehmung entzogen ist, die sich an der üblichen Berichterstattung orientiert, die oft mit einer "Wirtschaftsvernunft" paktiert, die in Sozialleistungen vor allem Kosten und rechnerische Größen sieht.

Entsprechend verweist der Jahresbericht der Organisation nicht nur auf fehlende materielle Unterstützung der Hilfsbedürftigen, sondern betont, dass erste wichtige Schritte zur Verbesserung ihrer Situation damit anfangen, ihnen genau zuzuhören. Die sei umso dringlicher als eine Begleiterscheinung der Verarmung selten adressiert werden, nämlich der soziale Ausschluss und die Isolation, in die materiell schlecht Gestellten geraten, was den Ausstieg aus der Misère weiter erschwere, zum Beispiel bei der Arbeitssuche. Mit der "Aufnahme menschlichen Kontakts" würden sich eine Menge Problem lösen lassen, heißt es dazu im Bericht.

Dass Verarmung nicht nur Arbeitslose trifft, darauf verweist man wieder mit Zahlen: Ein Drittel der Hilfesuchenden war nicht arbeitslos - woraus die generelle Beobachtung abgeleitet wird, dass "Arbeiten weniger als früher vor prekären Verhältnissen schützt".

Angesichts steigender Energiepreise, die der Bericht besonders hervorhebt, sind die durchschnittlich 17 Euro, welchen den Hilfesuchenden pro "Konsumeinheit" laut Caritas-Bericht 2013 täglich zur Verfügung standen, sehr dürftig. Die Organisation rechnet dazu vor, dass die Lebenshaltungskosten in den letzten vierzehn Jahren für die Ärmeren prozentual mehr gestiegen sind (plus 28,05 %) als für die Bessergestellten (plus 23,71%).

Das staatliche Sozialsystem habe bei den Schwächsten seine Grenzen erreicht, laut ein Fazit des Situationsberichtes. Geht es nach dem - statistisch nicht repräsentativen - Ausschnitt aus der Gesellschaft, die sich an die französische Caritas wendet, so zählen alleinstehende Männer ab 50 seit einigen Jahren öfter dazu als früher, was mit der steigenden Arbeitslosigkeit der Über-50-Jährigen erklärt wird. Der Anteil der hilfesuchenden Männer über 50 habe sich allein im vergangenen Jahr um 11 Prozent erhöht. Den größten Anteil der Hilfsbedürftigen stellen nach wie vor die Alleinerziehenden mit 30 Prozent derjenigen, die um caritative Hilfe ersuchen.