Kollisionen verhindern?

Andrea Nahles im Clinch mit Lokführern - und die Vorfreude der Arbeitgeber

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Das Unternehmen Deutsche Bahn will nun die Lokführergewerkschaft juristisch zähmen, per gerichtlicher einstweiliger Verfügung soll deren Streik beendet werden. Nicht nur die BILDzeitung hat für einen scharfen Kurs gegen die GDL Stimmung gemacht, auch der CSU-Bundesverkehrsminister und sein sozialdemokratischer Kollege im Wirtschaftsressort verurteilen den Streik bei der Bahn als "Missbrauch des Streikrechts".

Der DGB-Vorsitzende pflichtet dem bei, etwas vorsichtiger in der Formulierung: Das Mittel gewerkschaftlich organisierter Arbeitsverweigerung dürfe nur "verantwortungsbewusst" eingesetzt werden. Damit dies in Zukunft garantiert ist, hat die sozialdemokratische Bundesarbeitsministerin einen Gesetzesentwurf vorbereitet, den das Kabinett Merkel Anfang Dezember beraten soll, er trägt das Etikett "Tarifeinheit".

Wird demnächst alles gut für Bahnreisende wie auch für die Beschäftigten bei der Bahn AG? Bekommt die "Sozialpartnerschaft" insgesamt ein noch festeres Fundament? Muss dann niemand mehr befürchten, durch den "Übermut" des Vorsitzenden einer kleinen Gewerkschaft werde "dem Wirtschaftsstandort Deutschland", der doch aus dem äußerst zurückhaltenden Gebrauch des Streikrechts so großen Nutzen ziehe, schlimmster Schaden zugefügt? (dazu Alexander Dill: "Dumm", "verantwortungslos", "irre")

Der öffentliche Diskurs über den Ausstand der Lokführer, das Streikrecht und die "Tarifeinheit" beeindruckt nicht gerade durch offene Darlegung der jeweiligen Interessen. Ein Beispiel: Nur das "Gemeinwohl" habe sein Unternehmen im Sinne beim Umgang mit den Tarifforderungen der GDL - beteuert der Vorstandsvorsitzende der Deutsche Bahn- Aktiengesellschaft. Besorgt werde im Ausland gefragt, wieso denn nun auch in der Bundesrepublik die Streikerei sich ausbreite und das "sozialpartnerschaftliche Modell zunehmend strapaziert" werde. (Wer diese Frage stellt, bleibt ungesagt.) Das Recht auf kollektive Arbeitsverweigerung sei zu akzeptieren, aber bei dessen Gebrauch müsse es "verantwortungsvoll" zugehen, gerade jetzt, wo doch die "Wachstumsprognosen für Deutschland nach unten korrigiert" würden, so Rüdiger Grube in der Faz am 28.10.2014.

Eine gesetzliche Regelung der "Tarifeinheit" fordern freilich die Arbeitgeber- und Unternehmerverbände schon seit langem, und sie fanden dabei zunächst Zustimmung bei der Spitze des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Die Parteien der Großen Koalition schlossen sich dem an. Keineswegs entstammt dieses Begehren nach "Einheit" in der Tarifpolitik einem Erschrecken über die stillgelegten Züge in diesem Sommer und Herbst, ihm liegen vielmehr langfristige, strukturelle Interessen zugrunde, auf Seiten beider "Sozialpartner".

Deutsche Unternehmen wissen, dass es in Zukunft beim Konkurrenzgerangel international für sie enger wird; die Renditen sollen aber darunter nicht leiden. Sie wünschen deshalb eine Absenkung ihrer Kosten für den Kauf von Arbeitskraft. Das gilt auch für die deutsche Bahn AG, bei der zwar der Staat die Aktien hält, die aber zu agieren hat wie ein privates Unternehmen. Im unternehmerischen Interesse liegt es auch, das gewerkschaftliche Druckmittel Streik möglichst auf eine bloß papierene Existenzweise zu beschränken: Das Streikrecht ist nun mal da, aber deshalb muss es doch nicht ausgeübt werden...

Unter Konkurrenzbedingungen operieren ebenfalls die Gewerkschaften. Sie sind darauf angewiesen, Mitglieder zu gewinnen und zu halten. Tarifpolitisch möchten auf Seiten der Arbeitnehmerschaft die altetablierten DGB-Gewerkschaften den Lauf der Dinge in ihrer Hand haben. Da sind neu aufstrebende, aktivistische und streikfreudige Organisationen lästig. Auch die DGB-Gewerkschaften halten selbstverständlich am Rechtsanspruch auf Streik fest; aber seine Umsetzung soll möglichst nur in ihrer Regie liegen. Und um der "Sozialpartnerschaft" willen gedenken sie ganz vorsichtig mit diesem Instrument umzugehen. "Wilde" Streiks mögen sie gar nicht.

Allerdings gibt es in dieser Sache Differenzen unter den DGB-Gewerkschaften; ver.di ist eher aufgeschlossen für unkonventionelle Formen der Konfliktaustragung mit den Unternehmen als die IG Metall und die IG-BCE. Das hängt mit Unterschieden im jeweiligen Klientel und den Beschäftigungsverhältnissen zusammen. Die SPD hält den engsten Kontakt zur IG Metall und zur IG-BCE.

Andrea Nahles: "Kollisionen vermeiden"

Die Bundesarbeitsministerin hält einen Gesetzesentwurf parat, der tarifliche Vorstöße in einem Betrieb situativ auf die Gewerkschaft begrenzen soll, in der dort die meisten Beschäftigten organisiert sind. Vom Streikrecht wären hier damit andere gewerkschaftliche Organisationen ausgeschlossen, weil sie in diesem Betrieb nicht Tarifträger sind und deshalb der "Friedenspflicht" unterliegen. So seien, argumentiert die Bundesarbeitsministerin, "Kollisionen" zu vermeiden. Zwischen wem - den Tarifverträgen, den konkurrierenden Gewerkschaften - oder auch zwischen Arbeitnehmerorganisationen und Unternehmensvorständen mit den dahinter stehenden Finanzinteressen?

Durch ein Gesetz zur "Tarifeinheit" will Andrea Nahles der "Sozialpartnerschaft dienen", das tarifpolitische Geschehen "sinnvoll ordnen" und "befriedend" wirken. Welche Konflikte soll das Gesetz still legen - die zwischen konkurrierenden Gewerkschaften? Kartellierend? Oder auch - um unmodische Begriffe zu verwenden - Konflikte zwischen Lohnarbeit und Kapital? Es ist nicht so, als seien diese ein Marxsches Hirngespinst. "Befriedende" Gesetze können, vom Arbeitnehmerinteresse her gesehen, in Richtung Friedhofsruhe führen.