Gorbatschow: "Zusammenbruch des Vertrauens gegenüber dem Westen"

Michail Gorbatschow und Ronald Reagon vor einem Mauerstück; Bild: Ronald Reagan Presidential Library/Courtesy of the Ronald Reagan Library

Der frühere sowjetische Staats- und Parteichef kritisiert die Politik des Westens und der Nato gegenüber Russland und warnt vor der Wiederaufrüstung und einem neuen Kalten Krieg

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Nachdem eine Reihe deutscher Politiker, die im Kalten Krieg in Führungspositionen waren, wie Helmut Schmid, der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher, aber auch der langjährige Bundeskanzler der CDU, Helmut Kohl, Kritisches zur Politik des Westens gegenüber Russland im Ukraine-Konflikt geäußert hatten, gab es in der deutschen Öffentlichkeit einige Aufmerksamkeit dafür, wie sich der frühere sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow zum Konflikt aussprechen würde. Gorbatschow war Gast in Berlin zu den Feierlichkeiten des Mauerfalls vor 25 Jahren.

Zunächst vermittelten Berichte, wie etwa in der FAZ oder der Zeit (Gorbatschow sieht in Nato-Osterweiterung keinen Wortbruch), den Eindruck, dass Gorbatschows Sicht der Dinge das Lager derjenigen unterstützt, die den offensiven Kurs der USA, der Nato und der Eu in Osteuropa unterstützen.

Es habe bei den Verhandlungen zur deutschen Wiedervereinigung keinen Vertrag gegeben, in dem ein Verzicht auf eine Ost-Erweiterung der Nato fixiert worden sei, sagte Gorbatschow in einem vom ZDF ausgestrahlten Interview. Das sei ein Mythos, bekräftigte er die entsprechende Frage des Interviewers. Da der Warschauer Pakt noch existierte, stellte sich die Frage nach einem solchen Vertrag nicht.

Michail Gorbatschow und Ronald Reagon vor einem Mauerstück; Bild: Ronald Reagan Presidential Library/Courtesy of the Ronald Reagan Library

Die "liebe Presse" habe da ihre Hand im Spiel gehabt, so Gorbatschow. Im ZDF-Beitrag wird darauf verwiesen, dass sich "bis heute Darstellungen halten, Moskau hätte während des Vereinigungsprozesses, insbesondere vor und beim Abschluss des 2+4-Vertrages, Zusagen erhalten, das westliche Verteidigungsbündnis würde sich nicht nach Osten ausdehnen".

Von russischer Seite habe man zunächst gewollt, dass Deutschland keinem Verteidigungsbündnis angehören wolle und neutral bleibe. Das sei aber dann beim US-russischen Gipfel in Camp David anders beschlossen worden, weil Deutschland selbst darüber entscheidet, welchem Verteidigungsbündnis es angehören wolle, so Gorbatschow, wenn es die volle staatliche Souveränität zurückbekomme.

"Dass die Nato sich keinen Zentimeter nach Osten bewegen würde"

Mit diesen Äußerungen wird auch klar, an welchen Adressaten sie sich wenden - an die Kritiker in Russland, die Gorbatschow unter anderem zum Vorwurf gemacht haben, dass er sich vom Westen habe übervorteilen, "über den Tisch ziehen" lassen.

Dieser Darstellung widerspricht er, wobei nicht ganz klar herausgestellt wird, wie die Verhandlungen in Camp David verliefen. Klar wird aber, auch im FAZ-Bericht, dass der "Weltveränderer" (ZDF) in den folgenden Jahren verärgert über die Politik des Westens in Osteuropa war, weil es doch anderslautende Versprechungen gegeben habe.

So sei ihm seitens Deutschlands, der USA und anderen Staaten des Westens nach der deutschen Wiedervereinigung versprochen worden, "dass die Nato sich keinen Zentimeter nach Osten bewegen würde". Doch habe der Westen bereits in den 1990er Jahren damit begonnen, einen anderen Kurs einzuschlagen.

Dies habe dazu geführt, "dass die Russen westlichen Versprechungen nun nicht mehr trauen". Als Beispiele für den "Zusammenbruch des Vertrauens", nennt er:

Die NATO-Erweiterung, Jugoslawien und vor allem das Kosovo, Raketenabwehrpläne, Irak, Libyen, Syrien.

Die Welt stehe an der "Schwelle eines neuen Kalten Krieges, nach Auffassung mancher habe er schon begonnen." warnt er. Auch international werden seine Äußerungen beachtet. Die Zeitung Le Monde zitiert ihn mit seiner Beobachtung, dass "sie" ein neues Wettrüsten beginnen. Auf die Frage danach, ob mit "sie" die Nato gemeint sei, wird er mit dem Satz wiedergegeben, dass die Nato "ein Instrument" sei, das benützt werde.

Zu Putin äußerte er sich dagegen positiv: Er sei davon überzeugt, dass Putin besser als irgendjemand anders die Interessen Russlands verteidige. So will sich Gorbatschow, nach Wellen massiver Kritik an seiner Politik, mit Russlands Öffentlichkeit versöhnen; zum Verteidiger der Offensiv-Interessen der Nato-Länder taugt er nicht.