Cyberpeace statt Cyberkrieg?

Stefan Hügel zur Cyberwar-Aktion des FifF

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Mit ihrer Kampagne möchte das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) die Bevölkerung über die bestehenden Gefahren der neuen Kommunikationstechnologien aufklären, um gegen die vorherrschenden politischen Interessen ein Gegengewicht zu bilden, welche die Bevölkerung unter Generalverdacht stellen und sich deren umfassende Überwachung auf ihre Fahne geschrieben haben. Ziel ist es, langfristig das Primat der friedlichen Nutzung des Internets und die Unterbindung menschenrechts- und verfassungswidriger Ausspähung durchzusetzen.

Am vergangenen Wochenende fand dazu während der Konferenz des FifF in der TU Berlin das Kickoff-Meeting statt. Telepolis sprach mit dem FifF-Vorsitzenden Stefan Hügel, der in dem Interview betonte, dass er seine persönliche Meinung vertritt.

Herr Hügel, können Sie uns darlegen, worum es sich bei der Cyberpeace-Kampagne handelt?

Stefan Hügel: Unter Cyberpeace verstehen wir Frieden im Cyberspace, also in dem durch die Netzinfrastrukturen gebildeten Raum, in einem sehr weiten Sinn: Die friedliche Nutzung dieser Netzinfrastrukturen - die über das Internet hinausgehen - für Mensch und Umwelt. Die Cyberpeace-Aktion thematisiert dabei das Bedrohungs-Szenario, das sich aus der Politik der Cyberwarfare ergibt.

Dies besitzt ein sehr weites Spektrum und beginnt mit den Angriffen auf die Privatsphäre, setzt sich fort mit der Kompromittierung von Sicherheitsinfrastrukturen durch die Schaffung von Sicherheitsdefiziten, umfasst Schad-Software und geht bis zur Beeinflussung der Öffentlichkeit. Unsere Ziele sind, diese Cyberwarfare zu ächten, den Missbrauch der Kommunikationsinfrastruktur zu verhindern und dem Cyberwar mit Cyberpeace einen positiven Entwurf entgegenzusetzen.

"Man muss sehen, was die Voraussetzungen sind"

In dem Flyer zu Ihrer Aktion steht, "der öffentliche Diskurs" kratze "häufig nur an der Oberfläche", weil meist nur "die Verletzung der Privatsphäre thematisiert" werde, "nicht jedoch die militärische Dimension". Meinen Sie damit, dass die mit großem Aufwand daran gearbeitet wird, der sozialen Krisen Herr zu werden, indem man mit der Technik nicht mehr die Armut bekämpft, sondern sie gegen potentiell Aufständische ("Terroristen") wendet?

Stefan Hügel: Durch die Enthüllungen von Edward Snowden wurde eine große öffentliche Debatte angestoßen, die bis zum heutigen Tag anhält, wobei sich diese aber sehr stark auf die reine Datenausspähung und damit die Verletzung der Privatsphäre konzentriert. Ich habe bereits die verschiedenen Ausprägungen von Cyberangriffen genannt, die zum Teil durch geheimdienstliche Aktivitäten abgedeckt sind und, wie gesagt, mit Angriffen auf die Privatsphäre beginnen.

Man muss aber sehen, was die Voraussetzungen sind, um diese Angriffe überhaupt durchführen zu können. Dazu braucht es Sicherheitslücken in den IT-Systemen und in ihrer Infrastruktur, wobei man entweder bestehende Schwachstellen verschweigen und dann ausnützen kann, oder sie selbst schaffen muss. Das geht über die Thematik der Verletzung der Privatsphäre hinaus und berührt eine grundlegende Infrastruktur der heutigen Gesellschaft, die damit kompromittiert wird.

Welche Gefahren sind mit Big Data für den Bürger verbunden?

Stefan Hügel: Bei Big Data gibt es Ansätze, Datenverarbeitung zur Vorhersage bestimmter Vorgänge zu nutzen. Das kann erst einmal sinnvoll sein, wenn man etwa versucht, Prognosen über den Ausbreitungsverlauf von Krankheiten zu entwickeln. Das kann aber auch dazu führen, komplette gesellschaftliche Entwicklungen voraussagen zu wollen, um dann entsprechend zum Beispiel vonseiten nichtdemokratischer Regierungen zu reagieren oder sie bereits im Vorfeld zu verhindern.

Gilt das für die formaldemokratischen Staaten der westlichen Hemisphäre denn nicht?

Stefan Hügel: Grundsätzlich gilt das natürlich auch für demokratische Staaten, vor allem, wenn die Schutzmechanismen gegen Machtmissbrauch nicht greifen.

Haben Menschen aufgrund von Cyberwarfare schon ihr Leben verloren?

Stefan Hügel: Cyberwarfare funktioniert in der Regel indirekt, aber es gibt beispielsweise auch Berichte über Drohnenangriffe, die auf Daten aus den vorher erwähnten Spionageaktivitäten basieren. Zum Beispiel können durch die Überwachung von Mobil-Telephonen Ziele geortet und damit Tötungsaktionen vorbereitet werden. Deswegen lässt sich schon sagen, dass Menschen aufgrund solcher Cyberwar-Aktivitäten ihr Leben verloren haben, auch wenn dies oft nicht direkt nachvollziehbar ist.

"Vorratsdatenspeicherungen gigantischen Ausmaßes"...

Gibt es eine gesetzliche Handhabe gegen die Ausspionierung durch die Geheimdienste?

Stefan Hügel: Die Gesetze gibt es: Wir haben einmal das Grundgesetz, das die Grundrechte garantiert, woraus beispielsweise vom Bundesverfassungsgericht konkrete weitere Rechte abgeleitet werden, wie etwa das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung oder das Grundrecht auf Gewährleistung der Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme.

Das bedeutet, dass die Menschen der Bundesrepublik Deutschland nicht nur das Recht besitzen, dass ihre informationstechnischen Systeme nicht kompromittiert werden, sondern letztendlich ist sogar daraus das Recht auf die Gewährleistung ableitbar. Der Staat ist also in der Pflicht, Menschen davor zu schützen, dass sie ausspioniert werden.

Eine ähnliche Rechtsprechung besitzen wir durch die Urteile des Europäischen Gerichtshofes oder des Bundesverfassungsgerichts gegen die Vorratsdatenspeicherung: Letztlich sind die von Edward Snowden enthüllten Spionageaktivitäten Vorratsdatenspeicherungen gigantischen Ausmaßes, bei denen jede elektronische Art von Kommunikation ohne konkreten Verdacht überwacht und gespeichert wird. Hierzu existiert auch eine Strafanzeige, die seinerzeit von Bürgerrechtsorganisationen angestrengt worden ist. Es gibt also eine rechtliche Handhabe.

... und Möglichkeiten zur repressiven Gesundheitspolitik

Und warum wird sie nicht angewandt?

Stefan Hügel: Darüber kann man nur spekulieren. Vielleicht genießt hier die Gewährleistung guter Beziehungen zu den Bündnispartnern, speziell den USA, ganz einfach Priorität. Was die deutsche Behörden anbelangt, so wird ja öffentlich erklärt, dass sie an illegalen Aktivitäten nicht beteiligt seien.

: Können Sie eine Einschätzung abgeben, ob die Erfassung von Daten über die Kommunikationstechnologien eines Tages im Dienste einer repressiven Gesundheitspolitik eingesetzt werden könnte?

Stefan Hügel: Die Möglichkeit besteht. Die Kommunikationsdaten, die gesammelt werden, sind sehr umfassend und können tatsächlich zum Gesamtbild einzelner Menschen zusammengefügt werden. Beim Thema smart watches wird fast schon wie selbstverständlich darüber gesprochen, Gesundheitsdaten von ihren Trägern abzufragen. Dabei kann man bereits aus der Pulsmessung Aussagen treffen, ob jemand täglich Sport treibt und gesund lebt und so ließen sich auch bei einer ungesunden Lebensweise Sanktionen begründen.

Sie wollen eine Achtung der Menschenrechte, des Völkerrechts und eine ausschließlich friedliche Nutzung der neuen Informationstechnologien erreichen. Ihr Anliegen in allen Ehren, aber ist es angesichts der massiven wirtschaftlichen, militärischen und politischen Interessen, die dagegen spielen, nicht ein wenig naiv?

Stefan Hügel: Da muss ich zurückfragen: Ist das Völkerrecht naiv? Im Grunde würde das bedeuten, dass fast jede politische Aktivität, die Missstände beseitigen möchte und auf die Veränderung des status quo abzielt, naiv wäre. Wir haben nicht die Illusion, dass wir mit dieser Kampagne kurzfristig umfassende Veränderungen erreichen, aber einen weiteren Anstoß geben möchten wir schon.

An wen wenden Sie sich mit Ihrer Aktion und ab wann ist sie in ihren Augen ein Erfolg?

Stefan Hügel: Letztendlich wenden wir uns an die Öffentlichkeit und an die Politik. Wir wollen die Öffentlichkeit mobilisieren und dadurch Multiplikatoren aufbauen, um damit Druck auf die Politik auszuüben. Viele Gefahren des Cyberwar sind zu abstrakt, wir wollen sie begreifbar machen. Wenn wir hier Menschen zu einem bewussteren Umgang mit dem Internet und zum politischen Handeln bringen könnten, wäre aus meiner Sicht bereits viel erreicht.