Kunstaktion drang nicht zur neuen EU-Mauer durch

Die Aktion "Europäischer Mauerfall" zum 9. November machte die Schizophrenie der Feiern zum Mauerfall angesichts der neuen Mauern und deren Verteidigung deutlich

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Am Freitag starteten zwei Busse mit 100 Personen zu der von der Künstlergruppe Zentrum politischen Schönheit organisierten Aktion zum 9. November, genannt "Europäischer Mauerfall". Während in Deutschland der Fall der Mauer vor 25 Jahren gefeiert wurde, wollten die Künstler auf die neuen Mauern an den EU-Grenzen aufmerksam machen, an denen auch viele Menschen sterben. An der bulgarisch-türkischen Grenze, wo seit kurzem ein 3 Meter Hoher Grenzzaun auf der Länge von 30 km steht, wollten sie diesen mit Bolzenschneidern an einer Stelle symbolhaft zur Fall bringen (Wann kommt nach dem Berliner der Europäische Mauerfall?).

Bild: Zentrum für Politische Schönheit

Zuvor hatten sie die "Weißen Kreuze", die an die Toten an der Berliner Mauern erinnern sollen, an verschiedenen "Mauern" angebracht, die sie vorübergehend entführt hatten, um sie nach Abschluss der Aktion restauriert wieder in Berlin anzubringen. Das hat Kritik auf sich gezogen, manche fanden diese Aktion pietätslos. Man wollte auch bei der Feier nicht durch Kritik an der Errichtung neuer Mauern gegen Einwanderer gestört werden.

Vermutlich hatten die Künstler auch nicht wirklich geglaubt, dass sie ihre angekündigte Aktion, den Zaun zu Fall zu bringen, auch umsetzen könnten. Vor der Abfahrt kontrollierten bereits Polizisten und Staatsschutz die Künstler mit ihrem Tross und suchten nach Bolzenschneidern oder anderen Werkzeugen, mit denen Straftaten begangen werden können. Aber in einer Kunstaktion gehört auch das schon mit zum Programm.

An der serbischen Grenze wurden die Busse stundenlang aufgehalten und durchsucht. Die jetzt doch vorhandenen Bolzenschneider mussten zurückgelassen werden: "Die serbische Polizei eskortiert die Busse mit mehreren Einsatzfahrzeugen und weigerte sich zunächst Pausen zu ermöglichen. Die Stimmung in den Bussen ist aber weiterhin gut", schrieben die Aktivisten. Die bulgarische Polizei hatte bereits alle Hotels in der Nähe des Ziels in Bulgarien reservieren lassen, da rechtsextreme Gruppen gegen die Aktivisten mobilisiert hatten oder weil man eine Übernachtung der Aktivistebn verhindern wollte. Auch wenn sie nun ohne Werkzeuge anreisten, ließ die bulgarische Polizei die Gruppe nicht an die Grenze, sondern stoppte sie 300 Meter davor: "Polizei versteckte sich mit Schäferhunden im Wald und verstellte kurz vor der Grenze den Weg. Kurze Eskalation 300 Meter vor der Außenmauer. Kein Durchkommen nach zäher Verhandlung. Rufe: 'Die Mauer muss weg!' Aufmerksame Begleitung seitens der bulgarischen Medien, Verständnis für 'friedlichen Protest'."

Bild: Zentrum für Politische Schönheit

So wurde denn auch verhindert, dass es Fotografien von der Kunstaktion am europäischen Stacheldrahtzaun gemacht werden konnten. Die Gruppe fuhr schließlich mit den Bussen weiter nach Griechenland, um von dort zu melden: "Die Griechen wissen, wie man Friedliche Revolutionäre am 25. Jahrestag des Mauerfalls empfängt: mit 4 (!!!) Bussen voller Polizisten in Kampfmontur (Riot Police). Sie stehen wohl schon seit heute morgen mit Schutzschildern und Helmen dort und warten auf uns. Im Moment wird der erste Bus durchsucht."

Gut bewacht wurden die Aktivisten zu einem Hotel gebracht. Interessant ist tatsächlich, ob und wie die deutschen Behörden die Polizeibehörden in den anderen Ländern informiert haben. Die Aktivisten:

Unsere Fernreise entwickelt sich zu einem europaweiten Skandal. 25 Jahre nach dem Mauerfall tun die Behörden ALLES, um unsere friedlichen Revolutionäre daran zu hindern, die europäischen Außenmauern zu sehen. Wir befinden uns mitten in der Totalaushebelung der Freizügigkeit nach Art. 21.

Und die Künstler haben einen Unterstützer bei der Linkspartei gefunden. Der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko richtete eine "Schriftliche Frage zur vorauseilenden Repression der Performance 'Europäischer Mauerfall' durch das Bundesinnenministerium" an die Regierung:

Mit welchem Inhalt haben Bundesbehörden im Vorfeld der Performance "Europäischer Mauerfall" des Zentrums für politische Schönheit Sicherheitsbehörden im In- und Ausland kontaktiert (hierzu exemplarisch taz vom 8. November 2014 sowie eine deutschsprachige Mitteilung des bulgarischen Innenministeriums, und welchen entsprechenden Kontakt hatten Bundesbehörden mit Sicherheitsbehörden im In- und Ausland während der Aktion bis zur Rückkehr der Beteiligten (bitte für jeden Vorgang die jeweils beteiligten Dienststellen bzw., sofern ebenfalls bedient, die benutzten Kanäle, etwa das Netzwerk von Verbindungsbeamt/innen oder die Police Working Group of Terrorism, angeben)?

Die Aktion, die auf viel Anerkennung stieß, machte auf jeden Fall klar, dass nicht nur die EU durch Mauern an der Grenze gegenüber Einwanderern geschützt wird, sondern auch gegenüber EU-Bürger, die sie in Frage stellen. Das sollte allen zu denken geben, die jetzt den Fall der Mauer bejubelt haben. Mit Blick auf die neue Mauer werden Äußerungen wie die von Bundeskanzlerin Merkel auf der Konferenz "Falling Walls" fast schon schlüpfrig:

Morgen feiern wir den 25. Jahrestag des Mauerfalls. Dieser Tag führt uns vor Augen, dass sich der menschliche Drang nach Freiheit nicht auf Dauer unterdrücken lässt. Im Laufe des Schicksalsjahres 1989 überwanden immer mehr Ostdeutsche ihre Angst vor staatlicher Repression und Schikane. … Am 7. Oktober 1989 begingen die SED-Größen noch mit dem üblichen Pomp den 40. Geburtstag der DDR. Zugleich ließen sie Jagd auf friedliche Demonstranten machen. Trotzdem versammelten sich nur zwei Tage später Zehntausende in Leipzig zur Montagsdemonstration. Damit war sozusagen schon eine Grenze überschritten. Es gab kein Zurück mehr. Mehr und mehr Bürgerinnen und Bürger zeigten Zivilcourage. Ihrem Mut haben wir zu verdanken, dass sich zu guter Letzt die Schlagbäume an der innerdeutschen Grenze öffneten.

Merkel feiert das Überwinden der Mauern, ohne die neuen Mauern und die neuen Überwachungskapazitäten nur einmal zu erwähnen, die diejenigen der Stasi in den Schatten stellen. Das ist auch deswegen zynisch, wenn Merkel sagt: "Wir Deutsche werden nie vergessen, dass es unser Land war, das während der Zeit des Nationalsozialismus mit sämtlichen Regeln der Menschlichkeit brach." Offenbar endet die Merkelsche Menschlichkeit an den europäischen Grenzen, wo nun die italienische Mission Mare Nostrum zur Rettung von Flüchtlingen auf dem Mittelmeer mangels Geld eingestellt wird, um durch eine billigere Mission der EU ersetzt wurde, die vor allem das Ziel hat, Flüchtlinge abzuwehren.