Peinliche Possen bei Islands Polizei

Inmitten neuer Krisenproteste ordert die eigentlich unbewaffnete isländische Polizei 150 Maschinenpistolen. Ein gleichzeitig veröffentlichter Polizeibericht zur Bankenkrise erzählt intime Details zu Trägern der Protagonisten der Revolten von 2008

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Die isländische Polizei hat sensible Daten über Aktivisten und Demonstranten veröffentlicht. Ein teilweise geschwärztes Dossier zu den Krisenprotesten 2008 bis 2011 enthält Namen von Beteiligten, deren Kontaktpersonen und vermeintlichen Aktivitäten. Allem Anschein nach handelt es sich um Material aus Abhörmaßnahmen, Observationen oder verdeckten Ermittlungen. Denn das Dokument führt auch Informationen über Angehörige oder Krankheiten der Betroffenen.

Es ist unklar, wie es zu der Panne kommen konnte, offensichtlich wurde aber ein Programm falsch bedient. In der gedruckten Ausgabe des Dossiers war der ursprüngliche Text lediglich dunkelgrau übertüncht. Medien haben auch komplett durchsuchbare PDF-Versionen erhalten. Das isländische Datenschutzrecht ist strikt. Einige der Betroffenen erklärten gegenüber Telepolis, dass die Polizei die Informationen gar nicht hätte sammeln dürfen, und kündigen rechtliche Schritte an.

Ein besonderer Fokus der Polizei liegt auf jenen Demonstranten, die für die Besetzung des Parlaments im Dezember 2008 verantwortlich gemacht wurden. Auf dem Höhepunkt der Proteste nach dem Bankenkollaps waren rund 30 Personen über den Besuchereingang in das Parlament eingedrungen und hielten die Besucherbänke besetzt.

Die Polizei reagierte für isländische Verhältnisse ungewohnt brutal. Neun Personen wurden festgenommen und nach dem eigentlich vergessen geglaubten Paragrafen 100 der Strafprozessordnung angeklagt. Über 700 Personen hatten anschließend erklärt, ebenfalls bei den Protesten dabei gewesen zu sein. Sie forderten die Einstellung des Verfahrens oder wollten ebenfalls angeklagt werden.

Staat erweist sich als schlechter Verlierer

Der seit militanten Protesten gegen den NATO-Beitritt 1949 nicht angewandte Paragraf 100 regelt das Aburteilen terroristischer Akte, darunter den versuchten Sturz der Regierung. Das Strafmaß bewegt sich zwischen einem Jahr und lebenslänglich. Der Staat erwies sich mit der Anklage als schlechter Verlierer: Denn die teilweise militanten Proteste hatten immerhin erstmals dafür gesorgt, dass eine europäische Regierung wegen der Finanzkrise komplett zurücktreten musste.

Die Richter folgten der Argumentation der Ankläger nur teilweise. Lediglich vier der Angeklagten wurden 2011 verurteilt, das Gericht verhängte kleinere Geldstrafen oder Gefängnisstrafen von wenigen Monaten, die jedoch auf Bewährung ausgesprochen wurden.

Island galt in Europa als Vorbild, wie die Bankenkrise aus eigener Kraft überwunden werden kann. Aktivisten hatten jedoch darauf hingewiesen, dass die Verursacher des Crashes teilweise gestärkt daraus hervorgingen (1984 war gestern). Tatsächlich machen sich die Sparmaßnahmen der Regierung derzeit besonders bemerkbar. Jede Woche demonstrieren Tausende gegen die Regierung, am Montag vergangener Woche waren je nach Schätzung zwischen 4.500 und 7.000 Menschen auf der Straße. Das Land hat rund 325.000 Einwohner.

Mitten in die Proteste platzte die Nachricht, dass die Polizei nun 250 (nach anderen Berichten 210) halbautomatische Waffen der deutschen Firma Heckler & Koch aus Norwegen geordert hat. Die Gewehre des Typs "MP5" werden vom norwegischen Militär, das nach Medienberichten zu dem Deal höchste Geheimhaltung gefordert hatte, ausgemustert.

Zoll verlangt Steuern

Traditionell ist die isländische Polizei unbewaffnet, nun sollen 150 Polizeifahrzeuge mit je einer Maschinenpistole ausgerüstet werden. Eine plausible Erklärung für die Notwendigkeit der Aufrüstung hat die Regierung nicht. Stattdessen sorgt der Kauf für einen weiteren Skandal, denn zunächst hatte der Premierminister behauptet die Waffen würden aus Norwegen verschenkt.

Die Regierung in Oslo dementierte prompt, demnach sei der Verkauf im Dezember vereinbart worden, der Kaufpreis wird mit rund 75.000 Euro angegeben. Mittlerweile musste auch der Premierminister seine Version der Geschichte revidieren. Unklar ist die Bestimmung für mindestens 60 weitere Maschinenpistolen. Ursprünglich hieß es, auch die Küstenwache ebenfalls "MP5" geordert. Dort weiß man jedoch angeblich von nichts.

Nun hat sich der isländische Zoll der Angelegenheit angenommen und die militärische Lieferung vorläufig in einem Warenhaus versiegelt. Denn wären die Gewehre aus Norwegen, wie berichtet, gekauft worden, muss die Regierung Steuern zahlen. Inzwischen fordern mehr als 8.000 Personen in einer Facebook-Gruppe die Rückgabe der Waffen an Norwegen. Eine gleichlautende Petition hat bereits über 3.200 Unterzeichner.