Das einfache schwarz-weiße Weltbild der deutschen Kanzlerin

Wie verfahren die Situation ist, lässt sich aus der Rede Merkels und dem ARD-Gespräch mit Putin erkennen, ein "Flächenbrand" (Merkel) ist so tatsächlich nicht unwahrscheinlich

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Es scheint allerorten eine Hilflosigkeit vorzuliegen, für den Ukraine-Konflikt eine Lösung zu finden. Zu starr sind auf beiden Seiten die Positionen geworden. Wirklich bewegen will sich niemand, schließlich dient der Konflikt Russland, um seine Macht zu demonstrieren, und EU/USA, um interne Einheit gegenüber dem neu-alten Gegner herzustellen und die Nato zusammen zu schweißen. Zwar will die EU vorerst auf weitere Sanktionen gegen Russland verzichten und gibt sich für einen Dialog bereit, aber die EU-Außenminister haben gleichzeitig beschlossen, Maßnahmen gegen weitere Separatistenführer zu verhängen, was auch bedeutet, dass man mögliche Verhandlungen im Minsker-Format, die Kiew sowieso ablehnt, weiter erschwert.

Das waren noch Zeiten. Merkel und Putin 2008 in Novo Ogaryovo. Bild: Vladimir Rodionov/Ria Novosti/CC-BY-SA-3.0

Bundeskanzlerin Merkel hat in ihrer Rede am Lowy Institut für Internationale Politik in Sydney vor allem demonstriert, dass sie auch nicht weiter weiß. Offenbar war nach dem langen Gespräch mit Putin während des G20-Treffens keine Möglichkeit gefunden worden, aufeinander zuzugehen.

Putin hatte in seinem ARD-Gespräch vor Brisbane, das am Sonntag gesendet wurde, unmissverständlich klar gemacht, dass die Übernahme der Krim für ihn ein irreversibles Faktum ist und völkerrechtlich ganz in Ordnung ist. Verhandlungen darüber wird es wohl nicht geben, so lange Putin an der Macht ist.

Vorgeworfen hat er Deutschland, zusammen mit Frankreich und Polen, auch, Vereinbarungen nicht zu halten. Er verwies auf das Abkommen zwischen der Janukowitsch-Regierung und den Oppositionsparteien für eine friedliche Machtübergabe, das vom Maidan durch Besetzung des Parlaments gebrochen wurde, ohne dass die EU-Staaten, die er als Garanten der Vereinbarung bezeichnet, dies auch nur einmal kritisch beanstandeten. Hätte das Abkommen Bestand gehabt, hätte es eine gute Möglichkeit gegeben, dass der Konflikt nicht derart eskaliert wäre, möglicherweise wäre er auch dann nicht so eskaliert, wenn "der Westen" die Regierung in Kiew nachdem Sturz von Janukowitsch auch kritisch begleitet und gezügelt hätte, anstatt sich bedingungslos auch hinter die Militanten vom Maidan und die Rechtsextremen der Swoboda-Partei zu stellen. Bei diesem Punkt hat Putin Recht, was auch das schnelle Handeln auf der Krim bedingt haben wird, unverständlich bleibt weiterhin, warum die EU oder Deutschland diesen Fehler nicht eingestehen, zumal weiterhin keineswegs aufgeklärt ist, wer für die Todesschüsse auf Protestierer und Polizisten auf dem Maidan verantwortlich ist.

Zur russischen Unterstützung der Separatisten machte er bezeichnenderweise keine Angaben - sie werden vielleicht post festum wie bei der Krim kommen -, aber er warnte unmissverständlich Kiew, die "Volksrepubliken" militärisch zu erobern. Die ukrainischen Milizen könnten einen Genozid begehen, Russland würde dann direkt eingreifen (die Truppen befinden sich bereits an der Grenze). Putin hat auch Recht, dass es "keinen politischen Dialog" gibt und dass die Definition der "Trennungslinie" ein entscheidender Schritt wäre, das Minsker Abkommen umzusetzen.

So scheint die Situation fatal zu sein, weil die Überwachung der Grenze durch die OSZE nicht vorankommt. Kiew will das Gesetz für den Sonderstatus zurückziehen und hat bereits angeordnet, dass alle Behörden von den von den Separatisten kontrollierten Gebieten abgezogen werden, baut eine "Mauer" an der Grenze und verlangt die Schließung der Grenze, so dass die Separatisten von Unterstützung abgeschnitten werden. Ohne dass die Putin angesprochen hat, ist aber klar, dass Moskau dies so lange nicht machen wird, so lange keine Garantie für Verhandlungen mit den Vertretern der Separatisten und damit für den Sonderstatus von Donezk und Lugansk gegeben ist. Hier haben sich die Positionen verfahren, zumal in Kiew der Druck auf Poroschenko seitens der Falken von der Volksfront, der Radikalen Partei und der Vaterlandspartei gewachsen ist, nicht nachzugeben. Sie haben den Waffenstillstand, der sowieso jeden Augenblick ganz zusammenbrechen wird, und die anderen Beschlüsse des Minsker Abkommens abgelehnt und teils auch als Verrat bezeichnet.

"Das völlige Versagen der Diplomatie"

Merkel sagte zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs, was heute allen Seiten auch abgeht, einschließlich der deutschen:

In Rückblenden auf diese Zeit vor 1914 fällt vor allem eines auf: die Sprachlosigkeit unter den politischen Eliten der europäischen Staaten und das völlige Versagen der Diplomatie. Es fehlten geeignete Mechanismen und Institutionen zum Gedankenaustausch, zur Vertrauensbildung und zur Kooperation. Es fehlte die Bereitschaft, Kompromisse einzugehen.

Das gesagt, wird sofort ein Gut-und-Böse-Weltbild konstruiert, das in seiner Einseitigkeit und im Fehlen jeder Selbstkritik, dem von Putin gleicht. Die EU setze auf eine Wertegemeinschaft, die allerdings völkerrechtswidrige Kriege und Interventionen sowie schwere Menschenrechtsverletzungen wie im Falle des Drohnenkriegs der USA duldet, unterstützt und teilweise begeht. Macht nichts, die EU schafft "Vertrauen": "Wir sehen uns, wir sprechen miteinander, wir kennen uns. So festigt sich Vertrauen. Und Vertrauen ist die wohl wichtigste Voraussetzung für eine gedeihliche politische Zusammenarbeit." Aber Russland will das nicht, einen Grund nennt Merkel dafür nicht, man müsse "erleben, dass es auch in Europa immer noch Kräfte gibt, die sich dem gegenseitigen Respekt und einer Konfliktlösung mit demokratischen und rechtsstaatlichen Mitteln verweigern, die auf das angebliche Recht des Stärkeren setzen und die Stärke des Rechts missachten".

Das hätte die Bundeskanzlerin auch gegenüber dem Maidan sagen können - oder gegenüber der schnellen Entscheidung, gegen die eigenen Bürger in der Ostukraine anstatt mit Dialog mit militärischer Gewalt vorzugehen, dies als "Antiterroroperation" zu tarnen und nur von Verbrechern, Terroristen und Saboteuren zu sprechen. Aber das würde die Lage zu kompliziert machen, offenbar ebenso, nicht nur von Wertegemeinschaft, sondern auch von wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen zu sprechen. In der auf die Rede folgenden Diskussion zeigte sich Merkel allerdings etwas differenzierter. Gleichwohl spricht sie vor der Gefahr eines "Flächenbrands", der nur Russland geschuldet ist.

Wie aber soll auf dieser schwarz-weiß gemalten Welt mit dem Bösewicht auf der einen und den selbstlosen und fehlerlosen Guten auf der anderen ein Dialog entstehen. Das widerspricht schon der Behauptung, man lassen nichts "unversucht, in Gesprächen mit Russland zu einer diplomatischen Lösung des Konflikts zu kommen". Gefolgt von der Machtdemonstration: "Wir verhängen wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland, soweit und solange sie erforderlich sind. Das Ziel dieses Ansatzes ist eine souveräne und territorial unversehrte Ukraine, die über ihre Zukunft selbstbestimmt entscheiden kann."

Kein Wort darüber, dass in der Ukraine offenbar auch Menschen leben, die sich deren politische Ausrichtung anders vorstellen und die selbstbestimmt darüber entscheiden wollen. Möglicherweise ergäbe sich eine Lösung zwischen Kiew, den Separatisten und Moskau, wenn alle das beherzigen würden, was Merkel für die Europäische Union beansprucht: "Der Weg zu offenen, pluralistischen Gesellschaften kann mitunter sehr steil und steinig sein. Aber ich bin überzeugt: Er verspricht langfristig mehr Stabilität." Wachsweich sind die Bemerkungen zur angespannten Lage in der Asien-Pazifik-Region, kein Wort verliert die Kanzlerin hier über den Einfluss, den die USA hier auch militärisch ausübt.

"Der Weg führt noch immer in die falsche Richtung"

Obwohl Außenminister Steinmeier sicher auch eine Lösung des Konflikts durch Dialog und Verhandlungen setzt (und durch den Janukowitsch-Sturz schwer angeschlagen sein müsste), neigt auch er zu deutlich einseitigen Lageeinschätzungen. Am Sonntag sagte er beispielsweise zu den Sanktionen gegen Russland:

Wir sehen aber auch russische Kampfflugzeuge entlang der Nato-Grenzen, russische Kriegsschiffe vor der australischen Küste. Diese Machtdemonstration zeigt: Der Weg führt immer noch in die falsche Richtung.

Das ist schon grotesk. Genauso gut könnte man von Nato-Kampfflugzeugen entlang der russischen Grenzen und von US-Kriegsschiffen vor der russischen Küste sprechen. Die zwei russischen Kriegsschiffe befanden sich auf internationalem Gewässer, warum sie eine Machtdemonstration sein sollen, ist angesichts etwa der US-Kriegsschiffe und der zahlreichen US-Stützpunkte überall auf der Welt, fragwürdig. Welche Bedrohung stellen zwei Kriegsschiffe, begleitet von zwei Versorgungsschiffen, die seit Oktober unterwegs waren, für Australien dar? Schon das Hochspielen dieses Vorkommnisses in vielen Medien zeigt auch die Lust am Kitzel möglicher Konflikte (Russland lässt die Muskeln spielen, Zum G-20-Treffen kreuzen russische Kriegsschiffe vor Australien und stören den Gipfel, Russische Kriegsschiffe nehmen Kurs auf Australien, Alarm vor der australischen Küste!).

Ein besonnener Außenminister müsste eigentlich dieses Spiel nicht mitmachen, sollte man meinen. Allerdings argumentiert Steinmeier im Anschluss deutlich diplomatischer als Merkel, die in ihrem Spagat zwischen dem selbstgerechten Druck auf das Böse und der zur Schau getragenen Dialogbereitschaft, gefangen ist. Steinmeier bleibt aber bei der Suche nach Alternativen auch dabei, dass Russland irgendwie klein beigeben muss:

Am Dienstag will ich selbst bei Gesprächen sowohl in Kiew als auch in Moskau sondieren, ob es Chancen gibt, eine neue Verschärfung des Konflikts aufzuhalten. Vielleicht müssten wir nach neuen Ansätzen suchen, die Anspannung im Verhältnis der EU zu Russland zu reduzieren. Das muss nicht die Aufgabe der bisherigen Strategie von politischem Druck bei gleichzeitiger Verhandlungsbereitschaft sein.