Israel: Aufhetzung, Anschläge und die Verhärtung der Lager

Nach der Mordattacke auf Besucher einer Synagoge in Jerusalem verweist Netanjahu auf die Verantwortlichkeit von Hamas und Abbas; die Hamas begrüßt den Anschlag

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Nach Angaben von Jerusalemer Ortskundigen sind zwar die Synagogen der Innenstadt gut bewacht, aber nicht jene, die etwas außerhalb liegen. Laut Berichten über die Mordattacke, die sich heute morgen in der Kehilat Bnei Torah Synagoge im Westen der Stadt, in Har Nof, ereignet hat, hatten die beiden mit Äxten, Messer und einer Pistole bewaffneten Eindringlinge keine Wachposten zu überwältigen. Sie töteten vier Synagogenbesucher, bevor sie von der Polizei erschossen wurden.

Polizisten vor der Synagoge; Ausschnitt aus einem Video

Warum ausgerechnet die Kehilat Bnei Torah Synagoge zum Ziel der Attentäter - zwei Cousins, die aus Ost-Jerusalem, aus Jabel Muktaber, stammen - wurde, ist derzeit noch nicht geklärt. Die Synagoge gehört zur litauisch-jeschiwischen Gemeinde der Ultraorthodoxen. Naheliegend ist der Gedanke, dass die Synagoge ein gut erreichbares "weiches Ziel" abgab und darüberhinaus ein bedeutsames: ultraorthodoxe Juden, die in der Hauptstadt beim Morgengebet getötet werden. Wo ihr auch seid, ihr seid alle angreifbar, ist seit jeher eine Grundbotschaft terroristischer Anschläge. Die Schockwirkung ist groß, international.

Noch hat sich keine Organisation zum Anschlag bekannt. Aber freilich erfolgten die ersten Schuldzuweisungen rasch. Der israelische Ministerpräsident Netanjahu machte die Hamas und Abbas für den Anschlag verantwortlich. Er sei eine "direkte Folge der Aufhetzung, die von Hamas und Abbas angeführt wird, eine Anstiftung zur Gewalt, welche die internationale Gemeinschaft in unverantwortlicher Weise ignoriert". Man werde mit harter Hand reagieren, so Netanjahu.

Hamas: Anschlag "angemessene und funktionale Antwort auf die Verbrechen der Besatzung"

Abbas und die Fatah verurteilten den Anschlag; vonseiten der Hamas werden Jubelmeldungen wiedergegeben, die von einer "neuen Qualität der Entwicklung in der Konfrontation mit der israelischen Besatzung" sprechen und den Anschlag "als angemessene und funktionale Antwort auf die Verbrechen der Besatzung willkommen" heißen. So wird ein Statement der Organisation von Ha'aretz zitiert. Aktivisten pfeifen die nächste Intifada von den Dächern.

Tatsächlich fügt sich der Anschlag in eine Reihe von Angriffen gegen Israelis in den letzten Wochen, die von Palästinensern mit Messern oder mit Autos begangen wurden und von manchen als Indizien für "neue Kampfmethoden" gesehen werden, die vor dem Hintergrund eines verstärkten Unruheklimas in Ost-Jerusalem oder im Westjordanland stattfinden und den Beginn einer dritten Intifada (nach 1987 und 2000) andeuten. Noch ist das Spekulation; von einer Aufstandswelle, die breite Schichten erfasst, kann noch nicht geredet werden.

Liest man Schilderungen über die Situation in Ost-Jerusalem, wo sich deutlich mehr Polizeipräsenz bemerkbar macht, und arabische Bewohner nach eigenen Angaben Schikanen und einer verstärkten Überwachung ausgeliefert sind und nimmt dazu den Konflikt über die Todesursache des palästinensischen Busfahrers, der sich nach Angaben israelischer Ärzte selbst umgebracht hat, dann ergibt sich ein Bild von Spannungen, die hoch explosiv sind.

Zumal der seit Ende Oktober gehende Streit über den Zugang und die Hoheit über den Tempelberg, bzw. die al-Aksa-Moschee, die zu den drei großen Heiligtümer der Muslime gehört, viel böses Blut zwischen Palästinensern und Ultraortodoxen wie auch Mitgliedern der Siedlerbewegungen angerichtet hat.

Dass die explosive Situation jemand im Griff hätte, ist nicht zu beobachten. Die plumpe Feindbild-Reaktion von Netanjahu und wie auch die politisch beschränkte, gewaltverherrlichende der Hamas, die im kommenden Winter auf eine Zusammenarbeit mit israelischen Behörden in Gaza angewiesen ist, künden weitere Gewalt an.