Ein neues Kontrollsystem mit dem niedlichen Namen "Seepferdchen"

Eigentlich sollen in EUROSUR keine militärischen Mittel eingebunden werden, nur EU-Staaten dürfen mitmachen. Im Falle Libyens werden beide Prinzipien kreativ umgangen

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Vergangenen Dezember hat die Europäische Union ihr neues Grenzüberwachungssystem EUROSUR in Betrieb genommen. Ziel ist die Bekämpfung unerwünschter Migration, Boote mit Geflüchteten sollen möglichst noch gestoppt werden bevor sie die Gewässer von EU-Mitgliedstaaten erreichen. EUROSUR ist kein militärisches System, angeblich sind die maritimen Überwachungssysteme ausschließlich ziviler Natur.

European Border Surveillance System. Bild: EU-Kommission/Frontex

Zunächst werden in EUROSUR "nationale Kontrollzentren" (NKZ) von 19 Mitgliedstaaten untereinander vernetzt (Festung Europa jetzt mit Bewegungsmelder). Hierzu gehören alle Mittelmeeranrainer sowie jene Staaten mit einer östlichen Außengrenze plus Norwegen als im Schengener Abkommen assoziiertes Land. Nächsten Monat sollen dann alle übrigen EU-Mitglieder folgen, zuzüglich Island, der Schweiz und Liechtenstein. Als Hauptquartier fungiert die EU-Grenzpolizei Frontex mit Sitz in Warschau, wo in einer neuen Kommandozentrale jeder Vorfall an einer EU-Außengrenze grafisch angezeigt wird. Die Modernisierung der Kontrollzentren sowie die Einrichtung der Kommandozentrale in Warschau wurde von der EU mit rund 244 Millionen Euro gefördert.

Unter Federführung der spanischen Guardia Civil

Eigentlich dürfen keine "Drittstaaten" beim EUROSUR-System mitmachen. Um aber auch Länder des Arabischen Frühlings in die EU- Migrationsabwehr zu integrieren, errichtet die Regierung Spaniens das kleinere grenzpolizeiliche Überwachungsnetzwerk "Seepferdchen Mittelmeer" ("Seahorse Mediterraneo"). An dem von der spanischen Guardia Civil geführten Projekt wollen alle EU-Mitgliedstaaten teilnehmen, die eine Außengrenze am Mittelmeer haben (Frankreich, Italien, Portugal, Malta, Griechenland und Zypern).

Das Projekt folgt einem bereits existierenden Netzwerk "Seepferdchen Atlantik" ("Seahorse Atlantic"), das ebenfalls unter spanischer Leitung steht. Auch Mauretanien, Marokko, Senegal, Gambia, Guinea Bissau und die Kap Verden sind dort mit "regionalen Koordinierungszentren" (RKZ) angeschlossen. Die afrikanischen Länder erhielten hierfür 1.373.000 Euro aus EU-Mitteln (80%) bzw. aus Spanien (20%). Das RKZ in Spanien kostet 1.838.000 Euro und wird ebenso zu 80% von der EU gefördert.

"Seepferdchen Mittelmeer" soll ab 2015 in Betrieb genommen werden, die technische Ausstattung erfolgt nach einer öffentlichen Ausschreibung in 2014. Dann können alle teilnehmenden Staaten "direkte Informationen über Zwischenfälle und Patrouillen per Satellitenkommunikation in Beinahe-Echtzeit austauschen". In Italien und Malta sollen nach spanischem Vorschlag für "Seepferdchen Mittelmeer" regionale Lagezentren eingerichtet werden, die an dort existierende Zentren von EUROSUR angebunden werden.

Anschluss von Libyen durch die Hintertür

In Ausführungen des Europäischen Auswärtigen Dienstes (dem für Außen- und Sicherheitspolitik zuständigen Gremium der EU) heißt es unverblümt, die "Seepferdchen"-Systeme zur Grenzüberwachung des Mittelmeers seien eigentlich eingerichtet worden, um "die Kapazitäten von Behörden in Ländern Nordafrikas zur Beantwortung irregulärer Migration zu stärken".

Es ist vor allem auf Libyen gemünzt: Vor zwei Jahren hat die Regierung in Tripolis eine Erklärung unterzeichnet, wonach das Land an "Seepferdchen Mittelmeer" mitarbeiten will und hierfür Lagenzentren der Marine und der Küstenwache in Benghasi und Tripolis einrichtet. Beide Behörden unterstehen aber dem Verteidigungsministerium (Libyen wird polizeilicher Vorposten der EU).

Das "Seepferdchen"-System ist laut Bundesregierung "kompatibel" mit dem EU-Überwachungsnetzwerk EUROSUR und kann dort "integriert werden". Sowohl die EU-Kommission als auch die Bundesregierung hatten aber jahrelang bestritten, dass Libyen oder andere nordafrikanischen Länder direkt oder indirekt über "Seepferdchen Mittelmeer" an EUROSUR angeschlossen werden könnten. Zwischen libyschen Kontrollzentren und "Seepferdchen Mittelmeer" gebe es keinen Informationsaustausch.

Aus dem Dokument zur Umsetzung von Maßnahmen einer "Task Force Mittelmeer" geht jedoch hervor, dass Informationen aus den libyschen Kontrollzentren von "Seepferdchen Mittelmeer" in Benghasi und Tripolis sehr wohl in EUROSUR einfließen sollen. Als vermittelnde Stelle dienen die NKZ jener EU-Staaten, die an "Seepferdchen Mittelmeer" teilnehmen ([…] information transfer between EUROSUR and Seahorse Mediterraneo via the EUROSUR national coordination centres of the above mentioned Member States").

Mit dem libyschen Militär war vereinbart worden, im April 2014 eine Ausschreibung für "gemeinsame Infrastruktur" zu veröffentlichen. Hierzu gehöre sowohl die Ausrüstung als auch die Beschaffung von Hard- und Software. Entsprechende Vorhaben würden in einem "Steering Committee" behandelt.

EUROSUR ist also doch ein System der militärischen Aufklärung, das überdies mit einer Regierung paktiert, die für ihre Menschenrechtsverletzungen gegenüber Migranten berüchtigt ist. Erste Pogrome hatte es nach dem Sturz von Gaddafi gegeben; noch immer sind Hunderte, vielleicht sogar Tausende in libyschen Gefängnissen inhaftiert. Die Anstalten werden teilweise von Milizen geführt, selbst die Bundesregierung bestätigt, dass dort regelmäßig gefoltert wird (Von der EU aufgebaute "Grenzschutztruppen" in Libyen verselbständigen sich).

European Border Surveillance System. Bild: EU-Kommission/Frontex

Tunesien, Algerien und Ägypten sollen folgen

Aus einem von der britischen Bürgerrechtsorganisation Statewatch veröffentlichten Ratsdokument geht hervor, dass auch eine von der EU lancierte Polizeimission beim Aufbau von "Seepferdchen Mittelmeer" mitgeholfen hat (Deutsche Polizei hilft bei militärischer Grenzsicherung in Libyen). Die EU-Grenzagentur Frontex war demnach ebenfalls daran beteiligt, libysche Militärs haben bereits mehrere Treffen und Veranstaltungen im Frontex-Hauptquartier besucht.

Das ist heikel, denn die EU-Polizeimission bildete bewaffnete Milizen aus, die damals entweder mit dem libyschen Verteidigungs- oder dem Innenministerium kooperierten (genau genommen handelte es sich also eher um eine EU-Militärmission). Eigentlich sollten diese Verbände über eine neu gegründete Gendarmerietruppe an das Verteidigungsministerium angebunden werden.

Passiert ist das Gegenteil, einige der Milizen kämpfen nun im Bürgerkrieg sogar gegeneinander. Die EU hält das Militär aber immer noch für einen Garanten der öffentlichen Sicherheit und will die Polizeimission möglichst rasch wieder aufnehmen. Über Projekte wie "Seepferdchen Mittelmeer" wird der Kontakt mit den Militärs inmitten des zusammenstürzenden Staatswesens aufrechterhalten.

Der Rat der Europäischen Union fordert weitere Anstrengungen, um auch andere "relevante Staaten" Nordafrikas zur Teilnahme an "Seepferdchen Mittelmeer" zu bewegen. Genannt werden Tunesien, Algerien und Ägypten. Laut der EU-Kommission sei der Druck auf die Länder aber nicht ausreichend.

Aus dem bereits zitierten Kommissionsdokument geht hervor, dass auch Tunesien mit "Schiffen, Fahrzeugen, technischer Ausrüstung und Trainings" aus EU-Mitteln unterstützt wird. Ein ähnliches Projekt sei für Ägypten "in der Pipeline". Mit anderen afrikanischen Ländern sei ebenfalls eine "Verbesserung des Austauschs von Aufklärungsdaten" angestrebt.