Wäre es an der Zeit, die Kohle- und Atomkonzerne zu enteignen?

Die Energie- und Klimawochenschau: Gabriel kann sich keinen Kohleausstieg vorstellen, Wissenschaftler und Opposition aber sehr wohl. Fragt sich, wer das alles finanzieren soll?

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Hat er es nun gesagt oder nicht? Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel soll sich, so will der Spiegel erfahren haben, in einer nicht näher bezeichneten internen Runde vom deutschen Klimaschutzziel verabschiedet haben.

Dieses war noch zu seinen Zeiten als Bundesumweltminister beschlossen worden, von der ersten Regierung Merkel 2008, und sieht vor, dass die deutschen Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 reduziert werden sollen. Dann wären die hiesigen Prokopf-Emissionen mit rund neun Tonnen CO2 pro Bundesbürger und Jahr zwar immer noch um 7,5 bis acht Tonnen zu hoch. Allerdings hatten bereits damals Fachleute Gabriel und Merkel vorgerechnet, dass mit den seinerzeit beschlossenen Maßnahmen nicht einmal dieses unzureichende Ziel geschafft werden kann (siehe Klimaziele: Deutsche Ankündigungspolitik).

Natürlich hat Gabriel den Spiegelbericht eiligst dementieren lassen und auch aus dem Bundesumweltministerium verlautet, dass "die Darstellung des Spiegels ... jeder Grundlage entbehrt". Gabriel selbst bekräftigte gegenüber der ARD, dass er an dem offiziellen Klimaschutzziel festhalten wolle. Zugleich versuchte er sich allerdings zum wiederholten Male in der Quadratur des Kreises, indem er sein Bekenntnis zur Kohle erneuerte: Er halte nichts davon, "so zu tun, als könnte man zeitgleich zum Atomausstieg auch einen Kohleausstiegsplan machen", wird er auf der Internetseite der Tagesschau zitiert. Er gehe allerdings davon aus, dass die Rolle der Kohle in den nächsten Jahrzehnten zurückgehen werde.

Offenbar wollte der SPD-Chef damit Pflöcke für die laufende Auseinandersetzung mit seiner Parteikollegin und Bundesumweltministerin Barbara Hendricks einschlagen. Diese hatte die Stilllegung von Kohlekraftwerken ins Spiel gebracht, um die Klimaschutzziele doch noch zu erreichen. Die Bundesregierung will Anfang Dezember über einen Maßnahmen-Katalog entscheiden, der die Lücke schließen soll. Derzeit, so hatte sie im Sommer auf eine Anfrage der Grünen zugegeben, reichten die beschlossenen Maßnahmen nur, um 33 Prozent Reduktion zu erreichen (Klimaschutzlücke). In den letzten Jahren hatte der Trend der deutschen Treibhausgasemissionen wieder nach oben gezeigt, hauptsächlich eine Folge der Verdrängung von Gas- durch Kohlekraftwerke, sowie des wachsenden Stromexports, der sich für die Besitzer deutscher Kohlekraftwerke lohnt, weil sie kaum etwas für ihre Treibhausgasemissionen bezahlen müssen.

Kohleausstiegsplan

Bei den Umweltorganisationen WWF und Germanwatch geht man indes davon aus, dass das 40-Prozent-Ziel nur mit einer deutlichen Verminderung des Einsatzes von Kohle erreicht werden kann. Um die globale Erwärmung auf maximal zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, müssten bis 2020 in Deutschland die jährlichen Emissionen aus der Stromerzeugung um mindestens 100 Millionen Tonnen CO2 reduziert werden.

Dafür müssten Braunkohlemeiler nach 35 Jahren und Steinkohlekraftwerke nach 40 Jahren Laufzeit konsequent stillgelegt werden. Alternativ könnte man allen Kohlekraftwerken nach 35 Jahren Betriebsdauer Höchstgrenzen für ihre CO2-Emissionen auferlegen, bevor diese nach 40 Jahren endgültig vom Netz gingen. Diese Lösung ließe sich so gestalten, dass den Unternehmen durch die Festlegung von jährlichen CO2-Frachten mehr Flexibilität bliebe, wann welches Kraftwerk in den verbleibenden fünf Jahren Betriebsdauer vom Netz zu nehmen ist.

Germanwatch

Im Sommer hatte der WWF bereits in einer anderen Studie vorgerechnet, dass allein die vier größten deutschen Braunkohlekomplexe Neurath, Niederaußem - beide von RWE im Rheinland betrieben -, Jänschwalde (Vattenfall, Brandenburg) und Boxberg (Vattenfall, Sachsen) zusammen bereits auf einen CO2-Ausstoß von jährlich 110 Millionen Tonnen kommen. Das ist mehr als ein Drittel aller deutschen Kraftwerksemissionen und rund ein Siebentel der gesamten deutschen CO2-Emissionen. Der WWF hatte daher gemeinsam mit anderen letzte Woche die schwedische Regierung aufgefordert, nicht einfach Vattenfalls deutsches Braunkohlegeschäft zu verkaufen, weil dies für den Klimaschutz ein Nullsummenspiel würde. Vielmehr solle die sozialdemokratisch-grüne Minderheitsregierung die Tagebaue und Braunkohlekraftwerke geordnet abwickeln. Fraglich ist allerdings, ob die Regierung, die nicht einmal 40 Prozent der Parlamentarier hinter sich hat, dafür im schwedischen Reichstag eine Mehrheit finden kann.

Ausstieg bis 2040

Dessen ungeachtet fordert die energie- und klimapolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Eva Bulling-Schröter, für Deutschland einen "Countdown für den Kohleausstieg". Bis 2040 sei ein schrittweiser Ausstieg möglich, und zwar trotz gleichzeitigen Ausstiegs aus der Atomenergienutzung. Das hätte unter anderem auch der Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen (SRU) festgestellt. Als erstes sollten die ineffizientesten Braunkohlekraftwerke vom Netz gehen, "anschließend planvoll, schrittweise und sozialverträglich - zum Beispiel durch Strukturmaßnahmen für wegfallende Arbeitsplätze - bis 2040 die übrigen Anlagen. Dies schafft auch Planungssicherheit für die Energiewirtschaft und ihre Beschäftigten." Der SRU hatte vorgeschlagen Kohlekraftwerke generell nach 35 Jahren vom Netz zu nehmen.

Das Argument Gabriels, der Strom könnte dann zu teuer werden, lässt Bulling-Schröter nicht gelten. Der Minister solle lieber "gesamtstaatliche Verantwortung übernehmen", statt "auf die SPD-Wählerklientel in NRW zu starren". Er könne schon jetzt manches tun, um den Strom für die Verbraucher zu verbilligen. Zum Beispiel müssten diese derzeit eine höhere EEG-Umlage tragen, weil die Koalitionsparteien den Braunkohletagebau von dieser befreit haben. Die Kraftwerksbesitzer müssten für den Kohleausstieg "finanziell stärker in die Verantwortung genommen" werden.

AKW Isar. Bild: Uwekohlmaier/CC-BY-SA-3.0

Verantwortungslos

Das gleiche ließe sich auch bezüglich der Abwicklung der Atomindustrie fordern, angesichts dessen, wie diese mit dem Atommüll umgeht. Der NDR berichtet, dass es deutlich mehr beschädigte Atommüllfässer in den Zwischenlagern gibt, als bisher der Öffentlichkeit bekannt ist. Eine Umfrage unter den Atomaufsichtsbehörden der Länder habe ergeben, dass fast 2000 Fälle von teils stark, teils leicht beschädigten Fässern mit schwach- und mittelradioaktivem Müll an 17 Standorten an Atomkraftwerken und anderen Sammelstellen bekannt sind. Die Bundesregierung habe keinen genauen Überblick. Die katastrophalen Zustände am stillgelegten Vattenfall-AKW in Brunsbüttel seien nur die Spitze des Eisberges.

Offensichtlich ist nur ein Bruchteil der Fässer, die zum Teil schon vor Jahrzehnten befüllt wurden, bisher untersucht worden. Die Behälter seien nur als Zwischenlösung für wenige Jahre gedacht gewesen, doch das Endlager für den schwach- und mittelaktiven Müll könne bis heute nicht befüllt werden.

Jochen Stay von der Anti-Atom-Organisation .ausgestrahlt meint dazu: "Wenn selbst schwach radioaktive Abfälle nicht einmal über wenige Jahrzehnte sicher gelagert werden können (...) dann ist es an der Zeit, die weitere Produktion von Atommüll zu beenden. Das gilt sowohl für die noch neun laufenden Atomkraftwerke, die Brennelementefabrik in Lingen, wie auch für die gigantische Mengen Müll produzierende Urananreicherungsanlage in Gronau."

Außerdem stellt sich die Frage, wie die Ewigkeitskosten der Atomindustrie, die Verwahrung des Atommülls für viele Jahrzehntausende und der aufwendige Abriss der kontaminierten Meiler finanziert werden sollen? Würden die Rückstellungen der Betreiber dafür wirklich reichen? Sind diese wirklich sicher angelegt, sodass sie einen etwaigen Untergang der Konzerne überstehen könnten?

Zwar haben die vier großen Stromkonzerne RWE, EnBW, Vattenfall und E.on, denen die AKW überwiegend gehören, in den letzten Jahren noch rekordverdächtige Betriebsergebnisse erzielt. Aber offensichtlich haben sie mit dem Aufkommen von Sonne, Wind&Co. erhebliche Probleme. Sollte man sie nicht lieber in einen öffentlich kontrollierten Fonds überführen, solange ihr Wert noch nicht vollkommen zusammengebrochen ist? Aus diesem Fonds könnte dann die Abwicklung der Atomwirtschaft finanziert werden. Artikel 14 Absatz (2) und (3) des Grundgesetzes sollten das doch eigentlich hergeben.