"Wir wurden gleich mit der Propaganda-Keule begrüßt"

Iwan Rodionow im Gespräch mit Harald Neuber.

Der Chefredakteur von RT Deutsch, Iwan Rodionow, über deutsche Kollegen, Demagogie und den "fehlenden Part"

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Iwan Rodionow leitet in Berlin die TV-Nachrichtenagentur Ruptly, ein Tochterunternehmen des russischen Auslandssenders RT International. Nach mehrmonatiger Vorbereitung ist er am 6. November 2014 mit einem deutschen Online-Programm von RT (RT Deutsch) gestartet. In der Redaktion: Sechs Mitarbeiter und vier Online-Kollegen.

In den deutschen Medien bekam der "Fernsehrusse" Rodionow (Tagesspiegel) heftig Gegenwind. Das ficht den Chefredakteur der noch jungen Redaktion nicht an. "Das ist ein Problem der Berichterstatter", sagt er im Gespräch mit dem Onlinemagazin Telepolis, für das Harald Neuber ihn auch zur Kritik an Ausrichtung und Programm befragte. Zum ersten Mal in der deutschen Presse. Kein anderes Medium hatte mit dem Journalisten seit Sendestart des deutschen RT-Programms gesprochen.

Herr Rodionow, Sie sind mit RT Deutsch angetreten, um - wie Sie schreiben - dem "einseitigen und oft interessengeleiteten Mainstream" etwas entgegenzusetzen. Warum brauchen wir Deutschen ein russisches Medium dafür?

Iwan Rodionow: Das soll der Zuschauer entscheiden, ob er noch einen Sender braucht oder nicht. Im Moment zeigen die Zahlen - die Abrufe und die Klicks -, dass es für ein Medium wie RT Deutsch durchaus Platz gibt. Obwohl es sehr verpönt ist, wie die jüngsten Artikel in der Zeit und in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zeigen ...

Auf diese Berichterstattung kommen wir gleich noch.

Iwan Rodionow: ... aber die Entscheidung liegt beim Zuschauer.

Tatsächlich waren die Reaktionen in der deutschen Presse durchweg negativ. Bei der FAZ schrieb Michael Hanfeld, Putin versuche mit dem Projekt, "auf die hiesige Meinungsbildung Einfluss zu nehmen". Deutlich aggressiver kommentierte Carsten Luther bei der "Zeit": "Es ist erschreckend, wie dort gelogen und verbogen wird." Andere Journalisten interessierte vor allem die Rocklänge der Moderatorin.

Wenn wir uns andere staatlichen Auslandssender wie die BBC oder die Deutsche Welle ansehen, dann wird deutlich: Die berichten über die jeweilige Landespolitik für das Ausland. Sie hingegen berichten aus russischer Perspektive über Deutschland. Funktioniert das?

Iwan Rodionow: Ja, RT Deutsch ist eben ein deutsches Medium, von deutschen Journalisten produziert, für deutsche Mediennutzer.

Welche redaktionellen Schwerpunkte wird RT Deutsch denn verfolgen? Welche Kernthemen haben Sie?

Iwan Rodionow: Das haben wir gleich in der ersten Sendung angesprochen, zu diesen berühmten Bildern von Wladimir Putin beim Fischfang, Putin mit einem Amurtiger und Putin beim Judo. Das sind unsere drei größten Themen.

Sie haben das ein bisschen ironisch aufgezogen. Aber mal ernsthaft: Welche Themen wird RT Deutsch verfolgen?

Iwan Rodionow: Das war natürlich nicht nur ein bisschen ironisch, sondern das war von vorne bis hinten ironisch. Und das ist der einzige Weg, auf dem wir den Vorwürfen gegen RT Deutsch begegnen können. Und zwar Vorwürfen, die geäußert wurden, ohne ins Programm reingeschaut zu haben. Wir wurden gleich mit der Propaganda-Keule begrüßt.

Im Nachgespräch gab Rodionow die zentralen Themen auf nochmalige Nachfrage mit "Aktualität, Politik, Gesellschaft und Medien" an.

Und die Vorwürfe waren ja nicht zimperlich. Da war von ,,Propaganda" die Rede und von "Verzerrung". Es hieß - ich meine von den "Reportern ohne Grenzen" - sogar, Sie seien gefährlich. Wie gefährlich sind Sie, Herr Rodionow?

Iwan Rodionow: Ich bin sehr gefährlich, total gefährlich. Ich bin hier mit dem Team meiner Kollegen dafür da, um dieses monolithische Meinungsbild zu zerstören und eine andere Perspektive in dieser Medienlandschaft zu gewähren. Und das ist anscheinend eine Gefahr für den ach so unbedarften, naiven Mediennutzer, dem es nicht zugetraut wird, sich aus dem bestehenden Medienangebot schlau zu machen. Dieser Mediennutzer muss offenbar mit direkten Hinweisen geschützt werden: "Hallo, hier ist Propaganda, hier ist Lüge, dort sind die Guten; hier sind die Bösen, hier ist schwarz, dort ist weiß."

Nun haben Sie eben gesagt, RT Deutsch wird von deutschen Journalisten gemacht. Aber Sie bekommen ja Geld, Sie werden finanziert aus Russland, aus Moskau!

Iwan Rodionow: Es sind deutschsprachige Journalisten. Unsere Moderatorin etwa ist eine Deutsch-Brasilianerin mit amerikanischer Bildungsprägung und schwäbischer Sozialisierung. Wir haben unseren Reporter Nikolaj Gericke, der aus der Schweiz stammt, mit iranischen Wurzeln, und der auch in Amerika aufgewachsen ist. Deutsch heißt, dass sie sich über ihre Kultur und ihre Sprache identifizieren. Das sind Beispiele dafür, dass es ein sehr internationales Team ist.

Später wird der RT-Deutsch-Chefredakteur auf die Nachfrage, welche Auswirkung die Finanzierung aus Russland denn nun hat, antworten: "Dass RT Deutsch dem deutschen Gebührenzahler nicht auf der Tasche liegt."

"Ein Propagandist ist offenbar nur anderer Meinung"

Aber wie funktioniert das denn mit den redaktionellen Inhalten? Entscheiden Sie das selbst oder stimmen Sie das mit Ihrer Mutterredaktion, mit RT International, ab?

Iwan Rodionow: Nun, laut den deutschen Medien soll ich eine Hotline zu einem Kreml-Bunker haben, von wo aus alle Themen vorgelegt werden. Wir haben also gar kein Problem damit, die Themen für den Tag zusammenzutragen, weil wir ja schon alles vorgesetzt bekommen. Aber wie Sie sehen, musste ich auch Sie heute eine ganze Weile hinhalten, weil wir andauernde redaktionelle Besprechungen haben. Mal fällt ein Gast raus oder ein anderer muss kurzfristig absagen, dann müssen wir vieles umstellen. Alles, was wir produzieren, alle Themen, die wir ansprechen, werden in diesen redaktionellen Konferenzen in einem relativ kleinen Raum unten in diesem Gebäude entworfen, besprochen und umgesetzt. Bei einem Team aus sechs Journalisten, die diese Sendung produzieren, und Vieren, die Inhalte für die Webseite produzieren, wirkt das manchmal schon fast klaustrophobisch. In diesem kleinen Raum, in den ich Sie wegen Platzmangels noch nicht einmal einladen kann, werden die ganzen Inhalte besprochen, entworfen und dann auch umgesetzt.

Nun war aber trotzdem zu lesen, der Iwan Rodionow, das ist ein Kreml-Propagandist. Was entgegnen sie denn solchen Stimmen?

Iwan Rodionow: Warum muss ich denen etwas entgegnen? Sie können mich für einen Kreml-Propagandisten halten. Dazu braucht man ja auch keine Belege vorlegen. Er ist eben ein Kreml-Propagandist. Das reicht schon. Es reicht ja auch schon zu behaupten, der eine oder andere sei ein Verschwörungstheoretiker. Oder, besser noch, ein Antisemit. Das wäre noch eine Steigerung. Aber Kreml-Propagandist, das ist so ungefähr die Stufe eins von diesem Treppchen, bei dem man keine Beweise schuldig ist. Ich vertrete RT Deutsch, ich vertrete hier eine andere Perspektive, eine andere Meinung. Und damit katapultiere ich mich selbst in die Ecke der Propagandisten. Anders: Ein Propagandist ist offenbar nur anderer Meinung.

In Ihrer ersten Sendung sind Sie ausschließlich ironisch mit der Kritik an Ihnen umgegangen. Aber ist diese Diffamierung, diese sehr unfaire Berichterstattung durch hiesige Medien nicht auch ein Problem - wenn es etwa darum geht, Interviewpartner zu finden?

Iwan Rodionow: Ich sehe in der Art, in der über RT Deutsch berichtet wird, überhaupt kein Problem. Das ist ein Problem der Berichterstatter. Aber anscheinend hat sich da recht viel Galle angestaut, die jetzt auf RT Deutsch abgelassen wird. Das nehmen wir ganz locker und entspannt hin.

Was aber unsere Gäste angeht: Wir setzen meistens auf Gäste, die von den Mainstream-Medien übergangen werden, die ignoriert werden. Das jüngste Beispiel ist dieser Gysi-Skandal im Bundestag. Niemand hat bei diesen vermeintlichen Israel-Hassern nach einem Interview gefragt. Bei der BILD wurden sie ausdrücklich mit einer Absage abserviert: "Nein, wir wollen Eure Meinungsäußerung gar nicht, wir wollen Euch nicht interviewen, wenn wir Euch als Antisemiten und Israel-Hasser darstellen." Dabei ist das absurd. Beide sind Juden, der eine Israeli, der andere Amerikaner. Wir haben einen von ihnen, nämlich Max Blumenthal, in unser Studio eingeladen, um ihn zu befragen. Das heißt, mit diesem alternativen Ansatz haben wir bei der Gästeauswahl noch keine Probleme. Wenn es um Politiker geht, dann stellt sich natürlich die Frage, wie der jeweilige Gast das empfindet und ob sein Auftritt bei RT Deutsch so eine Art Stigma sein könnte.

Wobei man zu Blumenthal sagen muss, dass er durchaus auch von der taz interviewt wurde. Aber gut, auch Sie hatten ihn im Studio. Wie viele Interviewabsagen haben Sie denn für Ihre ersten Sendungen bekommen?

Iwan Rodionow: Ich habe die nicht gezählt. Aber wie in jeder Medienredaktion haben Gäste aus ganz unterschiedlichen Gründen abgesagt. Bisher wurden aber kein einziges Mal Berührungsängste mit RT Deutsch als Grund für eine Absage angeführt. Damit haben wir bislang noch nicht zu tun gehabt ...

... wobei der Chefredakteur der Seite netzpolitik.org in einem Artikel erklärt hat, dass er Ihnen kein Interview geben wird, weil Sie ja ein Propagandamedium seien.

Iwan Rodionow: Ich glaube nicht, dass wir beim Chefredakteur von netzpolitik.org schon einmal nachgefragt haben. Aber selbst wenn wir das getan haben und er uns nun absagt und das zur Selbstdarstellung verwendet, um sich als "Gegenpropagandisten" ins Szene zu setzen, dann sei ihm das gegönnt. Aber wäre es dann nicht logischer, wäre es nicht zweckdienlicher, sich mit RT Deutsch direkt auseinanderzusetzen? Wir sind dafür offen. Wir laden wirklich gerne Gäste mit allen Standpunkten und allen Perspektiven zu uns ein.

Ich komme gleich noch einmal auf diese unterschiedlichen Perspektiven zu sprechen. Herr Rodionow, war es nicht aber auch ein Problem, dass Ihr Projekt quasi mit einer Generalattacke auf die deutschen Medien, auf die deutschen Journalisten gestartet ist? Sie haben ja zu Beginn gesagt, Sie vertreten hier eine andere Perspektive, weil die deutschen Medien, die deutschen Journalisten dazu nicht fähig sind. Verstehen Sie als Journalist diese Abwehrmechanismen nicht auch?

Iwan Rodionow: Soll das eine Attacke sein? Im Fall der Ukraine haben die Medien von links bis rechts alle so tendenziös und einseitig berichtet, dass es wirklich über jedes Maß hinausging. Die Medien sind in eine Art Wagenburgmentalität verfallen, als sie sich gegen die eigenen Zuschauer und Nutzer aggressiv mit der Behauptung verteidigt haben, alle, die sie wegen Einseitigkeit kritisieren, seien entweder bezahlte Putin-Trolle oder notorische Putin-Versteher. Und all das widerspiegele gar nicht das eigentliche Meinungsbild in Deutschland.

Soll unsere Haltung vor diesem Hintergrund eine Attacke sein? Es ist eine andere Perspektive, wir bieten eine andere Plattform zur Meinungsäußerung und eine Möglichkeit, für diejenigen, die sich in der aktuellen deutschen Medienlandschaft nicht ausreichend informiert fühlen sollten, sich anderweitig zu informieren. Keiner wird ja gezwungen, auf RT Deutsch zu klicken oder sich unsere Sendung reinzuziehen.