Militärbilder

Wie Quellentexte Fernsehbilder eindeutiger machen sollen - und zu ganz eigenen Narrativen führen

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Das Fernsehen hat seinen Bildern nie so richtig getraut. In den Nachrichtensendungen wurde deshalb immer wieder auf die Herkunft der Bilder hingewiesen. Zunächst erläuterten vor allem Stimmen aus dem Off, dass "Hier Archivbilder" gezeigt werden. Inzwischen setzt man zusätzlich auf den Textbaustein "Quelle". Oben oder unten, rechts oder links im Bild wird eingeblendet, woher die Aufnahmen kommen und - seit neuestem - was sie bedeuten. Aber das ist längst nicht bei allen Bildern der Fall. Die Mehrzahl scheint noch immer unkommentiert - quasi hinter den Texten - mitzulaufen.

Die Anfänge dieser Quellenangaben liegen im Dunkeln, doch spätestens während des Golfkriegs 1991 begannen die Fernsehsender, Bilder und Filmsequenzen mit Kurztexten wie "CNN" oder "U.S. Pool Tape. Cleared by U.S. Military" zu versehen. Im "ersten totalen elektronischen Krieg der Geschichte" (Paul Virilio) standen erstmals Bilder in "Echtzeit" zur Verfügung. Geliefert von CNN - und von beteiligten amerikanischen Militärgruppen. Bis heute liefern militärische Institutionen eigene Bilder (Welche Bilder darf man zeigen?) und dringen damit immer wieder auch in die Nachrichtensendungen.

In jüngster Zeit konnte man wenigstens folgende "Quellen" finden: "Bundeswehr", "Französische Luftwaffe", "Irakische Armee", "Irakische Sicherheitskräfte", "Verteidigungsministerium Irak", "Irakischer Geheimdienst", "Israelische Armee", "Israelisches Militär", "Kurdische Kämpfer", "Kurdisches Militär", "Propagandavideo Kurdenmiliz YPG", "Nato", "Militär Ukraine", "Syriac Military Council", "US Armee", "US-Marine", "US-Militär", "US Navy" oder "US-Verteidigungsministerium". Und manchmal steht auf den Bildern schlicht "Archiv" oder - und meistens - gar nichts.

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Der letzte Boom militärischer Aufnahmen dürfte mit den ersten Einsätzen der Anti-IS-Koaliton am 23. September 2014 in Syrien initiiert worden sein. ZDF heute (19 Uhr) begann mit Bildern von einem US-Flugzeugträger "drei Uhr nachts": Abschüsse, Lichtblitze, Personal, Flugzeuge. Oben auf den Bildern stand: "Quelle: US-Marine". "Bilder von der Zerstörung am Boden", so erläuterte Autor Christoph Destairel, "gibt es noch nicht".

In der Tagesschau (20 Uhr) berichtete Tina Hassel (Washington), dass "Tomahawkraketen" und "modernste Kampfjets" eingesetzt wurden und mit "voller Macht zuschlugen". Teil ihres Berichts waren auch die Flugzeugträgerbilder, die rasch vorbei huschten; Quellenangaben gab es nicht. Das Fremdmaterial wirkte wie Eigenmaterial.

Noch am 23. September gab es erste offizielle Bilder von den (vermeintlichen) Einschlagstellen. Sie waren offenbar "unmittelbar nach der ersten Angriffswelle" (von drei) entstanden und schlossen nahtlos an jene lautlosen Videobilder einschlagender Bomben an, die seit dem Golfkrieg fester Bestandteil hochtechnisierter Kriege geworden waren.

Dietmar Ossenberg (Kairo) brachte grau-weißen Aufnahmen in seinem Bericht für das ZDF heute journal (21.45 Uhr) und nannte sie "Bilder des Pentagon wie in dem Golfkrieg". "Sie sollen zeigen, wie Hauptquartiere, Trainingszentren und militärische Einrichtungen der Terrorbrigaden zerstört werden".

Die Bilder waren in der Umlaufbahn - und sie wurden wieder und wieder gezeigt. ZDF heute (24.9.) brachte die Aufnahmen vom - so verlautete aus dem Off - "US-Verteidigungsministerium" (12 Uhr) bzw. vom "US-Militär" (19 Uhr). Die Tagesschau (20 Uhr) machte von ihrem Auswahlrecht Gebrauch und verzichtete auf diese Bilder. Doch einen Tag später waren sie in der 15 Uhr-Ausgabe plötzlich wieder da. "Quelle: Internet-Video".

Abb. 2: ZDF heute, 24.9.2014, 19 Uhr; Tagesschau, 25.9.2014, 15 Uhr

Klaus Kreimeier hat Mitte der 1990er Jahre ("Lob des Fernsehens") beschrieben, wie eine noch anders sozialisierte Generation in den Fernsehanstalten versucht hat, den beschleunigten Kriegsbildern durch gesprochene Kommentare einen anderen Sinn zu geben. Es sei schon damals ein "altes und nicht mehr taugliches Mittel" gewesen.

Inzwischen sind die Bilder so zahlreich und ihre Herkunft ist oft so unklar, dass das Fernsehen sie in seinen Nachrichtensendungen durch - hilflose - Hinweise wie "Quelle: Facebook", "YouTube", "Twitter", "Amateuraufnahmen" oder einfach "Internet" wieder einzufangen versucht.

Vor allem aber sind auch die Nachrichtensendungen moderner geworden: Die Bilder sind größer und wichtiger, die Schnitte rascher, die Einstellungen kürzer; die alte "Bild-Text-Schere" (Bernward Wember) wurde weiter geöffnet. Während der Berichterstatter noch erläutert, huschen die Bilder in raschem Rhythmus dahin. Einordnen, Erläutern, Hintergründe klären sind zur reinen (fernsehjournalistischen) Illusion geworden.

Und so werden die Bilder heute notdürftig mit Quellenangaben belegt. Mal für ganze Sequenzen, mal für einzelne Bilder; mal deutlich hervorgehoben und mal fast im Bild verschwindend, unlesbar in der raschen Abfolge. Die Praxis ist sehr unterschiedlich, variiert fast von Beitrag zu Beitrag. Aber manchmal wirken die Beiträge wie dadaistische Collagen.

Am 25. September etwa gab es wieder neue Bilder. Sie zeigten diesmal Angriffe auf Ölförderanlagen in altbekannter Videoästhetik. Das ZDF markierte sie mit "Quelle: US-Verteidigungsministerium"; Tagesthemen und - einen Tag später - das Sat1-Morgenmagazin verzichteten darauf. Die Bilder zirkulierten quasi frei. Der Zuschauer musste die Analyse selbst übernehmen.

Abb.3: ZDF heute, 25.9.2014, 19 Uhr; Nachrichten Sat1, 26.9.2014, 6.27 Uhr

Doch nicht nur die Markierung wird sehr unterschiedlich gehandhabt. Offenbar werden die Bilder auch auf irgendeiner Ebene des Veröffentlichungsweges redaktionell und ästhetisch bearbeitet (Ausschnitt/ Rahmen/ Format/ Dauer). Zuschauer unterschiedlicher Programme sehen so das Selbe und doch Unterschiedliches.

Am 28. September 2014, dem sechsten Tag der Angriffe auf IS-Stellungen, waren die Videobilder wieder gehäuft in den Nachrichten. Diesmal zeigten sie Luftangriffe in der Nähe von Kobane. Dann wurden die hochtechnischen militärischen Einsatzbilder von oben wieder rarer.

Militärbilder 2

Nachrichten berichten bekanntlich nicht, was ist, sondern was andere für wichtig halten. Seit dem Golfkrieg (CNN, ARD/ZDF-Morgenmagazin) und dann dem Irakkrieg hat sich die Zahl der Player auf dem Informationsmarkt erheblich vergrößert - und auf dem Fernseh- und Social-Media-Markt sind es vor allem ISIS und dann der Islamische Staat (IS), die hier Terrain gewonnen haben. Zu den hochtechnischen militärischen Bildern gesellten sich in den Nachrichten dann auch obligatorisch die Bilder vom Boden: Messer, Blut, Gewalt, Atavismus. Sie sind quasi die beiden kriegerischen Seiten der Nachrichtenmedaille, des aktuellen Informationssystems Krieg.

Abb. 4: Beide Aufnahmen ZDF heute, 23.9.2014, 19 Uhr

Noch intensiver als die staatlichen Militärbilder werden diese IS-Quellen (vergleichbar vielleicht mit den Warnhinweisen auf Zigarettenpackungen) gekennzeichnet: "Propagandavideo", "ISIS-Propagandavideo", "IS-Propagandavideo", "Propagandavideo Islamischer Staat". Die Bezeichnungen variieren - und manchmal scheint auch die Zwischeninstanz "Site-Institut" durch. Aber auch für diese "Propaganda"-Bilder gilt: Längst nicht in allen Fällen wird eine Kennzeichnung vorgenommen.

In den Fernsehsendungen, in Nachrichten und Dokumentationen rivalisieren Bilder zweier Parteien gegeneinander, die - so und so - nicht die Wirklichkeit wiedergeben, sondern "Propaganda" sind. Es sind mit gezielten Absichten hergestellte und ausgewählte Medienprodukte. "The Islamic State", so schreibt die Terrorismusforscherin Loretta Napoleoni, "has closely analysed the propaganda machine that the US and UK administration employed to justify the preventive strike in Iraq in 2003 … In a world overloaded with information, extreme violence sells the news."

Es gehört zu den interessantesten Fragen, warum diese Bilder markiert und unmarkiert so massenhaft im deutschen Fernsehen und seinen (investigativen) Informationssendungen gezeigt werden. Nur aus Mangel an anderen Bildern?

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Zwischen Hightechwar und atavistischem Krieg, zwischen Luft- und Bodenpropaganda, Tomahawk und Messer gibt es inzwischen eine dritte, quasi traditionelle Kriegsform und Propagandaästhetik. Es sind die - vereinzelt als "Propaganda-Video Kurdenmiliz YPG" oder "Kurdisches Militär" gekennzeichneten - Bilder von kurdischen Kämpfern und Kämpferinnen mit ihren (sauberen) Gewehren und Maschinengewehren. Auch sie werden längst gezielt hergestellt, und auch sie werden nicht immer markiert.

Am 27. September etwa berichtete Christel Haas in ZDF heute (17 Uhr) über die Kämpfe bei Kobane. "Die, die sich den Milizen entgegenstellen", so erklärte sie, "sind nicht stark genug, sie zu besiegen."

Der Film zeigte derweil - vermeintlich vor Ort aufgenommen - einen Schützen mit Panzerfaust vor blauem Himmel. Die Szene, so konnte man dem "Quelle"-Text im ZDF heute journal (19 Uhr) entnehmen, stammte aus einem nicht näher benannten "Video kurdischer Kämpfer".

Abb. 5: ZDF heute bzw. ZDF heute journal, 27.9.2014, 17 Uhr und 19 Uhr. Alle Screenshots Krug