Türkei auf dem Weg zum Überwachungsstaat

Nach dem Internetgesetz will die Regierung die Überwachungskompetenzen des Inlandsgeheimdienstes, der Polizei und der Gendarmerie drastisch erweitern

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Die türkische Regierung will die Überwachung weiter ausbauen und Geheimdienst, Polizei und Gendarmerie direkten Zugriff auf die persönlichen Daten der Bürger ermöglichen. Nachdem zu Beginn des Jahres ein Gesetzesvorhaben aufgrund des Einspruchs des damaligen Präsidenten Gül nicht weiter verfolgt wurde, hat gleich nach dem Amtsantritt von Recep Tayyip Erdoğan als neuem Präsidenten die Regierung unter Ahmet Davutoğlu den Gesetzentwurf in erweiterter Form vorgelegt. Kritiker warnten, die Türkei werde damit zu einem Überwachungsstaat. Jetzt gibt es offenbar die dritte Version.

Danach erhalten der Geheimdienst MIT, die Polizei und die Gendarmerie die Erlaubnis, "persönliche Daten zu verarbeiten". Auch die Finanzpolizei (MASAK) soll Zugriff erhalten, so Hürriyet, wenn sie gegen Personen ermittelt, die auf kriminelle Weise Geld erworben haben. Die Behörden müssen die Bürger nicht informieren, deren Daten sie sammeln, die Bürger sollen auch kein Auskunftsrecht erhalten und nicht die Möglichkeit, die Löschung der Daten zu fordern.

Und um das ungezügelte Überwachen von jeder Beschränkung zu befreien, werde die Behörden auch vom Komitee zum Schutz persönlicher Daten nicht überprüft. Und es kann auch verhindert werden, dass überhaupt Strafverfahren gegen den Geheimdienst eingeleitet werden können. Die Erweiterung der Kompetenzen des Geheimdienstes MIT und der Polizei dienen Erdogan dazu, seine Macht weiter zu stärken.

Es ist nicht so, dass die übrigen Behörden sich sehr zurückhalten müssen. Sie können "Namen, Telefonnummern, KFZ-Kennzeichen, Sozialversicherungsnummern, Passnummern, Biografien, Fotos, Videos, Audio-Aufzeichnungen, Fingerabdrücke und genetische Daten" sammeln, allerdings mit Benachrichtigung der Bürger. Sie sollen gelöscht werden, wenn der Grund der Datensammlung entfällt oder wenn der Betroffene einen begründeten Antrag stellt. Nicht gesammelt werden dürfen von den nichtprivilegierten Behörden - was heißt, dass dies dem Geheimdienst, der Polizei und der Gendarmerie schon gestattet ist - politische Überzeugungen, Religionszugehörigkeit, ethnischer Hintergrund, Gewerkschaftsmitgliedschaft, sexuelle Informationen oder frühere Verurteilungen.

Erst im September hatte das Parlament ein Gesetz verabschiedet, das die Internetüberwachung und -zensur drastisch erweitert. Die Telekomregulierungsbehörde TIB, die Erdogan am liebsten in den Händen des Geheimdienstes MIT sieht und bereits von einem früheren MIT-Mitarbeiter geleitet wird, kann eine Website innerhalb von vier Stunden schließen, um die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung zu wahren oder ein Verbrechen zu verhindern. Dann muss innerhalb eines Tages ein Gericht um Genehmigung gefragt werden, dass innerhalb von 48 Stunden reagieren muss.

Das Gesetz ist deutlich auf die Verhinderung von regierungskritischen Protesten wie die Gezi-Proteste ausgerichtet, die auch über die sozialen Netzwerke organisiert wurden. Seitdem kämpfte Erdogan dafür, Facebook und Twitter unter die staatliche Kontrolle zu bringen, MIT hat mehrmals versucht, die sozialen Netzwerke zu schließen. Ohne richterliche Genehmigung sollte TIB auch direkt auf die Verbindungsdaten von Internetnutzer bei den Internetprovidern zugreifen. Das Verfassungsgericht kippte die Regelung Anfang Oktober erst einmal. Man darf sicher sein, dass es in veränderter Form wiederkehren wird.