Islamisierung der Türkei

Präsident Erdogan pflegt die Abwehr gegen den Westen und würde gerne Führer der islamischen Welt sein

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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan pflegt die Stimmung gegen den Westen. Obgleich die Türkei Nato-Mitglied ist, gehört es zur Rhetorik des Vorsitzenden der islamischen Partei AKP, Stimmung gegen den Westen zu machen, um die Islamisierung der Türkei mitsamt des Abbaus des Rechtstaates voranzutreiben. "Ausländer" seien unfähig, so sagte er gestern, die Probleme des Mittleren Ostens zu lösen, weil sie "uns nicht mögen", sie würden nur dem Geld, dem Öl und der billige Arbeitskraft nachjagen, so Erdogan, der mitsamt seiner Partei tief verstrickt in Korruption ist und dessen Erfolg im bislang erreichten Wirtschaftswachstum des Landes liegt.

Selbstdarstellung auf der Präsidentenwebsite

Die übrigen Länder der "Wertegemeinschaft" Nato schweigen beredt zur Türkei, die auch im Syrienkonflikt ihren eigenen geopolitischen Interessen folgt und offenbar auch mit dem "Islamischen Staat" kooperiert, wenn es den eigenen Interessen passt, wie auch ein Bericht der Foundation for Defense of Democracies (FDD) nahelegt. Die Überwachung wird ausgebaut, gegen Proteste wird massiv vorgegangen, meist unter der Suggestion, sie seien vom Ausland gesteuert. Medien wird verboten, über vieles, was krumm läuft, überhaupt zu berichten.

Erdogan will sich offensichtlich an die Spitze der islamischen Länder setzen - und dies ganz offen auch gegen die USA und die EU. Auf dem Treffen der COMCEC (Standing Committee for Economic and Commercial Cooperation of the Organization of Islamic Cooperation) sagte er, nur die Einheit der islamische Welt könne die Krise überwinden: "Wenn wir zusammen handeln, werden wir die Einsamkeit Palästinas beenden, die fast ein Jahrhundert angedauert hat … Es ist möglich, das Blutvergießen in Irak und das Töten von syrischen Kindern zu beenden, wenn wir uns vereinen."

Schon zuvor hatte Erdogan beteuert, dass Amerika zuerst von Muslimen entdeckt worden sei. Jetzt beklagt er, er sei deswegen von westlichen Wissenschaftlern unter Kritik geraten, weil man nicht wolle, dass die Muslime irgendetwas in Frage stellen. Der Präsident fördert die Islamisierung der türkischen Gesellschaft. Zuletzt erfolgte der Beschluss, Moscheen in allen Universitäten zu bauen. Ein erster umstrittener Schritt war bereits 2010 erfolgt, als das Kopftuchverbot an Universitäten fiel. Letztes Jahr wurde Frauen im öffentlichen Dienst erlaubt, ein Kopftuch während der Arbeit zu tragen. Seit diesem Jahr dürfen Mädchen auch Kopftücher in Gymnasien tragen. Ataturk, der Gründer der Türkei, hatte Religion und Staat zu trennen versucht, Erdogan und die AKP wollen die Türkei in einen islamischen Staat verwandeln. Konsequent ist die Kritik an der Gleichberechtigung, die Erdogan kürzlich geäußert hat (Der Islamische Staat Türkei).

Drastisch geht man gegen Menschen vor, die mit der fortschreitenden Islamisierung, was auch heißt, mit der entsprechenden Geschlechterpolitik, nicht einverstanden sind. So trat gerade der Astrophysiker Rennan Pekunlu, 2012 zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, weil er angeblich 2012 eine Studentin, die ein Kopftuch trug, am Betreten der Universität hindern wollte, seine Haftstrafe an. Damit habe er das Verfassungsrecht auf den Zugang zur Ausbildung verletzt. Zuvor hatte der 64-Jährige noch eine Abschiedsvorlesung über das Universum und die Evolution gehalten (die Evolutionstheorie ist unter Islamisten unbeliebt). "Das ist nicht das Ende", soll er gesagt haben, während die Zuhörer riefen: "Die AKP-Diktatur wird zerfallen." Pekunlu weist die Anklage - und andere - zurück, sein Anwalt zieht vor den Europäischen Gerichtshof.