Hartz IV macht arm und depressiv

Arbeitsamt legt Arbeitslosen Bestätigung ihres Elends unter den Weihnachtsbaum

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Unter den Kritikern des Hartz IV-Gesetzes kursiert der Spruch von wegen "Armut per Gesetz". Wissenschaftlich bestätigt hat das nun eine Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Danach gelten immerhin 77 Prozent der Bezieher von Arbeitslosengeld II (ALG II) als armutsgefährdet. Darunter sind auch sogenannte Aufstocker. Bei Hartz IV-Beziehern, die gar keiner Arbeit nachgehen (können), liegt das Armutsrisiko sogar bei 84 Prozent.

Verbunden ist dieses Armutsrisiko - wer hätt's gedacht - mit Entbehrungen, einem schlechten Gesundheitszustand und schlechter Laune. So die Ergebnisse einer Erhebung zu "Sozialstruktur und Lebensumstände. Materielle und soziale Lage der ALG-II-Empfänger" (IAB Kurzbericht 24/2014).

Rechtzeitig zur Adventszeit beschert das IAB, die Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit, die Langzeitarbeitslosen in Hartz IV mit einer Erkenntnis, die diese schon längst am eigenen Leibe erfahren haben: Hartz IV macht arm. Im Mai 2013 bezogen 6,17 Millionen Menschen Leistungen nach Hartz IV, darunter waren 4,54 Millionen im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 64 Jahren. Über die Hälfte (53,4 Prozent) dieser Personengruppe war arbeitslos, ein Viertel (25 Prozent) waren Aufstocker, bei denen das Einkommen trotz Arbeit nicht zum Leben reicht, der Rest war in Ausbildung oder krank.

Armutsrisiko bedeutet nun ein Einkommen, das unterhalb von 60 Prozent des bundesdeutschen Medianeinkommens liegt. Das Medianeinkommen ist das Einkommen, bei dem die Hälfte der Personen mehr und die andere Hälfte der Personen weniger verdient. 77 Prozent der Alg-II-Bezieher leben nun in Haushalten, die als armutsgefährdet gelten. Bei Alleinstehenden lag diese Schwelle 2005 bei 875 Euro.

Ein Blick auf die Vermögensverhältnisse der ALG-II-Haushalte zeigt, dass diese längst alle Ersparnisse aufgebraucht haben, falls welche vorhanden waren: "Vermögenswerte von über 5.000 Euro spielen praktisch keine Rolle." In diesen Haushalten ist die Zahl derer, die überhaupt keine Ersparnisse haben, viermal so hoch wie bei "Normal"-Haushalten repektive Nichtbeziehern. Und nur 7 Prozent verfügen über Wohneigentum, verglichen mit sonst 53 Prozent in der Bevölkerung.

Wenig überraschend ist, dass angesichts dieser Armut(sgefährdung) die Lebenszufriedenheit geringer ausfällt als bei Menschen, die nicht auf Hartz IV angewiesen sind. Ursache ist dabei auch der erzwungene Verzicht. Verzichtet wird zum Beispiel auf zumindest eine warme Mahlzeit pro Tag (5 Prozent) oder auf ausreichende Winterkleidung (10 Prozent). Und 40 Prozent können sich keinen Zahnersatz oder eine neue Brille leisten. Zudem hapert es mit der Gesundheit: 46 Prozent der Langzeitarbeitslosen leiden an einer Behinderung oder einer schweren gesundheitlichen Einschränkung. Und 27 Prozent leiden unter seelischen Problemen wie Angst, Niedergeschlagenheit oder Reizbarkeit. Fazit der Studie:

Schließlich geht Arbeitslosigkeit mit einer vergleichsweise geringen Lebenszufriedenheit einher. Grundsicherungsempfänger sind mit ihrem Leben insgesamt weniger zufrieden als Personen, die keine Sozialleistungen beziehen.

Hartz IV macht also nicht nur arm, sondern auch depressiv.

Interessant ist noch der Blick auf die 25 Prozent Aufstocker (für den Juni 2012 waren das in absoluten Zahlen 1,3 Millionen Menschen). Davon haben 13,4 Prozent einen Minijob, 7 Prozent arbeiten in Teilzeit und immerhin 4,4 Prozent gehen einem Vollzeitjob nach, ohne davon leben zu können. Ihnen geht es insgesamt ein wenig besser als den völlig arbeitslosen ALG-II-Beziehern. So leiden hier "nur" 17 Prozent unter seelischen Problemen. Die Ursache für den Hartz IV-Bezug lag bei der Personengruppe der Aufstocker, was Singles anbelangte, vor allem in den niedrigen Stundenlöhnen. So mussten 2007 alleinstehende Hartz IV-Aufstocker im Westen zu 40,5 Prozent mit einem Bruttostundenlohn von unter fünf Euro nach Hause gehen, im Osten gar 60,2 Prozent. Wie sich hier die Einführung des Mindestlohns von 8,50 Euro auswirkt, bleibt abzuwarten.