Poroschenko: "Ich weiß, dass die Wahrheit mit uns ist"

Nach Putin durfte auch Poroschenko in der ARD auftreten, kritische Nachfragen sind offenbar tabu

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Das ARD-Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko war sicher auch dazu gedacht, das ausführliche Gespräch mit dem russischen Präsidenten (Das einfache schwarz-weiße Weltbild der deutschen Kanzlerin) zu kompensieren und so den ukrainischen Blick auf die Lage gleichwertig mit dem russischen zu stellen. Man will ausgewogen, bloß nicht putinfreundlich sein. Putin und Poroschenko gleichen sich - verständlicherweise? - darin, strikt den Blick nur auf den Gegner zu richten, um die eigene Politik lediglich als Reaktion auf die der anderen Seite darzustellen. Udo Lielischkies vermeidet es aber auch, selbst nur einmal kritisch den Antworten des Präsidenten nachzufragen. Das scheint mittlerweile Usus zu werden, womit die Medien zu Sprachrohren der Mächtigen geraten, egal ob sie Putin, Poroschenko oder Merkel heißen.

Der gebührende Abstand zwischen Macht/Geld und dem Journalismus wird gewahrt. Screenshot aus dem ARD-Video

Poroschenko wies ganz Beginn wieder einmal darauf hin, dass er immer versucht habe, eine friedliche Lösung zu finden. Tatsächlich hatte er kurz nach Amtsantritt einen einseitigen Waffenstillstand erklärt, den er aber abbrechen musste, weil es nicht nur zu Kämpfen und Angriffen seitens der Separatisten kam, sondern er auch unter Druck der radikalen Kräfte aus der damaligen Regierung kam, die die Weiterführung des Kriegs wollten und nicht zu Verhandlungen bereit waren. Dass er daraufhin ankündigte, schnell und mit massiver Gewalt den Donbass von den Terroristen zu befreien, sagte er nicht (Poroschenko: "Wir werden angreifen!"). Damit fing der Krieg in der Ukraine wirklich an und geriet in die Eskalationsspirale, in der sich der Konflikt weiterhin befindet. Den Milizen auf der einen Seite standen die Milizen der anderen gegenüber, beide haben wenig Interesse an der Einhaltung von Vereinbarungen und verfolgen eigene Absichten. Für Poroschenko, der gequält wirkt und vor allem innenpolitisch als starker Mann punkten will, ohne es mit Merkel, Hollande und Co. verscherzen zu wollen, handelte es sich jedenfalls ab Anfang August um einen "realen Krieg" mit der russischen Armee, die die Grenze überquert habe, auf ukrainischem Gebiet.

Nur unter hohem Druck von europäischer Seite aus, wurde auch mit Separatisten verhandelt. Von vorneherein zog man in Kiew, natürlich beeindruckt von den Vorgängen auf der Krim, den Umweg über Moskau vor. Moskau wiederum setzte auf innerukrainische Verhandlungen, da dies die Separatisten aufwerten würde, die man unterstützte. Allerdings wären wohl frühe Gespräche zwischen Kiew und Donezk/Lugansk eine Möglichkeit der Deeskalierung gewesen, anstatt alle Menschen im Donbass, die gegenüber Kiew misstrauisch oder ablehnend waren, als Terroristen, Söldner, Verbrecher oder Fünfte Kolonne zu diskriminieren.

Alle Punkte des Anfang September geschlossenen Minsker Abkommen habe die Ukraine erfüllt, behauptet Poroschenko. Allerdings verletzen nicht nur die Separatisten schon den Waffenstillstand, sondern immer wieder auch ukrainische Streitkräfte oder Milizen, die Trennungslinie wurde nicht festgelegt und damit auch die schweren Waffen nicht abgezogen (Ukraine: Die Zeichen stehen auf Krieg). Damit kann der Waffenstillstand auch nicht eintreten, auch wenn immerhin Gefangene ausgetauscht wurden.

Die Separatisten haben schließlich, auch aufgrund fehlender Verhandlungsbereitschaft und dem Willen, sich von der Ukraine zu lösen, eine von Russland akzeptierte Wahl, zu der kaum "Parteien" zugelassen waren, gegen die Vereinbarung und nicht auf der Grundlage ukrainischen Rechts durchgeführt, damit zumindest scheindemokratisch legitimierte Vertreter präsentiert werden können. Allerdings war im Abkommen selbst kein Termin für die Lokalwahlen nach dem Gesetz für den Sonderstatus festgelegt worden, erst in letzterem hatte Kiew die Wahl auf den 7. Dezember gelegt. Wie sie überhaupt hätten durchgeführt werden sollen, auch wenn der Waffenstillstand von beiden Seiten eingehalten worden wäre, ist völlig unklar. Realpolitisch hätte man jedenfalls mit den wie auch immer legitimierten Vertretern einen realistischen Wahltermin für die offizielle Wahl anstreben können. Aber das scheint weder im Interesse der Separatisten noch von Kiew und Moskau zu sein. Alle scheinen eher auf die Verlängerung des Konflikts zu setzen. Die Separatisten, um den Konflikt auf gewohnte Weise einzufrieren, Moskau, um den Einfluss auf die Ukraine zu wahren, und Kiew, um mehr Hilfe und Rückendeckung einzufordern.

Auf den Vorwurf, dass die ukrainische Seite Clusterbomben eingesetzt hat, betreibt Poroschenko eine Weißwaschung, die sich allerdings nur auf die Armee zu beschränken scheint, nicht explizit auch auf die Nationalgarde und die Milizen, in denen sich die teils rechtsextremen Militanten der Maidanbewegung formiert haben. Den ukrainischen Milizen wurde aber von Human Rights Watch vorgeworfen, Streubomben verwendet zu haben (Streubomben und Hinrichtungen in der Ostukraine). Poroschenko hingegen:

Ich betone, dass in der ukrainischen Armee eine hohe Disziplin herrscht. Keine seriöse internationale Organisation hat jemals berichtet, dass die Ukraine das Minsker Protokoll nicht eingehalten hat. Die These über die Verwendung von Streubomben kommt nur in einem äußerst grausamen Informationskrieg, den Russland gegen uns führt, vor. Ich habe eine Bitte: Glauben Sie das nicht. Es gibt keine internationale Organisation, die behaupten würde, dass die Ukraine solche Waffen einsetzt oder dass sie die Minsker Vereinbarungen verletzt.

Auf die von Putin geäußerten Vorwürfe vor Neonazi-Tendenzen in der Ukraine, vornehmlich in den Milizen, die wie das Asow-Bataillon offen Nazi-Embleme tragen, versucht Poroschenko abzuwiegeln und setzt auf die Unkenntnis der Ausländer. Er bittet die ARD, solche "Elemente der rücksichtslosen propagandistischen Kampagne, die Russland gegen die Ukraine entfesselt hat", nicht zu verbreiten. Pro forma hat er fast recht, wenn er sagt:

Vor kurzem haben in der Ukraine Parlamentswahlen stattgefunden. Die nationalistischen Parteien haben es nicht ins Parlament geschafft. Dort ist heute keine nationalistische Partei mehr mit einer Wahlliste vertreten.

Allerdings ist die Radikale Partei im Parlament und haben die rechtsextremen Parteien wie Swoboda und der Rechte Sektor auch deswegen nur wenige Stimmen erzielt, weil weniger im Block Poroschenko, aber vor allem in der Volksfront von Jazenjuk und der Vaterlandspartei Kandidaten der Rechten, beispielsweise Milizkommandeure, zu finden sind.

Immerhin weist auch Poroschenko Gerüchte zurück, Putin habe ihn während eines Telefonanrufs gedroht. Das verbindet der innenpolitisch auch durch die Parlamentswahlen geschwächte Präsident aber mit dem Versuch, Stärke zu zeigen und rethorisch zu erklären:

Als Präsident eines der flächenmäßig größten europäischen Staaten würde ich es niemanden erlauben, auch keinem Präsidenten, mir oder meinem Land zu drohen.

Poroschenko behauptet, dass die "ganze Welt" Russland isoliert habe, was ganz offensichtlich nicht stimmt, da Putin nicht nur mit den BRICS-Ländern einvernehmlich handelt, sondern auch mit dem Nato-Mitgliedsland Türkei gute Geschäfte macht. Zynisch muss man die folgende Passage verstehen:

Aber die Menschen in den Gebieten von Donezk und Luhansk haben inzwischen ein furchtbares Verhältnis zu Russland und besonders auch zu den Rebellen. Die haben bewiesen, dass sie nicht imstande sind, elementare Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Dort gibt es kein Essen, kein Wasser, keine Heizung, kein Geld. Das wurde nämlich gestohlen. Dort herrscht eine humanitäre Katastrophe.

Tatsächlich werden die nicht bereits geflohenen Bewohner des Kriegsgebiets vermutlich mit den Lebensbedingungen unzufriedener werden. Ob sie allerdings das Fehlen elementarer Versorgung einzig auf die "Rebellen" zurückführen, ist schon weniger sicher. Sicher gibt es kriminelle Banden auch unter den Milizen, aber dass die Versorgung zusammengebrochen ist, verdankt sich auch dem Krieg, durch den auch die zivile Infrastruktur durch die ukrainische Armee zerstört wird. Die Bankverbindungen aus der Ukraine wurden von Kiew aus unterbrochen, es dürfen auch keine Renten, Sozialleistungen und Löhne mehr bezahlt werden, also auch denjenigen, die nicht mit den Separatisten sympathisieren, aber sich noch dort aufhalten. Und wenn Poroschenko sagt: "Obwohl sie von dort keinen Cent bekommt, liefern wir dorthin kostenlos Gas und Strom", dann ist auch das schief. Angekündigt wurde, dass man die Kosten dann, wenn der Donbass wieder bei der Ukraine ist, von den staatlichen Leistungen abziehen werde. Die Ukraine schickt, wie der Präsident sagt, zwar Hilfskonvois in die "befreiten" Gebiete, in die "Volksrepubliken" kommt aber nur russische Hilfe über die nicht von der Ukraine kontrollierte Grenze. Damit kann sich Russland als Helfer darstellen.

Gefragt, warum die Zahlungen eingestellt wurden, windet sich Poroschenko. Er spricht von "Massenprotesten", die es im Donbass angeblich gibt. Die "Banditen" sollen nach Russland zurückkehren, Der ukrainische Präsident will offenbar an den Bild festhalten, dass alles nur schlecht im Donbass ist, weil russische Banditen dort die Macht ergriffen haben. Wenn sie weg sind, wird alles gut, werden alle frohgemut zu Kiew und seiner Präsidentschaft überlaufen. Das erinnert an Fantasien, die George W. Bush hegte, bevor er Hussein stürzte:

All diese Dinge können nur dann passieren, wenn die Besatzungsarmee abzieht. Ich kann Ihnen versichern: Wenn diese Armee unser Territorium verlässt und die Grenze dicht gemacht wird, dann kehren Friede und Ruhe in der Ukraine binnen zwei bis drei Wochen ein.

Den Nato-Beitritt spielt Poroschenko herunter, hält aber an ihm fest, weil die Vereinten Nationen keine Sicherheitsgarantie bieten können. Blockfreiheit ist für ihn keine Lösung, die europäischen Werte sind dem milliardenschweren Oligarchen, der schon lange in der Machtelite mitwirkte, heilig. Wie der Oligarch mitsamt den anderen Oligarchen und alten Eliten, die nun an den Schalthebeln sitzen, die Korruption bekämpfen sollen, durch die sie reich und mächtig geworden sind, findet keine Erwähnung. Am Schluss langt er noch einmal richtig in die Propagandaklaviatur: "Ich weiß, dass Gott mit uns ist. Ich weiß, dass die Gerechtigkeit mit uns ist. Und ich weiß, dass wir siegen werden. Die Ukraine war noch nie so pro-europäisch. Die Ukraine und die Ukrainer waren sich noch nie so einig." Und dann nannte er die Ukraine auch noch "vielleicht das beste Land der Welt".