MH17: Kiew gerät zunehmend in Kritik

Warum wurde der Luftraum über dem Kriegsgebiet nicht gesperrt?

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Verwunderlich war schon immer, warum die ukrainische Regierung Passagiermaschinen über das Kriegsgebiet in der Ostukraine fliegen ließ, obgleich die Separatisten am 14. Juli eine militärische Transportmaschine aus der Höhe von 6,5 km abgeschossen hatten. Zwar wurde daraufhin die Mindestflughöhe auf 9.750 Meter angehoben, am 17. Juli wurde MH17 auf der Flughöhe von 10.050 Metern abgeschossen.

Für den Anwalt Elmar Giemulla, einen Experten für Flugrecht, der für zwei Angehörige von Opfern des Absturzes auf Schadensersatz gegen die ukrainische Regierung klagt, ist der Fall klar. Die ukrainische Regierung wollte nicht auf das Geld für die Überflugrechte verzichten und riskierte damit den Abschuss. Der Anwalt klagt auf Totschlag durch Unterlassen, weil er der Überzeugung ist, dass der Luftraum hätte gesperrt werden müssen (MH17: Klage gegen die ukrainische Regierung).

Am 14. Juli wurde bei Lugansk eine militärische Transportmaschine aus einer Höhe von 6.500 Metern abgeschossen. Die Separatisten behaupteten damals, dafür verantwortlich zu sein, aber der Nationale Sicherheits- und Verteidigungsrat (NSDC) teilte mit, dass die tragbaren Flugabwehrraketen der Separatisten nicht so hoch reichen würden, weswegen man der Meinung war, der Abschuss sei "wahrscheinlich" mit Raketen von russischem Territorium aus erfolgt (Ukraine: Wirrwarr im Propagandakrieg). Schon immer konnte man sich nicht auf die Informationen verlassen, die von ukrainischen Behörden oder gar dem NSDC verbreitet werden. Der sieht überall die Russen am Werke, um den Bürgerkrieg zu einem Krieg zwischen der Ukraine und Russland zu machen ("Das ist kein Terrorismus, das ist Krieg"). Würde es zutreffen, dass die Russen die Transportmaschine aus der Höhe abgeschossen haben, wäre es noch viel wichtiger gewesen, den Luftraum für zivile Maschinen zu sperren, da das russische Militär über moderne Luftabwehrsysteme verfügt, die auch große Höhen erreichen können.

Dem Urteil vom Giemella schließt sich nun auch der Militärexperte Siemon Wezeman vom Stockholmer Institut für Friedensforschung (SIPRI) an: "Mit dem Abschuss der Antonov auf einer Höhe von 6.500 Metern war es absolut klar, dass das nicht mit kleinen, sondern nur mit schweren Flugabwehr-Raketensystemen geschehen konnte", sagte er. Diese Raketensysteme würden "ohne Probleme Höhen zwischen 10.000 und 13.000 Metern" erreichen. Journalisten von WDR, NDR, der Süddeutschen Zeitung und dem niederländischen Investigativteam "ARGOS" haben das Thema aufgebracht und das ukrainische Verkehrsministerium damit konfrontiert. Das wollte sich aber nicht äußern, schließlich ist die neue Regierung erst gerade angetreten.

Allerdings ist das Verzögern, Hinausziehen und Vertuschen schon länger Praxis bei entscheidenden Vorgängen wie den Scharfschützen vom Maidan, den Verantwortlichen für die Brandkatastrophe von Odessa oder eben bei MH17. Interessant ist daher, dass in einer unveröffentlichten Version des niederländischen Zwischenberichts ein Hinweis auf eine NOTAM (engl. "notice to airmen") stand: "Die NOTAM mit der Luftraumbegrenzung wurde verfasst als Reaktion auf den Abschuss einer Antonov 24 am 14. Juli auf einer Flughöhe von 6.500 Metern."

Für die offizielle Version wurde dieser Satz gestrichen; das "Dutch Safety Board" wollte sich nicht befragen lassen und meinte schriftlich, es sei nicht hundertprozentig sicher gewesen, dass die Information in dem Satz richtig sein. Allerdings wurde die Transportmaschine auf dieser Höhe abgeschossen, und es wurde die Mindestflughöhe Stunden nach dem Vorfall angehoben. Es scheint also ein Interesse gegeben zu haben, vermutlich seitens der ukrainischen Regierung, diese Information nicht bekannt werden zu lassen. Dass der "Dutch Safety Board" den Satz aus offensichtlich fadenscheinigen Gründen strich, weckt nicht nur das Misstrauen, dass es offenbar Interessen gibt, den Bericht zu beeinflussen, sondern auch, dass das niederländische Team solchen Interessen nachgibt und damit nicht neutral ermittelt.

Anders als andere Maschinen der Malaysia Airlines flog MH17 direkt über das von den Separatisten kontrollierte Gebiet. Warum Malaysia Airlines überhaupt das Kriegsgebiet überflogen hat, während andere Linien dies bereits vermieden haben, bleibt offen, auch hier könnten die Kosten eine Rolle gespielt haben. Aber dann gibt es zudem noch die Abweichung von der normalem Flugroute, was auch von Bild festgehalten wurde. Der Frage ging man aber nicht wirklich nach, was der Grund für die Abweichung von der Flugroute gewesen sein könnte.

Weiterhin umstritten ist, ob MH17 durch eine Rakete oder durch den Beschuss einer (ukrainischen) Militärmaschine abgeschossen wurde. Es kursieren auch Gerüchte, dass der Oligarch Kolomojskyj, der Anfang März als Gouverneur von Dnipropetrowsk eingesetzt wurde, Milizen finanziert (Igor Kolomojski und sein Bataillon "Dnepr") und mit dem Rechten Sektor zusammenarbeitet, etwas mit der Änderung der Flugroute zu tun habe könnte. Er ist u.a. an Fluggesellschaften beteiligt und soll auch die Flugsicherung für den Oblast Dnipropetrowsk kontrollieren. Dass die Flugroute Richtung Norden über dem Kriegsgebiet um 13 Uhr verändert wurde, soll dem Wetter geschuldet sein. Kurz danach stürzte die Maschine ab.