Gentech-Verbote: Mehr Selbstbestimmungsrechte für EU-Mitgliedsstaaten

Eine neue EU-Regelung zum Anbau von GVO sorgt für gemischte Gefühle

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Mit einer sogenannten "Opt-out"-Regelung sollten EU-Mitgliedsländer mehr Möglichkeiten erhalten, den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen zu verbieten. Der vorgelegte Kommissionsvorschlag sorgte allerdings für großen Unmut. Der Vorwurf: Lobby- und Konzernfreundlichkeit. Auf Druck des EU-Parlaments wurden strittige Passagen inzwischen entschärft. Umweltverbänden geht der Kompromiss aber nicht weit genug. Sie befürchten weiterhin Rechtsunsicherheiten beim Erlass von Anbauverboten. Befürworter der grünen Gentechnik sprechen dagegen von der Schaffung eines gefährlichen Präzedenzfalls für die Wirtschaft.

Von der EU grundsätzlich für den Anbau zugelassene Gentech-Pflanzen konnten bisher nur über ein mühseliges Procedere von den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten verboten werden. Mit einer Opt-out-Regelung wollte man Verbesserungen im Bereich nationaler Anbauverbote schaffen. Neben Umwelt- und Gesundheitsgefahren sollten auch ethische und sozio-ökonomische Bedenken geltend gemacht werden können. Nach Jahren der Diskussion stimmten die EU-Umweltminister im Juni dieses Jahres mehrheitlich einem Vorschlag der EU-Kommission zu.

Das Papier sorgte jedoch für einigen Wirbel - sowohl im EU-Parlament als auch bei Umweltschutzorganisationen und anderen Gentech-Kritikern (Mehr grüne Gentechnik trotz nationaler Anbauverbote?). Die EU-Kommission hätte ein "Lobby-Papier" der Konzerne vorgelegt, ärgerten sich viele Umweltaktivisten. Hauptkritikpunkt ist zu starker Industrie-Einfluss. Auf dem gentech-kritischen Internet-Portal "keine-gentechnik.de" wurde dieser Vorwurf konkretisiert:

Der Vorschlag der Regierungen, den die Bundesregierung unterstützte, sieht ein Zwei-Phasen-Modell vor: die erste Phase beinhaltet, dass die Regierung den jeweiligen Antragsteller - meist Konzerne wie Monsanto, Bayer oder BASF - fragen muss, ob dieser freiwillig auf den Anbau in dem Land verzichten würde. Nur wenn der Konzern das ablehnt, kommt es zur zweiten Phase: die Regierung kann den Anbau untersagen. Dabei gelten aber starke Einschränkungen. Außerdem wären die Verbote nach Ansicht von Umweltverbänden nicht stabil genug, um vor Gericht zu bestehen.

EU-Parlament für Länderselbstbestimmung

Probleme orteten auch etliche Abgeordnete des EU-Parlaments. Unter Federführung der belgischen Abgeordneten Frédérique Ries (Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa) wurden die Positionen des EU-Parlaments ausgearbeitet, welche wesentliche Einschränkungen der Industrie und mehr Selbstbestimmungsrechte für die EU-Mitgliedsstaaten vorsahen. So sollten Konzerne generell nicht eingebunden werden. EU-Mitgliedländer dürften nationale oder regionale Verbote auch aus sozio-ökonomischen Gründen aussprechen, so die Meinung des zuständigen EU-Ausschusses. Um mehr Rechtssicherheit zu erwirken, schlugen EU-Parlamentarier außerdem vor, das EU-Umweltrecht als Rechtsgrundlage zu verankern. Bisher diente EU-Binnenmarktrecht als Basis.

Schlussendlich kam ein Kompromiss zustande, wie am 4. Dezember vermeldet wurde. Von einer verpflichtenden Konsultation der betroffenen Konzerne durch die einzelnen EU-Länder wurde Abstand genommen. Länder können während einer Anbaugenehmigung von zehn Jahren jederzeit Verbote aussprechen und nicht nur die ersten zwei Jahre lang, wie es der ursprüngliche Entwurf vorsah.

Gentechnischer Flickenteppich?

Der ausgehandelte Kompromiss wurde unterschiedlich aufgenommen. Andrä Rupprechter (ÖVP), Landwirtschaftsminister des traditionell GVP-kritisch eingestellten Österreichs, sieht in der Lösung einen "großen Erfolg". In einer Pressemitteilung hält er fest: "Mit dem GVO-Kompromiss können wir sicherstellen, dass auch in Zukunft keine gentechnisch veränderten Organismen in Österreich angebaut werden."

Problematischer sehen das österreichische und deutsche Umweltverbände, aber auch die Grünen im EU-Parlament. Martin Häusling , agrarpolitischer Sprecher der Grünen/EFA sieht Verbesserungen gegenüber des Erstentwurf, befürchtet aber einen "gentechnischen Flickenteppich" in Europa. Sein Parteikollege im Bundesrat, Harald Ebner, greift die Bundesregierung scharf an, zumal sie den ursprünglichen Kommissionsvorschlag unterstützt hätte:

Die Einigung behebt immerhin die allerschlimmsten Mängel des lobbydiktierten Entwurfs der EU-Regierungen vom Juni. Wäre es nach dem Willen der Bundesregierung gegangen, wären Verhandlungen mit Monsanto und Co. weiterhin Pflicht, Maßnahmen zum Schutz gegen gentechnische Verunreinigungen dagegen rein freiwillig. Zum Glück ist die Bundesregierung in diesem Punkt mit ihrer gentechnikfreundlichen Strategie gescheitert.

Auch Umweltschutzaktivisten wie Global 2000 zeigen sich mit dem Kompromiss unzufrieden. Sie wollten die Konzerne gänzlich außen vor lassen. In einer Pressemitteilung werfen sie die Frage nach der Signalwirkung für weitere Verhandlungen (z.B. TTIP, CETA) und künftige Gesetze auf. Der Organisation würde ein Rechtsgutachten vorliegen, nachdem dies nicht nötig wäre. "Wie kann es sein, dass man Konzernen ein derartiges Mitspracherecht jetzt sogar schon schwarz auf weiß zugesteht?", ärgert sich Heidemarie Porstner, Gentechnik-Sprecherin von Global 2000.

Der Branchenverband Bund ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) forderte Agrarminister Christian Schmidt auf, nun im gesamten Bundesgebiet ein Anbauverbot von gentechnisch veränderten Pflanzen zu erlassen. Nur so würde man der Mehrheit der Bevölkerung auch politisch Rechnung tragen.

Scharfe Kritik des Biotech-Lobbyverbands

Befürworter der grünen Gentechnik sind mit dem Kompromiss ebenfalls unzufrieden. Der Lobby-Verband EuropaBio reagierte enttäuscht und kritisierte, dass als von den EU-Behörden als "sicher" eingestufte Produkte von Nationalstaaten künftig verboten werden können. Landwirte würden die Wahlmöglichkeit verlieren. Innovative Technologien aus "unwissenschaftlichen" Gründen zu verweigern, würde einen "gefährlichen Präzedenzfall" schaffen. Beat Späth, der für den Bereich Agro-Biotechnologie zuständige Direktor bei EuropaBio, moniert:

It enables Member States to formally reject safe products which are approved at European level. Rejecting modern technologies on non-scientific grounds sets a dangerous precedent for the internal market and sends a negative signal for innovative industries worldwide considering whether or not to invest and operate in Europe. European farmers have lost their freedom to choose.

Wie sich die neue EU-Regelung in der Praxis tatsächlich auswirken wird und ob Anbauverbote letztlich auch vor Gerichten halten würden, weiß derzeit niemand mit Gewissheit zu sagen. Als sicher gilt jedoch, dass der Kompromiss im EU-Parlament im Januar 2015 formell abgenickt wird.