Ende von South Stream

Aufgegebener Bauplatz des AKW Belene. Bild: Frank Stier

Show Business oder Gas-Business oder beides?

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"Ich habe die Schnauze voll von den Bulgaren. Sie widersetzen sich und provozieren uns, weil sie den Westen und die Europäische Union hinter sich haben. Sie verzögern das Projekt", sprach Russlands Staatspräsident Vladimir Putin am Abend des 1. Dezember 2014 in Ankara zu seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdoğan. In nicht sehr staatsmänischer Manier schob er Bulgarien die Schuld zu für den gerade von ihm verkündeten Stopp des Pipeline-Projekts South Stream.

In einigen Jahren sollte die submarine Gasleitung dreiundsechzig Milliarden Kubikmeter Gas jährlich vom russischen Noworossijsk durchs Schwarze Meer zum bulgarischen Varna und über Serbien, Ungarn, Slowenien weiter nach Österreich sowie über Griechenland nach Italien transportieren. Zur Überraschung der Weltöffentlichkeit schlug Putin nun Erdoğan vor, an ihrer Stelle eine neue Gaspipeline von Russland in die Türkei zu errichten. Die Türkei ist schon jetzt Russlands zweitgrößter Gaskunde nach Deutschland, bald könnte sie auch der wichtige Umschlagsplatz für Gas für Europa sein, den eigentlich Bulgarien werden wollte.

Bulgarien pflegt seit seiner Befreiung von osmanischer Fremdherrschaft im russisch-türkischen Krieg 1878 eine innige Beziehung zu Russland. In der Gunst des russischen Präsidenten ist das Balkanland aber offenbar abgestürzt. Weil Bulgarien im Juni 2014 der Forderung des damaligen EU-Energie-Kommissars Günter Oettinger zum Einfrieren des Projekts South Stream nachgekommen ist, wirft ihm Putin mangelnde Souveräniät gegenüber der Europäischen Union (EU) vor.

Der Grund für Oettingers Verlangen war nicht so sehr die Sanktionspolitik der EU gegenüber Russland im Zuge des Ukraine-Konflikts, sondern die Einleitung eines Sanktionsverfahren der EU-Kommisson gegen Bulgarien wegen Unregelmäßigkeiten beim Ausschreibungswettbewerb für den Bau der Gasleitung. Auch bestand Brüssel darauf, Russland müsse South Stream entsprechend den Bestimmungen des 3. Energie-Liberalisierungspakets der EU realisieren und Dritten Zugang zur Pipeline gewähren.

Varna, die Stadt an der South Stream aus dem Meer auftauchen sollte. Bild: Frank Stier

"Bulgarien hat seine strategische Partnerschaft mit Russland gehabt und diese verloren, jetzt ist die Türkei der Partner", kommentierte Bulgariens früherer Staatspräsident Georgi Parvanov Putins "Basta!"-Wort. Im Januar 2008 haben die Präsidenten Parvanov und Putin den Startschuss für South Stream gegeben, damals entwarf Parvanov die Vision vom "Grand Slam der Energie-Wirtschaft", der das arme Bulgarien zum "Energie-Hub des Balkans" machen werde. Außer South Stream zählte er den Bau eines zweiten Atomkraftwerks bei Belene an der Donau und die den Bosporus umgehende Öl-Pipeline vom bulgarischen Burgas ins griechische Alexandroupolis zum "Grand Slam". Doch diesen beiden russischen Großprojekten bereitete die rechtsgerichtete Regierung von Ministerpräsident Boiko Borissov bereits um den Jahreswechsel 2011/2012 ihr vorzeitiges Ende. "Der 'Gand Slam der Energie' ist nun nach Süden gerückt", bedauerte Georgi Parvanov die jüngste Entwicklung.

Noch im vergangenen Jahr sah sich Bulgarien als künftiges Transitland für zwei Gasleitungen nach Westeuropa. Im Juni 2013 kam aber das Aus für das von der EU präferierte Projekt der Gaspipeline Nabucco, die dreiundzwanzig Mrd Kubikmeter Gas aus dem Kaspischen Raum über die Türkei, Bulgarien, Rumänien und Ungarn nach Österreich transportieren sollte.

Die Betreibergesellschaft des aserbaidschanischen Gas-Feldes Shah Deniz II entschied, ihr Gas nicht an die Betreibergesellschaft von Nabucco zu verkaufen, sondern an den mit ihr konkurrierenden Projektentwickler der Trans Adria Pipeline (TAP). Sie soll ab 2019 an die in Bau befindliche, die Türkei durchquerende Transanatolische Pipeline (TANAP) anschließen und kaspisches Gas über Griechenland und Albanien nach Italien transportieren.

Das bulgarisch-türkische Grenzgebiet, in dessen Nähe die Öl-Pipeline Burgas - Alexandroupolis verlaufen sollte. Bild: Frank Stier

Nach seinem Wahlsieg bei vorgezogenen Neuwahlen hat Boiko Borissov Anfang 2014 zum zweiten Mal das Amt des bulgarischen Ministerpräsidenten angetreten. Von den oppositionellen Sozialisten muss er sich nun den Vorwurf gefallen lassen, nicht nur das AKW Belene und der Öl-Pipeline Burgas-Alexandroupolis begraben zu haben, sondern auch der Totengräber von South Stream zu sein, obwohl Borissov South Stream stets befürwortet hat.

In Reaktion auf Putins Absage an South Stream hat er die dazu bisher abgeschlossenen russisch-bulgarischen Verträge prüfen lassen und am 8. Dezember 2014 in der Bulgarischen Volksversammlung das ernüchternde Ergebnis verkündet, Bulgarien habe aus dem Projekt keine großen Profite zu erwarten. Er erklärte die zuvor von Vladimir Putins aufgemachte Rechnung, Bulgarien entgingen durch die Nichtrealisierung von South Stream Transitgebühren in Höhe von 400 Mio € pro Jahr, zu purer Spekulation, da Russland und Bulgarien die Höhe der Transitgebühren noch gar nicht abschließend verhandelt hätten.

Alternativen zu South Stream für Bulgarien

Trotz dem zu Skepsis Anlass gebenden Ergebnis der Aktenprüfung hat Regierungschef Borissov seinen Vize-Premier Tomislav Dontschev zu dem Treffen der Energieminister der an South Stream beteiligten Länder am 9. Dezember 2014 in Brüssel mit dem Auftrag entsandt, die EU-Kommission zu Verhandlungen mit Russland zu bewegen, um die Realisierung der Gaspipeline doch noch zu ermöglichen. Nach dem Treffen zeigte sich Dontschev von dessen Ergebnis enttäuscht. "Trotz mehrfacher Nachfrage haben wir keine klare europäische Position zur Gasleitung erhalten, keine Antwort 'ja' oder 'nein'. Mag das Projekt für manche EU-Staaten auch eine Abstraktion sein, so ist es für Bulgarien eine Konkretheit", sagte Dontschev bulgarischen Journalisten.

Der Vize-Präsident und EU-Kommissar für die Energie-Union Maroš Šefčovič beharrte darauf, großmaßstäbliche Projekte wie South Stream müssten auf dem Territorium der EU europäischer Gesetzgebung entsprechen und kündigte die Bildung einer Arbeitsgruppe an, die Alternativen zu South Stream zur Sicherstellung der Energielieferungen suchen solle.

Das Gebäude der Europäischen Kommission / des Europäischen Parlaments in Sofia. Bild: Frank Stier

Eine solche Alternative könnte für Bulgarien die Ausbeutung vor der seiner Küste vermuteter Erdgasvorkommen sein. Ein Joint Venture aus der österreichischen OMV, der französischen Total und der spanischen Repsol möchten im kommenden Jahr mit Bohrungen in dem bulgarischen Schwarz-Meer-Gebiet Han Asparuch beginnen. Sollten sie auf ergiebige Vorkommen stoßen, könnte OMV ein eigenes Pipeline bauen, um das Gas nach Österreich zu transportieren. Zudem wollen Bulgarien, Rumänien und Griechenland ihre Gasnetze verknüpfen und an den Südlichen Gaskorridor anschließen.

Ist Putins Verdikt endgültig?

In der medialen Kakophonie, die auf Putins Absage an South Stream in Ankara eingesetzt und ganz Europa beschallt hat, waren alle nur erdenklichen Interpretationen und Spekulationen zu vernehmen. Erklärten es seine Befürworter zu einem Bulgarien Reichtum versprechenden epochalen Infrastrukturvorhaben, so sehen seine Kritiker in ihm eine unwirtschaftliche Chimäre, lediglich dazu angetan, Bulgariens Abhängigkeit von Russland zu verstärken und das Balkanland zu Russlands Trojanischem Pferd in der EU zu machen. Ob Vladimir Putins South-Stream-Verdikt in Ankara ein endgültiges war oder nicht lediglich eine nötigende Warnung, um seine Vorstellung von der Projektrealisierung gegenüber dem Widerstand der EU doch noch durchzusetzen, wird ebenfalls kontrovers diskutiert.

"Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, South Stream!" hat die bulgarische Ausgabe der "Stimme Russlands" am 15. November 2014 ihren Artikel überschrieben anlässlich des zweiten Jahrestags der Unterzeichung der endgültigen Investitionsentscheidung der an der Projektgesellschaft beteiligten Aktionäre. Zu ihnen gehören neben der russischen Gazprom und der staatlich-bulgarischen Bulgargaz u. a. die italienische Eni, die österreichische OMV und die deutsche Wintershall. Bisher soll keiner der Aktionäre vom russischen Hauptaktionär Gazprom eine offizielle Mitteilung über den Projekt-Stopp erhalten haben. Nach Informationen der bulgarischen Tageszeitung Trud hat lediglich das für die Verlegung der Gasrohre auf dem Grund des Schwarzen Meeres georderte portugisiesche Arbeitschiff Castoro Sei die Anweisung erhalten, seine noch gar nicht richtig aufgenommene Tätigkeit einzustellen.

Selbst wenn Putin es mit seinem "Basta!" zu South Stream aber ernst gemeint haben sollte, so bezweifeln manche Beobachter, dass Bulgariens vermeintlich mangelnde nationale Souveränität der ausschlaggebende Grund dafür ist. "Das ist nur Show Business", kommentierte der Energieexperte Necdet Pamir von der Bilkent Universität Ankara gegenüber Bloomberg. Er glaubt, die selben Gründe, die das South Stream-Projekt in Richtung Bulgarien vereitelt haben, bspw. die stagnierende Nachfrage nach Gas in Europa und der Unwille der EU, mit Russland Geschäfte zu machen, so lange die Ukraine-Krise andauere, werden auch Putins Plan B in Richtung Türkei verhindern.