Aufruhr in Poroschenkos Heimatstadt

Im westukrainischen Vinnytsia wurde ein rechter "Volksgouverneur" gewählt, in Saparoschje der Bürgermeister vom rechten Mob zum Rücktritt gezwungen. Spezialbataillon Ajdar soll die Ruhe wieder herstellen

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Steht der Ukraine ein neuer Maidan bevor, diesmal aber unter eindeutig rechtsradikalem Vorzeichen? Für diese Frage, gibt es nach den Ereignissen der letzten Tage durchaus Gründe.

Am 6. Dezember wurde in Vinnytsia, der Heimatstadt des ukrainischen Präsidenten, von 600 Demonstranten mit Rauchbomben unter den Fahnen der rechtsradikalen Partei Swoboda eine Sitzung des Gebietsrates gesprengt.

Müllcontainer im Amtssitz des Gouverneurs

Unter den Rufen "Es lebe die Nation", und "Ukraine über alles" stürmten die Demonstranten den Amtssitz des Gouverneurs von Vinnytsia. Der 26-jährige Juri Pawlenko ergatterte ein Porträt von Poroschenko, rief, dass er diesen Präsidenten nicht gewählt habe, und zerstörte das Porträt, weshalb der junge Mann später zu einer zweimonatigen Haftstrafe verurteilt wurde.

Update:

Wie das ukrainische Nachrichten-Portal censor.net berichtete, wurde Rechts-Aktivist Pawlenko im Eiltempo verurteilt. Am Montag - also zwei Tage nach dem Vorfall mit dem Präsidenten-Porträt - wurde der junge Mann um 11 Uhr im Bahnhof von Vinnitsya festgenommen. Bereits um 19 Uhr begann die Gerichtsverhandlung. Die Öffentlichkeit war nicht zugelassen. Um 21:30 gab das Gericht seine Entscheidung bekannt. Eine Freilassung auf Kaution lehnte das Gericht ab. Ein Anwalt des Angeklagten wurde nach Angaben des Pressedienstes der Partei Wolja, dessen Mitglied Pawlenko ist, angeblich nicht zugelassen. Wie der Pressedienst mitteilte, wurde der Aktivist festgenommen wegen Teilnahme an Massenunruhen und der Schändung staatlicher Symbole.

Pawlenko - auch bekannt unter dem Spitznamen Chorta - ist in Vinnitsya bekannt für seine Aktionen gegen Beamte, die er der Zusammenarbeit mit dem alten Regime verdächtigt. So suchte er die Chefärztin der Kinderklinik Tatjana Antonez auf und forderte sie auf, ihren Job aufzugeben. Im Juni wurde Pawlenko von Unbekannten zusammengeschlagen.

Der rechte Jung-Aktivist ist außerdem für ausländerfeindliche Aktionen bekannt. 2012 hatte Pawlenko zusammen mit 100 Gleichgesinnten vor dem Studentenwohnheim der medizinischen Universität von Vinnitsya ausländische Studenten beschimpft. Im Dezember 2013 wurde er wegen deswegen zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt. Ein Berufungsgericht setzte die Strafe jedoch aus und ordnete eine neue Untersuchung an. Der Fall wurde offenbar jedoch nicht weiter verfolgt. Möglicherweise hing das damit zusammen, dass "Chorta" bis zum Herbst 2014 an der Ost-Front als Soldat des Spezial-Bataillons Ajdar im Einsatz war.

Extra für den Gouverneur Anatoli Olejnik hatten die Demonstranten einen Müllcontainer in den ersten Stock geschleppt. Doch der Gouverneur war nicht an seinem Arbeitsplatz und so konnte er nicht, wie in vielen anderen Fällen schon praktiziert, in den Container gesteckt werden. In den ukrainischen Medien nennt man diese Aktionen "Müll-Lustration".

Am Montag wurde auf einer Protestversammlung mit 200 Teilnehmern das Swoboda-Mitglied Aleksej Furman zum "Volksgouverneur" gewählt.

"Taktik von Idioten"

Der ukrainische Innenminister Arsen Awakow verurteilte den Aufruhr in Vinnytsia via Facebook als Aktion "von Debilen". Natürlich müsse man "viele" Minister, Polizisten, Richter und Staatsanwälte" austauschen, "aber nicht mit der Taktik und den Emotionen von Idioten". Solche Aktionen könnten "Anderen" nützen. Damit war vor allem Russland gemeint.

Die Proteste begannen, weil angeblich der Gebietsrat von Vinnytsia seinen Vorsitzenden, Sergej Switkow, entlassen wollte. Switkow gilt als "Mann des Maidan" und ist Mitglied von Julia Timoschenkos Partei Vaterland.

Zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung in der Heimatstadt des Präsidenten schickte Kiew das Bataillon Ajdar nach Vinnytsia. Das Bataillon ist im Krieg in der Ost-Ukraine im Einsatz und für Menschenrechtsverletzungen bekannt. Ajdar-Kommandeur und Abgeordneter der Werchowna Rada, Sergej Melnitschuk, erklärte, die Wahl des "Volksgouverneurs" sei "ein Fake". Mitglieder der Partei der Regionen und Kommunisten seien noch immer an der Macht. Nun werde man "eine Lustration" (Säuberung) in der Region durchführen.

"An die Ostfront oder ins Gefängnis"

Am 10. Dezember wiederholte sich ein ähnliches Schauspiel wie in Vinnytsia in der zentralukrainischen Stadt Saparoschje. Der Bürgermeister Aleksandr Si, wurde von einem Mob unter Führung des Chefs der Radikalen Partei, Oleg Ljaschko, zum Rücktritt gezwungen. Ljaschko, der bei den Präsidentschaftswahlen im Mai auf Platz drei landete, schüttelte den Bürgermeister rüde (Minute 1:10) und drohte, entweder er gehe an die Ostfront oder ins Gefängnis.

Der Bürgermeister verteidigte sich: "Ljaschko versucht mit Gewaltmethoden seine Ordnung in unserer Stadt durchzusetzen." Die Revolution in der Ukraine habe "nicht gesiegt, damit an Stelle eines Usurpators andere Usurpatoren kommen". Der Bürgermeister unterschrieb das Rücktrittsgesuch dann aber doch. Da viele Stadtratsabgeordnete die Sitzung verließen, waren allerdings nicht genug Deputierte zugegen, um den Rücktritt zu bestätigen.

Vor der Attacke auf den Bürgermeister hatte es vor dem Stadtrat eine Protestversammlung mit 300 Teilnehmern gegeben. Die Versammlung war von Maidan-Aktivisten organisiert. Die Protestierenden hielten Plakate mit den Forderungen "Wo bleibt die Reform der Kommunalbewirtschaftung?", "Es reicht mit der Ausraubung von Saporoschje".

Vorboten eines Chaos?

Die regierungsnahe Ukrainskaja Prawda wollte nicht ausschließen, dass die Vorgänge in Vinnytsia die Vorboten einer "Anarchie" in der Ukraine sind. Das Internet-Portal erinnerte daran, dass die Unruhen in der Ost-Ukraine auch mit der Wahl von "Volksgouverneuren" begannen. Auch in Gebieten mit "hoher Spannung" wie Charkow und Odessa, könne es zu Ereignissen wie in Vinnytsia kommen.

In einer dramatisierenden Erklärung der von Julia Timoschenko geführten Partei "Vaterland" heißt es, "in letzter Zeit" sei "in vielen Regionen des Landes" versucht worden, "die Aktivisten der Revolution der Würde" aus den Verwaltungen zu verdrängen. An ihre Stelle versuchten Gefolgsleute des gestürzten Präsidenten Viktor Janukowitsch "an die Macht zurück zu gelangen".

Die Ukraine kommt nicht zur Ruhe, denn die militärischen Erfolge an der Ost-Front bleiben aus und die soziale Lage wird immer unerträglicher. Stromabschaltungen und ausbleibende medizinische Versorgung machen den Menschen zu schaffen. Der Griwna hat gegenüber dem Dollar die Hälfte seines Wertes verloren. Wegen des rapide gesunkenen Bruttoinlandprodukts und um den Staatsbankrott abzuwenden, braucht die Ukraine nach Angaben des IWF kurzfristig 15 Milliarden Dollar, zusätzlich zu den 17 Milliarden Dollar, die der IWF im nächsten Jahr bereit stellen will. Die Linke ist schwach und kann wegen der starken Repression kaum öffentlich auftreten. Die Rechtsradikalen lenken mit ihren Aktionen von den Verursachern der Krise - Oligarchen und Nationalisten - ab. Ihre Proteste kommen der Regierung in Kiew trotzdem nicht gelegen, denn das Land könnte unregierbar werden.