Naiver Glaube an eine Gesellschaft des Teilens

David Woisetschläger über die Share Economy

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Im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise wird immer wieder über alternative Wirtschaftsformen nachgedacht und über die Share Economy berichtet, die sich nicht nur in den USA zu einem relevanten Geschäftszweig entwickelt. David Woisetschläger, Professor und Inhaber des Lehrstuhls für Dienstleistungsmanagement an der TU Braunschweig, warnt indes vor Illusionen.

Herr Woisetschläger, was umfasst der Begriff der Share Economy?

David Woisetschläger: Ich halte den Begriff Share Economy für eine leichte Irreführung dessen, was dahintersteckt. Denn sharing bedeutet eigentlich teilen und das ist etwas, was sich durch bestimmte Dinge kennzeichnet, die durch die sogenannte Share Economy nicht erfüllt sind: Von Teilen sprechen wir, wenn das Verhältnis zwischen den Interagierenden nicht reziprok ist, also wenn keine Gegenleistung erwartet wird, während von den meisten Sharing-Anbietern, die wir auf den Markt sehen, eher den Charakter einer ökonomischen Austauschbeziehung besitzen.

Weiter schafft Teilen soziale Verbindungen, was zum Beispiel beim Car-Sharing fehlt, weil dies eine anonyme Nutzform von Konsumkapazitäten ist.

Es handelt sich also nicht um geteilten Besitz wie in der Familie, deswegen spricht die Forschung auch nicht von Share Economy, sondern von Access Based Consumption, was eben den temporären Zugang zu Dingen bezeichnet, die man sich im normalen Leben nicht leisten kann oder möchte.

"Der Marktwert von Airbnb wird auf zehn Milliarden Euro geschätzt"

: Halten Sie das Phänomen für eine volkswirtschaftlich relevante Entwicklung?

David Woisetschläger: Ich bin zwar kein Volkswirt, sondern Betriebswirt, trotzdem würde ich sagen, dass es zahlreiche Sektoren gibt, die von dieser Entwicklung bedroht sind und andere, die davon profitieren könnten. Ebenfalls ist es möglich, dass es sich volkswirtschaftlich um ein Null-Summen-Spiel handelt, das ist schwierig zu beurteilen.

Entscheidend ist nur, dass einige Akteure zum Beispiel aus dem Technologie-Bereich ihre Kompetenzvorteile nutzen können und andere aus dem produzierenden Bereich beziehungsweise dem Service-Sektor daraus möglicherweise Nachteile ziehen werden. Im Prinzip wird der Kuchen neu verteilt, auch ausgeweitet.

Mit Airbnb werden zum Beispiel neue Kapazitäten auf den Markt gedrückt, indem man Privatperson quasi zum Hotelanbieter macht, was Akteure betreffen wird, die in diesem Gewerbe professionell vertreten sind.

Für einige Akteure wird das sicherlich wirtschaftlich bedeutsam sein, was man am Marktwert von Airbnb ersehen kann, die vermutlich keine nennenswerte Anzahl von Mitarbeitern beschäftigen und trotzdem laut Manager-Magazin auf zehn Milliarden Euro geschätzt wird. Im Vergleich hierzu beläuft sich der Marktwert von der TUI geschätzt auf vier Milliarden Euro.

David Woisetschläger

Welchen Anteil hat daran der digitale Bereich?

David Woisetschläger: Klassisches Teilen ohne Technologie beschränkt sich gemeinhin auf den Freundes- und Familienkreis, auch weil man hier als Anbieter in diesem begrenzten Umkreis den Bedarf abschätzen kann und die Transaktionskosten vertretbar sind. Nun durchbrechen Cloud-basierte Technologien als Mediator diese Situation und es ist ein matching von Angebot und Nachfrage möglich, weshalb die Share Economy überhaupt erst funktionieren kann. Diese Entwicklung ist stark technologiegetrieben, es ist aber naiv zu glauben, dass wir uns deswegen auf einem Weg hin zur Teilensgesellschaft befinden.

Lässt sich der Trend hin zur Share Economy auch für Deutschland feststellen?

David Woisetschläger: Wie in der Internet-Ökonomie allgemein spielt Amerika eine Vorreiter-Rolle, aber es gibt auch in Deutschland Geschäftszweige die sich mit der Share Economy beschäftigen. Besonders im urbanen Bereich existieren Start Ups und selbst etablierte Akteure wie etwa Daimler, VW oder auch die Deutsche Bahn setzen sich relativ viel damit auseinander.

"Starke Netzeffekte"

Q; Gehen mit der Share Economy Monopolisierungstendenzen einher?

David Woisetschläger: Die Share Economy bietet für kleine Unternehmen Vor- und Nachteile: Einerseits bietet sie ihnen eine Dachmarke mit der sie ihre Angebote relativ günstig an einen großen Markt bringen können, den sie sonst niemals erschließen könnten. Negativ daran ist, dass die Share Economy durch starke Netzeffekte charakterisiert ist, die dafür sorgen, dass die Kunden dorthin gehen, wo sich die größte Masse an Angeboten findet.

Airbnb bietet eben nicht nur eine Plattform, sondern stellt auch eine Eintrittsbarriere dar. Diese Entwicklung kann anhand von Amazon studiert werden. Das sind gefährliche Monopolisierungstendenzen, die Wettbewerb verhindern, weil gewisse Akteure den Markt auf sich vereinen. Es wird eine Herausforderung der Gesellschaft sein, dies zu bewältigen.

Ab wann entwickelt nach ihrer Einschätzung dieser Trend einen ideologischen Charakter?

David Woisetschläger: Der Begriff der Share Economy wird derzeit auch gerne genutzt, um die übliche Kapitalismuskritik und sonstige Unzufriedenheit zu kanalisieren. Der Begriff weckt Begehrlichkeiten, die zu Enttäuschungen führen, darin liegt meiner Meinung nach das ideologische Potential: Menschen, die glauben, dass sharing teilen ohne Erwartung einer Gegenleistung bedeutet, werden herausfinden, dass es darum in der Share Economy meist gar nicht geht.

Es gibt aber Ausnahmen: Bei Foodsharing.de werden wirklich Lebensmittel kostenlos angeboten, man kann aber auch gemeinsam kochen. Hier können sich tatsächlich soziale Kontakte für Leute geben, die gerne essen und sich nicht mehr im Fitnessstudio treffen wollen. Solche Plattformen sind aber nicht repräsentativ für den Sharing-Bereich.

Wie sieht die Zukunft aus?

David Woisetschläger: Mit Zukunftsprognosen habe ich meine Probleme, aber es ist sicherlich so, dass technische Innovationen immer positive und negative Konsequenzen haben. Das Internet hat Anbieter wie Amazon groß gemacht und anderen, wie beispielsweise Quelle den Garaus gemacht. Ich kann mir vorstellen, dass mit der Share Economy ähnliche Prozesse losgetreten werden.