Wo landet der ganze Plastikmüll?

Verteilung der kleinsten Mikroteilchen auf der Meeresoberfläche. Grün die geringste Dichte (bis 1000 Teilchen pro 1 km-2), rot die höchste (bis eine Million). Um Australien gibt es am wenigsten Mikroteilchen, das nördliche Mittelmeer ist hingegen schwer belastet

5 Billionen Plastikteile treiben auf der Meeresoberfläche, so eine Studie, aber viel verschwindet dort schnell, wohin und mit welchen Folgen ist nicht geklärt

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Meere ertrinken in Plastik, aber auch ganze Landschaften: Das Plastikmeer. Das synthetische Material, ein Wunder der Technik, plastisch formbar, mit definierbaren Eigenschaften, vielseitig verwendbar und billig, aber eben auch im biologischen Kreislauf schwer beseitigbar. Seit dem letzten Jahrhundert ist die Polymerchemie explodiert; es hat sich eine regelrechte Plastikwelt gebildet, die noch dazu die Eigenschaft hat, schnell auf dem Müll oder in der Natur zu landen, weil sie wenig wert ist. Aber was zunächst billig und einfach daherkommt, türmt sich zum toxischen Problem auf, eine Metapher für die moderne Lebensweise.

Jährlich werden Hunderte von Millionen Tonnen Kunststoffe produziert, die zum Teil, wenn sie nicht verbrannt oder recycelt werden, in der Natur landen. Dort findet man Plastikreste praktisch schon überall, in den Meeren bilden sich durch Strömungen in Wirbeln riesige, nicht wirklich biokompatible Plastikinseln an der Oberfläche, die verrottenden Teilchen sinken in die Tiefe, werden von Organismen aufgenommen oder bedecken die Böden, in großen Mengen auch an dicht besiedelten Küstenabschnitten in Buchten, wo sie sich absetzen und von der Strömung nicht weiter getrieben werden. Große Plastikteile wie Boote, Bojen oder Netze haben zudem die Eigenschaft, Tiere und Pflanzen zu anderen Biotopen zu transportieren.

Die fünf Wirbel, in denen sich das Plastik ansammelt. Bild: Gyres Institut

Nach einer Studie von Wissenschaftlern des Gyres Institute, die im Wissenschaftsjournal PLoS One erschienen ist, könnten sich in den Meeren bereits 5,25 Billionen große und kleine Plastikteile mit dem stattlichen Gewicht von 270.000 Tonnen befinden. Das ist eine minimale Schätzung. Erstaunlich ist schon einmal, dass es kaum plastikfreie Meeresoberflächen zu geben scheint. In 92 Prozent der 680 Netze wurden Plastikteile gefunden, plastikfrei sind nur Flächen außerhalb der großen Wirbel.

Die Wissenschaftler schätzten die Menge aufgrund von Messungen mit einem Computermodell ab, das die Berechnung der Verbreitung der Teile in den Strömungen und die vertikale Verteilung durch die Winde ermöglichte. Mit Schiffen wurden in 24 Expeditionen in 5 subtropischen Meereswirbeln Plastikteile in Netzen aufgesammelt und größere Teile beobachtet. Erstmals wurden so Teile in allen Größen in vier Klassen von 0,3 mm bis über 20 cm erfasst. Möglich war auch so nur eine grobe Schätzung; notwendig wäre, weit mehr Proben zu sammeln. Aber auch eine genauere Bestandsaufnahme würde natürlich das Problem nicht kleiner machen, sondern nur anschaulicher herausstellen, dass es so nicht weitergehen kann.

In den nördlichen Ozeanen fanden sich mehr etwas mehr Plastikteile als in den südlichen, wo der Indische Ozean am stärksten belastet ist, während im Norden im Nordpazifik mehr Plastik zu finden ist. Aber die in etwa gleiche Verteilung in den Meeren der Süd- und Nordhälfte weist für die Wissenschaftler darauf hin, dass sich der Plastikmüll weltweit in den Meeren entweder durch die Strömungen gleich verteilen könnte oder dass im Norden mehr Plastik von der Oberfläche verschwindet. 92 Prozent der Plastikteile sind Mikropartikel, die kleiner als 4,75mm sind. Der Anteil der kleinsten Partikel (0,33-1,00mm) lag 40 Prozent unter dem der nächsten Klasse (1,01-4,75mm).

Da die meisten Mikropartikel Fragmente von größeren Teilen sind, ist der Fund erst einmal überraschend, weil der Anteil der ersten deutlich höher sein müsste, nur im Südpazifik waren kleine und größere Mikrofragmente etwa gleich verteilt. Ein ähnlicher Befund ergab sich hinsichtlich des Gewichts. Während Makroplastik 75 Prozent des geschätzten Gewichts und Mesoplastik 11,4 Prozent ausmacht, haben die größeren Mikropartikel einen Anteil von 10,6 und die kleinsten von 2,6 Prozent. Das ist eine hundertfache Diskrepanz zwischen dem erwartetem Gewicht und den tatsächlichen Funden.

Plastikmüll an einem Strand des Roten Meers. Bild: Vberger/gemeinfrei

Es muss, so die Wissenschaftler, ein gewaltiger Prozess im Gang sein, der die Mikroteile von der Meeresoberfläche entfernt. Das könne durch Zerfall durch UV-Strahlung, durch Bioabbau, Aufnahme durch Organismen, geringeren Auftrieb durch sich zersetzende Organismen, Einschluss in absinkende Teile oder Ablagerung auf Stränden geschehen. Möglich ist auch, dass der Zerfall von Mikroteilen sehr schnell geschieht, so dass die noch kleineren Fragmente von den Netzen nicht mehr gesammelt wurden. Die Meereswirbel könnten wie ein Schredder wirken.

Die Wissenschaftler weisen darauf hin, dass nach anderen Studien sehr viel mehr Organismen Mikroplastikteile direkt oder indirekt aufnehmen, als man bislang gedacht hat (In 9 Prozent der Fische wurde Plastikmüll gefunden). So würden Organismen, bei denen man nicht weiß, was Plastik in ihnen anrichtet, vielleicht große Mengen des Plastiks aufnehmen (und letztlich auch an den Menschen weitergeben), Teile könnten mit dem Kot auf den Meeresboden sinken.

2012 sollen 288 Millionen Tonnen Plastik weltweit hergestellt worden sein. Bild: M. Schuberthan

Nach Plastics Europe wurden im Jahr 2012 288 Millionen Tonnen weltweit produziert. Nach der Schätzung des Gesamtgewichts des Plastikmülls auf den Meeresoberflächen macht dieser gerade einmal 0,1 Prozent der jährlichen Produktion aus. Das könne daran liegen, dass es sich nur um Minimalschätzungen handelt und dass deutlich mehr Makroplastikteile auf der Oberfläche zu finden sind; Plastik an Stränden, unter der Oberfläche oder am Meeresgrund wurde nicht berücksichtigt. Aber es steht zu vermuten, dass ein großer Anteil des Plastikmülls vermutlich relativ schnell von der Meeresoberfläche verschwindet, die dadurch nicht der Ort ist, wo der Plastikmüll letztlich landet.

Es wurden gelegentlich mehr oder weniger exotische Vorschläge gemacht, wie der Plastikmüll auf den riesigen Plastikinseln in den Meeren eingesammelt werden könnte (Recycled Island). Der Befund der Studie macht jedoch deutlich, dass die Entfernung der kleinen Plastikteile, die sich in Organismen und in organischem Abfall finden, "ökonomisch und ökologisch" praktisch unmöglich ist, weil sie letztlich im Sediment landen. Viel entscheidender als den Müll einzusammeln, aber weiterhin Plastik in gigantischen Mengen zu produzieren und zu vermüllen, wäre es daher, weniger Plastik, der nicht biologisch abbaubar ist, zu produzieren und ihn möglichst weitgehend zu recyceln.