Frankreich: zwei Attentate, ein Schlachtruf

Ein Angriff mit einem Messer auf Polizisten und ein Angriff mit einem Auto auf Fußgänger von Attentätern, die "Allahu akbar" riefen, stellen Geheimdienste vor Probleme

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Die groß angelegte Überwachung der Geheimdienste, die Grundrechtsverstöße mit Verweis auf den Schutz der Bevölkerung vor Terroranschlägen zu legitimieren versuchen, kann ihr Versprechen nicht einlösen. Dies ist eine Beobachtung, die sich bei den zwei Attentaten an diesem Wochenende in Frankreich erneut aufdrängt.

Das erste geschah am Samstag in einer Polizeiwache in der Stadt Joué-lès-Tours in Zentralfrankreich (Region Centre). Ein Mann ging mit einem "sehr großen Messer" auf Polizisten los und verletzte drei schwer. Bei seinem Angriff soll er "Allahu akbar" gerufen haben. Der Attentäter wurde von schnell reagierenden Polizisten auf der Wache, "die von ihren Dienstwaffen Gebrauch machten", getötet.

Laut Bericht der Zeitung Le Parisien war der Attentäter wegen krimineller Aktivitäten (z.B. Drogenhandel und Ladendiebstahl) polizeibekannt. Vor vier Jahren soll der Mann zum Islam konvertiert sein und sich nach Angaben Nahestehender oder Bekannter "seit Kurzem" radikalisiert haben.

Beim Inlandsgeheimdienst (DGSI) soll keine Datenakte zu seiner Person vorliegen; aber er habe jüngst, am vergangenen Donerstag, auf Facebook seine Anhängerschaft zum IS-Dschihadismus durch dessen Fahne auf seinem Profilbild deutlich dokumentiert, heißt es in den Berichten französischer Medien. Weswegen Terrorismusexperten den Begriff des "einsamen Wolfes" hier nicht für angebracht halten, da sich dieser "Wolf" nicht versteckte, sondern seine radikale Anhängerschaft öffentlich ausstellte.

Zu erfahren ist auch, dass der Bruder des Gewalttäters bereits geheimdienstlich bekannt ist, weil er "radikale Positionen vertrat und nach Syrien reisen wollte". Die auf Terrorfälle spezialisierte Abteilung der Staatsanwaltschaft ist nun beauftragt, in diesem Fall weiter zu ermitteln, auch im Umfeld des Gewalttäters; die Behörden behandeln des Fall klar als terroristischen Akt.

Beim zweiten Fall, der sich gestern in Dijon ereignete, gibt sich das französische Innenministerium zurückhaltender: Die genauen Motive eines Autofahrers, der Jagd auf Fußgänger machte und sie niederfuhr, stehen noch nicht fest, sagte der Innenminister gestern Abend.

Der Mann, der eine halbe Stunde lang Passanten in der Innenstadt buchstäblich jagte, seinAuto als Waffe benutzte und dabei 11 Menschen verletzte, zwei davon so schwer, dass sie zeitweise in kritischem Zustand war, soll früher in einer psychiatrischen Klinik gewesen sein, weshalb man offiziell zunächst nur von einem "geistig Gestörten" spricht.

Die Verbindung zum ersten Fall ergibt sich daraus, dass Zeugen auch bei dieser willentlichen Attacke "Allahu Akbar"-Rufe des Attentäters gehört haben. Manche berichten, dass er auch behauptet habe, "für die Kinder in Palästina gehandelt" zu haben. Der Mann wurde festgenomen und kann verhört werden.

Ob er ein Islamist ist oder ein Kalifatsanhänger, bleibt zu klären. Deutlich wird an diesen beiden Fällen, dass die Gefahr von Anschlägen nicht unbedingt von "Dschihadheimkehrern" kommt, sondern von denen, die eben nicht das nahöstliche Kampffeld des Dschihad suchen, sondern gemäß des IS-Gewaltaufrufs in der näheren Umgebung.

Was auch immer letztlich den unmittelbaren Ausschlag für die Angriffe gegeben hat, der Befehl dazu muss nicht, wie eine andere, von Geheimdiensten und deren politischen Anwälten verbreitete Anschauung es vorsieht, von einer elektronisch übermittelten Anweisung einer "Kommandozelle" kommen.