Papier statt Zellen - synthetische Biologie für den Alltag

Genetische Schaltkreise funktionieren auch auf Papier, was die Entwicklung von praktisch einsetzbaren Biosensoren wesentlich erleichtert

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Synthetischen Biologen stehen in dem Ruf, mit neuen Lebensformen zu experimentieren. Doch für manche Anwendungen sind lebende Zellen von Nachteil, da sie meist nur unter Laborbedingungen verlässlich arbeiten. Forscher haben jetzt Biosensoren auf Papier entwickelt, die fast in jeder Umgebung einsetzbar sind. Sogar die Detektion des Ebola-Virus ist damit möglich.

Der angeblich künstliche Organismus, den der Genomforscher J. Craig Venter im Jahr 2010 der Öffentlichkeit präsentierte, dominiert bis heute das Bild der synthetischen Biologie - als wäre die Erzeugung neuer Lebensformen ihr eigentliches Ziel. Doch nur wenige Forscher beschäftigen sich mit dieser Frage, die meisten interessieren sich eher für praktische Anwendungen. Ganz oben auf dieser Liste stehen Biosensoren, die aus synthetischen Schaltkreisen zusammengesetzt werden. Diese könnten etwa dabei helfen, den Zuckerspiegel im Blut zu messen oder gefährliche Infektionen aufzuspüren.

Zum Beispiel das Ebola-Virus. Mit gutem Gespür für aktuelle Ereignisse entwickelten US-amerikanische Forscher um James Collins vom Wyss Institute for Biological Inspired Engineering an der Harvard Universität jetzt einen passenden Biosensor (Pardee et al., Cell, November 2014, Paper-Based Synthetic Gene Networks). Dabei ist dieser leicht zu durchschauende Versuch, durch den Querverweis auf die Ebola-Epidemie größere Aufmerksamkeit zu erlangen, im Grunde überflüssig: Ihr Ansatz hat auch so das Potential, der synthetischen Biologie den Sprung in den Alltag zu ermöglichen.

Der Biosensor auf Papier. Bild: Harvard's Wyss Institute

Collins und seine Kollegen interessierten sich anfangs für zellfreie Systeme. In diesen Experimenten werden die einzelnen Teile eines biologischen Prozesses - DNA, Proteine und sogar ganze Zellorganellen - im Reagenzglas zusammengesetzt, so dass dieser Prozess auch außerhalb einer Zelle ablaufen kann. Die Forscher stellten sich eine einfache Frage: Funktioniert ein zellfreies System auch noch, wenn zuvor es eingefroren und getrocknet wurde? Als dies tatsächlich der Fall war, gingen sie noch einen Schritt weiter - sie tropften die Lösung mit den biologischen Komponenten auf ein Stück Filterpapier und trockneten es dann. Zu ihrer Überraschung stellte auch hier ein Tropfen Wasser das zellfreie System wieder vollständig her.

Ebola als erster Test

Zur gleichen Zeit arbeiten Kollegen von Collins an einem anderen Projekt: Sie entwickelten einen synthetischen Schaltkreis für den Nachweis von RNA-Molekülen, die bei der Aktivierung von Genen entstehen (Green et al., Cell, November 2014, Paper-Based Synthetic Gene Networks). Die beiden Gruppen vereinbarten eine Kooperation und bauten den Schaltkreis in das zellfreie System ein - dieses ließ sich immer noch trocknen und reaktivieren.

Im letzten Schritt koppelten die synthetischen Biologen dieses System an eine Farbreaktion. Nach Aktivierung des Schaltkreises wird ein Enzym produziert, das eine rote Färbung auf dem Papier hervorruft. Schon ein kurzer Blick auf das Papier verrät, ob dieser einfache Biosensor sein Zielmolekül erkannt hat. Zusätzlich konstruierten die Forscher ein einfaches Lesegerät, mit dem sich auch die Menge des Zielmoleküls abschätzen lässt.

Um das Verfahren zu miniaturisieren, tränkten die Forscher das Filterpapier teilweise mit Wachs und erzeugten so kleine Kammern, die nur wenige Millimeter Durchmesser hatten. Jede Kammer wurde mit einem Biosensor bestückt, so dass auf einem kleinen Stück Filterpapier leicht dutzende Biosensoren angeordnet werden können.

Damit waren die Voraussetzungen geschaffen, um den Biosensor an einem praktischen Beispiel zu testen - dem Nachweis des Ebola-Virus. Die Forschern wählten ein Gen, das für das Virus charakteristisch ist, und synthetisierten zwölf verschiedene Schaltkreise, die jeweils einen Teil der RNA erkennen, die nach Aktivierung dieses Gens produziert wird. Zumindest im Labor funktionierte dieser Biosensor einwandfrei. Es gelang sogar, zwei Varianten des Virus zu unterscheiden: den Zaire-Stamm, der die aktuelle Epidemie ausgelöst hat, und den nah verwandten Sudan-Stamm.

Biosensoren auf Papier eignen sich für die Praxis

Wo liegt der Fortschritt bei der Verwendung von Papier? Vor allem in den praktischen Aspekten. Lebende Zellen - die ursprünglichen Träger von synthetischen Schaltkreisen - reagieren empfindlich auf Wärme und viele andere Umwelteinflüsse; in der Regel liefern sie nur unter den kontrollierten Bedingungen eines Labors verlässliche Ergebnisse. Die getrockneten Papier-Biosensoren hingegen können bei Raumtemperatur gelagert werden, sind mindestens ein Jahr lang stabil und können überall reaktiviert und abgelesen werden. Optimale Eigenschaften, um sie auch unter schwierigen Bedingungen oder in wenig entwickelten Ländern einzusetzen.

Biosensoren auf Papier sind auch billig zu produzieren - ein einzelner Sensor kostet kaum mehr als 50 Cent, unter Umständen sogar weniger als zwei Cent. Und nicht zuletzt wird dabei die Sicherheit erhöht: Während lebende Zellen sich vermehren können und im schlimmsten Fall den synthetischen Schaltkreis in die Natur freisetzen, ist diese Gefahr bei Papiersensoren ausgeschlossen.

Von einem praktischen Einsatz ist dieser Biosensor im Moment jedoch weit entfernt. Die Nachweisgrenze für den Virus liegt noch zu hoch, die bislang verwendeten Antikörper-Tests sind da wesentlicher empfindlicher. Und bislang wurden die Biosensoren nur mit gereinigten Laborsubstanzen getestet. Es bleibt daher unklar, ob er das Virus auch in den Blutproben von Patienten erkennt.

Die Wissenschaftler sind jedoch optimistisch, dass sie den Biosensor weiter verbessern können. Sie sehen ihren Ansatz auch nicht als Konkurrenz zu ausgefeilten Labormethoden, sondern eher als deren Ergänzung. Viele weitere Anwendungsgebiete sind denkbar. Eine Variante des Sensors reagiert etwa auf Glukose: Diabetiker könnten so ihren Blutzuckerspiegel kontrollieren. Und da die Biosensoren grundsätzlich in alle porösen Materialien eingebaut werden können, ließen sie sich zum Beispiel auch in die Kleidung integrieren.

Die Wissenschaftler um James Collins verstehen ihre Arbeit vor allem als Ingenieurskunst, nicht als Mittel zur Erschaffung neuer Lebensformen. Die Konzentration auf praktische Anwendungen erzeugt zwar weniger Schlagzeilen, erhöht aber die Chancen auf einen greifbaren Erfolg. Ihr Biosensor könnte die synthetische Biologie für den Alltag nutzbar machen.