Keine Böller in Kiew

Das ukrainische Parlament übergibt dem Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat die Befugnis, über Krieg und Notstand zu entscheiden

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In Kiew wird es zu Sylvester wohl ruhig bleiben. Der Stadtrat entschied am Freitag, dass Feuerwerk in der Stadt bis zum Ende der "Antiterroroperation" verboten ist. Schon zuvor war es verboten worden, während der Feiertage und Silvester Böller oder Raketen zu zünden. Die Ausweitung des Verbots bis zum Ende Kriegs soll, so die Erklärung, mögliche Konflikte zwischen Einwohnern und Gästen verhindern.

Bild: NovorossiaNews

Obgleich die Gespräche in Minsk wieder aufgenommen wurden und heute fortgesetzt werden sollen, es zu einer Vereinbarung über einen erneuten Gefangenenaustausch kam und in den letzten Tagen der Beschuss zwischen ukrainischen Sicherheitskräften und Separatisten stark zurückgegangen ist, was auch die OSZE bestätigt, rüsten sich vermutlich beide Seiten für mögliche weitere Kämpfe. So kritisieren die Separatisten, dass die ukrainischen Sicherheitskräfte nicht wie vereinbart die schweren Waffen zurückgezogen hätten. Das dürfte umgekehrt nichts anders sein, weil keine Seite übervorteilt werden will.

Allerdings haben die OSZE-Beobachter einen Konvoi aus zivilen Lastwagen, die Artilleriegeschütze hinter sich herzogen, gesehen, der Richtung Norden, weg von der Trennungslinie gefahren sei. Dafür berichtet Dmytro Tymchuk, Mitglied der Volksfront von Jazenjuk und Chef des auf Propganda setzenden "Informationswiderstands", dass angeblich russische Soldaten in Donezk ausgewechselt und Söldner aus Russland mit Panzern einreisen würden.

Schwierig scheint es zu sein, gemeinsame Patrouillen vom Zentrum für Kontrolle und Koordination in Debaltseve durchzuführen. Die russische Seite, die die Separatisten stärken und sich selbst zurückhalten will, schlägt vor, dass ukrainische Soldaten mit Separatisten patrouillieren sollen, eine russische Beteiligung wäre nur nach formeller Einladung seitens der ukrainischen Regierung möglich. Von Seiten der Ukraine wird eine vollständige Einhaltung der Waffenruhe geltend gemacht.

Die Rada hat einen deutlichen Schritt weg von Russland mit der Beendigung der Blockfreiheit des Landes gemacht. Einen Tag darauf entschied das ukrainische Parlament, die Kompetenzen des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats zu erweitern - auf Kosten des Parlaments. Den Vorsitz des NSDC hat Olexandr Turtschynow, Ex-Sprecher der Rada und nach dem Sturz von Janukowitsch zeitweise Übergangspräsident. Er gründete mit Timoschenko die Vaterlandspartei und war schon einmal Vorsitzender des Nationalen Sicherheitsrats, Chef des Geheimdienstes und kommisarischer Regierungschef. Er gehört also zur alten politischen Elite, gegen die der Maidan angeblich revoltiert hat. Wie viele andere Poliker war auch Turtschynow schnell aus Machterhaltungsinteressen dabei, die Seiten zu wechseln, also aus dem sinkenden Schiff der Vaterlandspartei in die Volksfront von Jazenjuk zu flüchten. Das hat sich am offenbar ausgezahlt.

Vor allem darf der NSDC nun über "dringende Maßnahmen" entscheiden, "um die Krise zu lösen, die die nationale Sicherheit der Ukraine bedroht". Er soll das Recht haben, den Krieg zu erklären, das Kriegsrecht zu verhängen, den Notstand auszurufen oder eine Mobilisierung einzuleiten. Die Verhängung des Kriegsrechts wurde lange Zeit bereits von nationalistischen Kräften verlangt, konnte aber in der Rada nicht durchgesetzt werden. Durch die Verlagerung in den NSDC könnte dies nun schnell geschehen, die Abgeordneten könnten sich bedeckt halten, auch wenn sie die Entscheidung delegiert haben. Die Entscheidungen des NSDC, der auch die Bekämpfung der Korruption, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit den Kampf gegen Kriminalität koordiniert und kontrolliert, sind für alle Behörden bindend. Es gibt nun also eine Art Superbehörde mit weitreichenden Befugnissen über Krieg und Frieden, deren parlamentarische Kontrolle fraglich ist.

Nach einem angeblichen Anschlagsversuch auf Abgeordnete, darunter den ehemaligen Maidan-Kommandeur und Ex-Vorsitzenden des NSDC Parubij, der sich auch der Volksfront angeschlossen hat, will nun der NSDC die Übergänge von den "Volksrepubliken" in die Ukraine reduzieren und schärfere Kontrollen einführen. Offenbar sollen die Menschen in den "Volksrepubliken" noch stärker sanktioniert werden. Jetzt schon wurde die Zahlung von Renten und anderen Sozialhilfen in das Gebiet der "Volksrepubliken" eingestellt, was auch heißt, dass man diejenigen bestraft, die noch nicht fliehen konnten oder die mit den Separatisten nicht einverstanden sind. Das sind keine guten Zeichen für die Möglichkeit einer friedlichen Lösung des internen Konflikts.

Amnesty berichtet, dass zunehmend ukrainische Milizen die Lieferung von humanitärer Hilfe wie Lebensmittel oder Medizin in die "Volksrepubliken" verhindern. Die Milizen müssten schnell unter die Kontrolle der Regierung gebracht werden, fordert Amnesty. Milizen wie Dnipro-1, Aidar oder solche mit Mitgliedern des Rechten Sektors würden Straßen in die "Volksrepubliken" kontrollieren und fast alle humanitären Lieferungen verhindern. So wären einige Konvois des Oligarchen Rinat Akhmetov aufgehalten worden. Die Hälfte der Menschen in den von den Separatisten kontrollierten Gebieten seien von Hilfslieferungen abhängig.