Wählt uns oder das Chaos

Neuwahlen in Griechenland

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Der frühere EU-Kommissar Stavros Dimas ist bei der Präsidentenwahl in Athen erneut gescheitert. Es muss wegen der Vorgaben der Verfassung Neuwahlen geben. Diese wurden bereits auf den 25. Januar terminiert. Sowohl Alexis Tsipras vom SYRIZA als auch der amtierende Premier Antonis Samaras geben sich siegessicher. Tatsächlich hat der listige Vizepremier Evangelos Venizelos für sich und Samaras Vorsorge getroffen. Bereits im Vorfeld spielte die internationale Presse munter mit. Für den Fall, dass Dimas Präsidentenkandidatur scheitert, drohe ein erneuter Ausbruch der Euro-Krise, so der Tenor.

Wahlprognosen sehen SYRIZA mit ungefähr drei Prozent vorn. Ob und inwiefern die zahlreichen Wahlumfragen Griechenlands den in Deutschland üblichen Standards entsprechen, sei dahingestellt. Fakt ist, dass die auch bei den Regional- und Kommunalwahlen die Linke zu niedrig bewertet hatten.

Geht es nach dem gefühlten Datum, dann möchten viele Griechen ausrufen "same procedure as last year!". Also den berühmten Spruch des Butlers bei der Kultsendung "Dinner for one", die alljährlich zu Silvester in deutschen ÖR-Sendern läuft.

2007 mussten sie mitten im Sommer und nach verheerenden Waldbränden an die Wahlurnen. 2009 war es direkt nach den Sommerferien, welche von den damaligen Europawahlen eingeläutet wurden. 2012 waren die Wählerstimmen sowohl im Mai als auch im Juni gefragt. Jedes Mal lautete die Forderung der Parteien gleich: "Wählt uns oder das Chaos".

Was auch immer die Griechen wählten, erwies sich im Nachhinein als Chaos. Tatsächlich ist jede der aktuellen Wahloptionen mit einem immensen Risikofaktor verbunden. Den Griechen ist das durchaus bewusst. Dies wiederum erklärt, warum immer wieder über Umfragen berichtet wird, in denen die Griechen keine Neuwahlen wünschen, aber trotzdem die Regierung Samaras verteufeln. Dritte Wahl in drei Jahren titelt die BZ-Berlin und liefert den Athener Freunden eine Wahlkampfhilfe .

Letzte Kabinettssitzung der Regierung Samara. Bild: W. Aswestopoulos

Samaras Ausweg

Zwei Tage vor Silvester ließ der griechische Premierminister Antonis Samaras seine Regierung verglühen. Ohne jegliche Gegenwehr hatte sich der Premier in sein Schicksal ergeben.

Statt am Wochenende noch einen politischen Schachzug zu tätigen, gab der Premier seinem Staatsfernsehen ein Interview. Er erklärte, dass sein Verantwortungsbewusstsein ihn zum Aufruf der Einigung mit der Opposition getrieben habe. Diese würde die Zukunft des Landes riskieren, wenn die Wahl Dimas scheitern solle. Die von der NERIT gestellten Journalisten leisteten keinerlei Gegenwehr. Sie ließen sämtliche Thesen Samaras wie Dogmen unkommentiert, leisteten jedoch brav Steilvorlagen, wenn der Premier nach einer Fortsetzung seiner Tiraden suchte. Sie bedrängten ihren Premier nicht einmal damit, dass er höchstpersönlich für die zwei Neuwahlen 2012 gesorgt hatte, nun aber Wahlen verteufelt.

Der Fernsehsender hat die angeblich einseitige ERT ersetzt (Rundfunkanstalt erstürmt) und sich als reiner regierungsamtlicher Sender entpuppt. Dieser Umstand, der noch vor knapp einem Jahr Tausende auf die Straße trieb, sorgt nunmehr nur noch für kleine Twitterstürme im Internet. Tatsächlich könnte die Opposition mit zahlreichen gebrochenen Versprechen Samaras punkten. Manche sind so schrill, dass selbst die Journalisten der NERIT sie hätten ansprechen müssen.

Samaras hatte im November 2013 hoch und heilig via TV-Ansprache versprochen, dass es innerhalb eines Jahres freies Wifi-Internet in Griechenland geben würde. Mit dem freien Netzzugang, so die Theorie von Samaras, würde das Wirtschaftswachstum um mehrere Prozentpunkte nach oben schnellen. So irrwitzig dies klingen mag, das ist das Niveau, auf dem sich die Rettung der griechischen Finanzen bewegen. Die Griechen sahen weder das freie Internet, noch spürten sie bislang das angeblich explodierende Wirtschaftswachstum. Hatte der Premier nicht auch noch ein Ende der Sparmemoranden versprochen, fragten sich die Bürger.

Die nun ausgerufenen Neuwahlen sind laut Samaras und Venizelos, "eine Bedrohung für die Stabilität des Landes und die wirtschaftliche Erholung". Regierungsprecherin Sophia Voultepsi hatte in den Tagen vor der entscheidenden Wahl mehrfach betont, "Neuwahlen wären ein Kreditausfall". Dabei wehrte sie sich gegen Ankündigungen der Panikmache. Die Sprecherin mit Ministerrang beharrte darauf, lediglich ausländische Meldungen und Wertungen der Kreditratingagenturen wiederzugeben.

Derartige Meldungen gibt es viele. Manche treffen noch nicht einmal so zu, wie es zunächst den Anschein hat. Die Informationslage ist für die Journalisten nämlich schlicht zu dünn. So wird allseits verbreitet, dass der IWF seine Hilfszahlungen aussetzen würde, bis die Griechen eine neue Regierung haben. Diese Aussage stimmt ebenso, wie die in den fast gleich lautenden Agenturberichten verbreitete Feststellung, dass Griechenland bis März keinen ernsten Kapitalbedarf habe.

Vergessen wird jedoch, dass der IWF im gesamten Jahr 2014 keinerlei Zahlungen tätigte, sondern diese vielmehr bis zur Klärung der "Lebensfähigkeit der Schulden" einfriert. Um eben diese Lebensfähigkeit der Schulden und den damit verbundenen Schuldenschnitt und/oder ein drittes Rettungspaket ging es bei den Anfang Dezember erfolglos abgebrochenen Verhandlungen der Regierung Samaras mit der Kreditgeber-Troika. Samaras und Venizelos konnten die als notwendige Voraussetzung für eine Einigung geforderten Sparmaßnahmen nicht durchs Parlament bringen. Da kam der Sturz über den rein mit protokollarischen Aufgaben betrauten "Grüßaugust" aka Staatspräsidenten gerade recht.

Aus für Samaras? Bild: W. Waswestopulos

Tsipras Rettungsanker

Für den linken Alexis Tsipras kam die Kraftprobe ebenfalls zur rechten Zeit. Trotz des offensichtlichen Strauchelns der Regierung konnte er bislang noch nicht entscheidend punkten. Grund sind innerparteiische Streitereien und Abstimmungsfehler des kommunistischen, des linken, des Europa-linksreformistischen Flügels und der zahlreichen Mitglieder, die von der PASOK übergelaufen sind.

Aus dem parlamentarisch links sitzenden Lager wird Tsipras von den Kommunisten verteufelt. Die Demokratische Linke wird sich zu großen Teilen für die Wahl mit Tsipras einigen. Zudem neigt die außerparlamentarische Linke dazu, diesmal dem linken Volkstribun zu Hilfe zu eilen. In zahlreichen der linken Splittergruppen wird darüber debattiert, mit SYRIZA ein Wahlbündnis einzugehen und somit "die Rechte zum Teufel zu jagen".

Damit ist bei der derzeit unsicheren Bündnislage der Parteien in Athen unter Umständen sogar eine absolute Parlamentsmehrheit Tsipras möglich. Das würde dann eintreten, wenn SYRIZA seine Kraft auf Prozentzahlen um 34 bis 35 Prozent konzentriert und gleichzeitig nicht zu viele kleine Parteien mit marginalen Werten ins Parlament kommen.

Alexis Tsipras - der nächste Regierungschef? Bild: Syriza

Für die stimmstärkste Partei hatten die jahrzehntelang regierenden Rivalen PASOK und Nea Dimokratia einen Bonus von 50 der 300 Parlamentssitze festgeschrieben. Bei der PASOK ergibt sich momentan das Problem, dass der frühere Premier Giorgos Papandreou eine eigene Partei für die Wahlen gründen will, um sich so an seinem Rivalen Evangelos Venizelos zu rächen. Bereits jetzt knabbert die politisch schwer einzuordnende Partei "To Potami" um den Fernsehjournalisten Stavros Theodorakis an der Stammwählerschaft der PASOK. Über Weihnachten hat sich Theodorakis mit einem Happening am alten Parlament auf durchaus Aufsehen erregende Art und Weise mit parteipolitisch verwaisten Sozialdemokraten versorgt.

Rechts der Nea Dimokratia nagen weiterhin die Goldene Morgenröte und der rechte Flügel der Unabhängigen Griechen am Wählerpotential. Ausgerechnet Samaras über zwanzig Jahre als Bürochef dienender früherer Regierungskoordinator Takis Baltakos (Regierungskoordinator mauschelte mit der Goldenen Morgenröte) tritt mit einer eigenen patriotischen Truppe an.

Es sieht also für SYRIZA und Tsipras durchaus gut aus. Sollte nichts Unvorhergesehenes passieren, dann wird er nach eventuell fälligen Koalitionsverhandlungen spätestens im Februar als neuer Premier vereidigt.

Die Endlosschleife

Wenn Tsipras seine Versprechen danach nicht halten kann, dann wird er ernste Probleme mit den jetzigen Verbündeten haben. Genau dieses Scheitern wollen Samaras und Venizelos vorprogrammieren. Die Verlängerung der Kreditlinie des zweiten Hilfspakets läuft Ende Februar aus. Dann wäre Tsipras im Erfolgsfall erst knapp einen Monat im Amt. Danach ist eine Staatsanleihe über knapp 4,5 Milliarden Euro fällig. Also droht mal wieder die offizielle Staatspleite.

Kurzum, es wird entweder ein neues, drittes Hilfspaket nach altbekanntem Muster geben oder aber jemand in der Eurogruppe tätigt im übertragenen Sinn endlich den Ausspruch über des Kaisers Kleider. Im ersten Fall geht die Überweisung von Schecks an die Gläubigerbanken der Griechen endlos weiter. Kommt es zur alternativen Lösung, dann ist in Griechenland die so genannte Metapolitefsi genannte Zeit seit dem Sturz der Junta 1974 endgültig zu Ende.

Hinsichtlich der erneut fälligen Präsidentenwahl braucht Tsipras übrigens keine Angst zu haben. Für den ersten Wahlgang braucht er laut Verfassung 180 Stimmen, im zweiten aber nur 151 und im dritten schlicht eine relative Mehrheit unter den 300 Abgeordneten der Vouli.