Rechter Angriff auf kritischen Journalisten

Während der schon von den Nazis gebrauchte Begriff der "Lügenpresse" über das rechte Milieu hinaus populär wird, stellt sich die Frage nach einer linken Medienkritik

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Am vergangenen Wochenende ging das Auto eines Fotografen in Berlin in Flammen auf. Was die Berliner Polizei zunächst in die Kategorie Autobrandstiftungen einreihte, war wohl ein Anschlag aus dem rechten Milieu, wie die Organisation "Reporter ohne Grenzen" in einer Pressemitteilung vermeldete. In der gleichen Nacht wurde auch das Auto eines lokalen SPD-Politikers in Brand gesetzt, der sich gegen Neonazis im Bezirk engagiert.

Auf den Fotografen, der nicht namentlich genannt werden will, war bereits im April dieses Jahres ein Anschlag verübt worden. Zuvor war er auf einer Liste der rechte Anti-Antifa mit Foto, Name und Adresse unter der Rubrik Antifafotografen aufgeführt. Die Liste kursiere auf verschiedenen Neonaziforen. Auch ein AfD-Politiker habe sie auf Facebook geteilt, berichtete einer der betroffenen Fotografen gegenüber der Taz. Mittlerweile reagieren die Betroffenen mit Abmahnungen auf die weitere Verbreitung dieser Liste.

Von Lügenpresserufen zum Anschlag

Dass kritische Journalisten ins Visier der rechten Szene geraten, ist nicht neu. Doch das Ausmaß der Kampagne hat sich erhöht. Ob bei Kundgebungen der Partei Die Rechte oder auf Pegida- oder Hogesa-Demonstrationen, überall ist die Parole "Lügenpresse auf die Fresse" zu hören. Auf diesen Aufmärschen wurden Journalisten bedrängt und bedroht. Nach einer Demonstration von Gegnern des Flüchtlingsheims in Marzahn, bei der Journalisten massiv bedroht wurden, schrieb der Vorsitzende der DJU bei verdi-Berlin Andreas Köhn in einen Brief an den Polizeipräsidenten der Stadt:

Leider müssen wir aufgrund der Vorfälle am 17. November 2014 feststellen, dass das hohe Gut der Pressefreiheit und die damit verbundene Unversehrtheit von Pressevertretern kein Anliegen der Berliner Polizei zu sein scheint. Aussagen von Beamten der Berliner Polizei gegenüber Pressevertretern am 17. November 2014 wie: "Wir raten Ihnen auf Distanz zu gehen, da wir Ihre Sicherheit nicht gewährleisten können." sind im höchsten Maße inakzeptabel. Falls die Berliner Polizei dies nicht gewährleisten kann, hätten Sie die Möglichkeit gehabt, diesen Aufmarsch zu verbieten.

Der Topos von der Lügenpresse ist, wie die Taz kürzlich in ihrer Rubrik Wortkunde nachwies, direkt aus dem Wortschatz des NS übernommen.

Der Nationalsozialismus war die Hochzeit des Begriffs LÜGENPRESSE. Zwar taucht er schon 1914 auf, etwa in Reinhold Antons "Der Lügenfeldzug unserer Feinde: Die Lügenpresse". Die Nazis übernahmen den Begriff und luden ihn antisemitisch und antikommunistisch auf, um missliebige Meinungen außenstehenden Feinden der "Volksgemeinschaft" zuzuschreiben - und andersherum die Kritiker auszuschließen. Joseph Goebbels verwendete ihn, um Kritiker zu denunzieren ("Ungehemmter denn je führt die rote Lügenpresse ihren Verleumdungsfeldzug durch"), Alfred Rosenberg konstruierte die "Lügenpresse" als Gegensatz zum reinen Willen des Volkes und dessen Darstellung. Seither gehört der Begriff zum Standardvokabular der extremen Rechten in Deutschland…taz

Ist Medienkritik von links noch möglich?

Allerdings wurde die Behauptung, dass die Medien nur lügen, auch auf den sogenannten Montagsmahnwachen verbreitet und fand viel Zustimmung. Dort tummelten sich aber neben organisierten Rechten und Verschwörungstheoretikern auch manchen Linke. So kann man zumindest in dem Punkt der Polemik des Jungle-World-Redakteur Ivo Bozic zustimmen, der den Friedenswinter, also den Zusammenschluss von Teilen der Mahnwachen mit der traditionellen Friedensbewegung, als Pegida für Linke bezeichnete.

Allerdings muss man dann auch hinzufügen, dass die Vorstellung, dass die Medien lügen, in linken Kreisen lange Zeit festverankert war. Dass "Bild lügt" gehörte seit 1968 zum Commonsense in linken und linksliberalen Kreisen. Ende der 80er Jahre kam die Parole "Taz lügt" auf. Damit wollen Hausbesetzer und Autonome sich vom grünliberalen Mainstream abgrenzen, bei dem damals noch die Bildzeitung ein Hassobjekt war, die Taz aber das alternative Medium per se war.

Es ist bezeichnend, dass die AfD die Taz lügt-Kampagne in neuerer Zeit wieder aufgegriffen hat. Die Taz aber hatte eine ihrer Wurzeln in einem Informationsdienst für die Verbreitung unterdrückter Nachrichten. Er ist im Deutschen Herbst entstanden, als ein Großteil der Medien in der BRD sich bei der Berichterstattung über die radikale Linke nach Vorgaben des Staates richtete.

Die Erfahrung, dass die Medien im Zweifel auf Seiten des Staates sind, war also für viele damals politisch Aktive prägend. Dass Misstrauen zumindest in die etablierten Medien war Teil einer staatskritischen Theorie und Praxis nicht nur in Deutschland. Don't believe the Hype von der US-Band Public Enemy drückte diese Ablehnung gegenüber den Medien und ihrer Meinungsmache gut aus.

Dieses durchaus staatskritische Herangehen ist auch heute noch zu verteidigen. Es ist aber eben zu unterscheiden von dem rechtspopulistischen Lügenpresse-Geschrei und es ist wichtig hier auch Trennlinien zu ziehen. Nur so verhindert man, dass eine kritische Auseinandersetzung mit den Medien den Rechten zugeschlagen wird. Eine solche kritische Medienrezeption wirft den Medien eben nicht in erster Linie vor, dass sie lügen, sondern dass sie populistische Stimmungen gegen Minderheiten, politisch oder gesellschaftlich Unliebsame aufgreifen und verstärken. Ein Beispiel ist die Berichterstattung in vielen Medien über Geflüchtete. Insofern sind Bewegungen wie Pegida etc. trotz ihrer Pressefeindlichkeit näher an der Praxis vieler Boulevardmedien, als sie wahrhaben wollen. Können heute Linke noch den Topos der Lügenpresse benutzen? Unter diesen Gesichtspunkten ist der Werbespruch der Tageszeitung junge Welt: "Sie lügen wie gedruckt. Wir drucken, wie sie lügen." zumindest eine verkürzte Medienkritik. Auch er wirft der Konkurrenz einfach vor, sie lüge und preist das eigene Medienprodukt dagegen als die Zeitung an, die unterdrückte Wahrheiten verbreitet.

Dabei zeigt ein Blick auf die Berichterstattung auf den Ukraine-Konflikt, dass es eben nicht um Lüge versus Wahrheit geht, sondern um die Frage, worauf der Focus gerichtet wird. So wird in der jW-Berichterstattung zum Ukrainekonflikt der rechte Hintergrund in der Maidan-Bewegung, der in einem Großteil de übrigen Medien nur am Rande vorkommt, breit thematisiert. Dafür werden in der jW rechte und nationalistische Tendenzen in der prorussischen Bewegung im Gegensatz zu einem Großteil der anderen Medien als Randbereich betrachtet. Diese Differenz unter das Stichwort Lügen zu bringen, ist problematisch.

Zudem steht eine kritische Medienrezeption im Zeitalter des Internet vor neuen Herausforderungen. Denn hier ist ja das Kennzeichen nicht die Unterdrückung, sondern die massenhafte Verbreitung der abstruseste Nachrichten und Verschwörungstheorien. Die Verbreiter wollen eine kritische Auseinandersetzung mit ihren Thesen oft damit verhindern, dass sie alle gegenteiligen Meinungen als Machwerk der Lügenpresse diffamieren. Die populistische Medienfeindlichkeit, wie sie auf den Montagsmahnwachen bis Pegida auftritt, wird hiervon gespeist. Rechte Kreise können sie sich zu Nutze machen. Nicht immer führt eine solche Kampagne zu Angriffen auf kritische Journalisten. Aber der Anschlag auf den Fotografen in Berlin sollte eine Warnung sein und Linke zu einer Medienkritik auf der Höhe der Zeit animieren.