"Staatspleite" Argentiniens demnächst beendet?

Mit der ausgelaufenen Rufo-Klausel ist das Erpressungspotential der "Geier-Fonds" praktisch verschwunden

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Wie Telepolis erwartete, stürzte Argentinien 2014 nicht erneut in eine Pleite ab, nachdem das Land wegen der Unnachgiebigkeit von Hedgefonds die "technische Pleite" riskierte (Staatspleite für (vielleicht) Weltmeister Argentinien?). Und man ist in Buenos Aires gut damit gefahren, dem Urteil des US-Richters Thomas Griesa aus dem vergangenen Sommer nicht nachzukommen. Denn hätte Argentinien die Forderungen der "Geier-Fonds" bedient, wie die Regierung in Buenos Aires sie nennt, wäre das Land real wieder pleite gewesen.

Geld für die Begleichung von deren Forderungen in Höhe von gut 1,3 Milliarden US-Dollar (1,5 Milliarden mit Zinsen) hatte Argentinien ausreichend. Hätte es die Forderung bis zum 31. Dezember beglichen, wäre die Rufo-Klausel (Rights Upon Future Offers) zur Anwendung gekommen. Die sicherte bis zum 1. Januar allen Gläubigern eine Gleichbehandlung zu, weswegen Nachforderungen bis zu unbezahlbaren 140 Milliarden Dollar auf das Land zugekommen wären. Argentinien wäre wieder am Ausgangspunkt der Pleite von 2001 angelangt und die erfolgreiche Konsolidierung am Verhalten von unnachgiebigen Hedgefonds zerschellt. Argentinien hatte sich mit etwa 93% der Gläubiger auf eine Umschuldung geeinigt. Diese hätten bisher über die Rufo-Klausel Nachforderungen stellen können, wenn Argentinien die Gläubiger höher entschädigt hätte, mit denen es bisher keine Einigung gab. Nun könnte Argentinien die Umschuldungsverweigerer (Holdouts) sogar auszahlen, ohne bei denen nachbessern zu müssen, die der Umschuldung einst zugestimmt haben.

Die Hedgefonds unter Führung von NML Capital und Aurelius Capital Management haben hoch gepokert. Mit dem Auslaufen der Rufo-Klausel ist jetzt ihr Erpressungspotential weitgehend verschwunden. Sie hatten ohnehin nie Argentinien-Anleihen gekauft, sondern sie in der Pleite billig aufgekauft. Sie fordern aber den Nennwert, um einen Gewinn von 1600% einzustreichen. Ob die, die das Verfahren bei Griesa in den USA gewonnen haben, nun über eine einvernehmliche Lösung verhandeln werden, wird sich zeigen.

Die Regierung in Buenos Aires bezweifelt deren Bereitschaft zur Einigung, doch Wirtschaftsminister Axel Kicillof schließt nicht aus, dass es zu einer Einigung kommen könnte. Die Regierung gibt sich weiter hart. Sie will die "Aasgeier" nicht belohnen und den Hedgefonds mehr bezahlen, als jenen Gläubigern, die einst Abschläge von 65% vom Nennwert akzeptiert haben. Und zudem wird in Argentinien 2015 gewählt. Die Haltung gegenüber den Hedgefonds führte zu einer größeren Beliebtheit der Regierung unter Cristina Kirchner, die den Hedgefonds bisher nur die einstige Umschuldungsvereinbarung als Lösung anbietet. Das brächte den Hedgefonds immerhin noch einen Gewinn von 300% ein.

Verhandlungen könnte auch begünstigen, dass es ihnen nicht gelungen ist, Argentinien international zu isolieren, wie es auch die Entscheidungen des greisen Richters vorsahen. Denn der 84-Jährige verfügte auch, nicht einmal die Schulden der großen Mehrheit dürften solange bedient werden, bis die Schulden bei den Hedgefonds bezahlt sind. Banken machten sich strafbar, wenn sie dagegen verstoßen. Argentinien hatte aber als Zeichen an die Gläubiger die ausstehenden Zinsen in Höhe von mehr als einer halben Milliarde Dollar an die Bank of New York Mellon überwiesen. Es hat seine Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit gegenüber denen bewiesen, die der Umschuldung zugestimmt hatten. Das Geld ist aber auf Basis des Griesa-Urteils bei der Bank blockiert.

Der US-Richter ging sogar so weit, dass er den Schuldendienst für Anleihen blockierte, die gar nicht in New York nach US-Recht und in Dollar ausgegeben wurden. Blockiert sind auch Zinszahlungen auf Anleihen in Euro, die in London nach britischem Recht begeben wurden. Dagegen klagt der bekannte Milliardär George Soros mit dem Hedgefonds-Manager Kyle Bass in London, um Zahlungen von der Bank of New York Mellon zu erzwingen. Griesa musste sogar schon ein kleines Stück einlenken. Die Citibank in den USA darf nun Zinsen für Anleihen auszahlen, die in Buenos Aires nach argentinischem Recht emittiert wurden.

Unbekannt ist, warum Griesa gleich fast alle Gläubiger des Landes zu Geiseln macht. Sein Urteil "verletzt die Grundsätze der Billigkeit, die im US-amerikanischen Rechtssystem verankert sind", meint zum Beispiel die renommierte französische Zeitung Le Monde diplomatique. In einem ausführlichen Artikel zum Thema fragen sich die Autoren, welches Unrecht die Besitzer der abgewerteten Bonds begangen hätten, dass man sie mit der Konfiszierung ihres Eigentums bestraft. Sie vermuten, dass der Richter "ideologische Motive" hat, und führen "erhebliche Zweifel an seiner fachlichen Kompetenz" an, wie eine Anhörung gezeigt habe.

Für die Zeitung ist sogar "noch erschreckender", dass auch höhere Instanzen das Urteil nicht aufhoben, obwohl sogar der Internationale Währungsfonds (IWF) zugunsten Argentiniens intervenieren wollte. Und noch erstaunlicher war für die Autoren, dass der IWF, in dem die USA den Ton angeben, "diese Entscheidung vom IWF-Exekutivdirektorium zurückgenommen haben". Darauf angesprochen erklärte der IWF-Pressesprecher William Murray sehr deutlich, woher der Wind wehte: "Gehen Sie zum US-Finanzministerium und fragen Sie nach einer Erklärung für deren Entscheidungen."

Argentinien hat während der technischen Pleite diverse Kooperationen mit Ländern wie Russland vorangetrieben, das ebenfalls mit den USA im Clinch liegt (Russland baut Interessen im "Hinterhof" der USA aus). Kürzlich erhielt das Land auch chinesische Kredite, um notwendigste Importe bezahlen zu können. Und die Empörung darüber, dass ein Richter in den USA ein souveränes Land in die Pleite treiben kann, hat sogar deutliche Spuren in den Vereinten Nationen (UN) hinterlassen. Die UN-Generalversammlung hat Mitte Dezember eine Resolution aus dem vergangenen September ratifiziert.

Gefordert wird darin, dass ein internationaler Rechtsrahmen für Staatsinsolvenzen und Umschuldungsverfahren für Staaten erarbeitet werden müsse. 128 Länder stimmten für den Antrag, 16 dagegen und 34 enthielten sich. Die Initiative war von der Gruppe der 77 und China gestartet worden, um geordnete Staatsinsolvenzen zu ermöglichen. Diese Verhandlungen müssten unabhängig von den Bedingungen des IWF verhandelt werden, wird gefordert. Es ist kein Wunder, dass die USA gegen die Resolution gestimmt haben. Unterstützt wurden die USA dabei von Kanada, Deutschland, Israel und Großbritannien, die diese Kompetenz weiter dem IWF zuweisen.