"Es handelt sich nicht um eine Medienverdrossenheit"

Medienpolitiker und -praktiker Heiko Hilker, Mitglied im MDR-Rundfunkrat, über die herrschende Kritik an Medien, die Nachrichtenproduktion und die Entwicklung der Medien

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"Die Frage, wer alles welche Interessen verfolgt, wird nicht bis in die Tiefe recherchiert. Die Frage, welche Interessengruppen hinter welchem Politiker bzw. welcher Position stehen, wird nicht bis ins Detail aufgearbeitet." Dieser Ansicht ist Heiko Hilker, der für die Linkspartei als Medienpolitiker tätig war und heute neben seiner Arbeit für das Dresdner Institut für Medien, Bildung und Beratung auch im MDR-Rundfunkrat sitzt.

Im Interview mit Telepolis geht Hilker auf den Begriff der "Medienverdrossenheit" ein, der derzeit immer wieder zu hören ist, und macht deutlich, dass die Kritik an den Medien für ihn eher ein Anzeichen einer "Medienmacherverdrossenheit" ist. Schließlich, so sagt er, könne er nicht wahrnehmen, dass "Menschen Medien weniger nutzen."

Zugleich mach Hilker deutlich, dass er mit dem Begriff Medienmacherverdrossenheit nicht alle Journalistinnen und Journalisten meint: "Kritik richtet sich an eine Gruppe von Journalistinnen und Journalisten, die politisch einseitig, oberflächlich bzw. einseitig berichten sowie zum Teil eng mit Politik und Wirtschaft verbunden sind."

Herr Hilker, Sie waren Medienpolitiker, sitzen im MDR-Rundfunkrat und arbeiten für das Dresdner Institut für Medien, Bildung und Beratung. Wie haben Sie das Jahr 2014 im Hinblick auf "die Medien" erlebt?

Heiko Hilker: Da ließe sich vieles benennen. Schließlich reicht es nicht mehr wie vor 20 Jahren, nur Radio, Fernsehen, Zeitungen und Zeitschriften sowie Kino und Film zu betrachten. Es ist nicht nur in den letzten Jahren das Internet mit seiner Vielzahl von Anbietern und Angeboten hinzugekommen. Wer sich mit Medienpolitik beschäftigt, muss neben der Entwicklung der Medienkonzerne auch Fragen wie Datenschutz, Netzneutralität, Frequenzregulierung, Softwareentwicklung, Werbezeitenvermarktung und viele weitere Bereiche im Blick haben.

Entscheidend für und Entwicklungen von neuen Geschäftsmodellen haben Auswirkungen auf das Zusammenleben der Menschen und die Entwicklung der Gesellschaft. Dies hat sich 2014 noch einmal besonders gezeigt.

Warum?

Heiko Hilker: In den letzten Jahren ist festzustellen, dass es immer mehr Drittanbieter und Seiteneinsteiger gibt, die Rundfunk anbieten bzw. rundfunkähnliche und andere mediale Angebote unterbreiten. Dies machen sie vor allem deshalb, um die Nutzerinnen und Nutzer auf ihre Plattformen zu ziehen und vor allem personenspezifische Daten zu akquirieren. Diese personenspezifischen Daten werden zu Geld gemacht: indem personenspezifische Werbung geschaltet und Kaufangebote unterbreitet werden bzw. die Daten weiterverkauft werden. Es geht vor allem darum, die (endliche) Aufmerksamkeit des jeweiligen Nutzers für sich zu gewinnen und möglichst lange zu binden.

Aber wie gewinnt man die Aufmerksamkeit?

Heiko Hilker: Aufmerksamkeit kann man am besten mit personenspezifischen medialen (Unterhaltungs-)Angeboten gewinnen. Dementsprechend werden auch die neuen Möglichkeiten der sozialen Netzwerke bewusst zur Kommunikation genutzt. Ziel fast jeglicher Kommunikation wird, weitere Daten zu gewinnen. Es wird versucht, kommunikative Prozesse und somit auch soziale Beziehungen zu monetarisieren. Das sich daraus ergebende Agieren der Anbieter hat also auch Kommunikation zum Ziel, doch diese kann auch "gegen die Demokratie laufen". Doch sollen die Medien nicht "der Demokratie dienen", wie es das Bundesverfassungsgericht immer wieder festgestellt hat? Ist es nicht ihr Auftrag, zur öffentlichen Meinungsbildung beizutragen? Inwieweit machen sie dies noch?

Um unabhängig von politischen und ökonomischen Interessen agieren zu können, erhalten ARD, ZDF und Deutschlandradio fast 7,5 Mrd. Euro an Rundfunkbeitragsgeldern. Allerdings sind sie dieses Jahr im Rahmen der Ukraine-Berichterstattung wie auch die etablierten Zeitungen stark in Kritik geraten.

Worauf beruht denn die geäußerte Kritik an den Medien?

Heiko Hilker: Zum einen wird ihnen eine fehlerhafte Berichterstattung vorgeworfen. Zum anderen wird die Berichterstattung als einseitig und interessengeleitet wahrgenommen, da ein großer Teil der Bevölkerung die Situation anders einschätzt als die meisten meinungsführenden Journalistinnen und Journalisten. Dies ist ja nichts Neues.

Dies war auch schon zu Zeiten des Afghanistan-Einsatzes so.

Heiko Hilker: Damals haben 80 Prozent der Bevölkerung den Einsatz abgelehnt, doch dies bildete sich so nicht in der Berichterstattung ab. Ein Grund dafür war, dass die Regierungspolitik ein anderes Ziel verfolgte. Die Medien bilden wiederum diese Regierungspolitik vor allem in den Nachrichten nur ab. Es wird dargestellt, was die Regierung gesagt, verhandelt bzw. beschlossen hat. Es wird darüber berichtet, wie dies umgesetzt wird. Die Nachrichten, die eine große Reichweite in der Bevölkerung haben, zeichnen so durch die Verkürzung ein einseitiges Bild. Natürlich gibt es im gesamten Programm tiefergehende Beiträge, Features und Dokumentationen, die die Dinge komplexer und ausführlicher darstellen. Doch die Nachricht in der Tagesschau wird von 10 Millionen Menschen gesehen, der Beitrag im Politikmagazin von ca. 3 Millionen. Eine Nachricht wird in den Radiowellen der Sender - zum Teil bundesweit - mehrmals tagsüber wiederholt, das politische Feature läuft abends auf einem Sender. Die Reichweiten der einzelnen Darstellungen sind also extrem unterschiedlich.

Die Nachrichtenproduktion läuft zum Teil wie am Fließband. Das Gewicht der Agenturen steigt. In den Redaktionen fehlen Journalistinnen und Journalisten, die Agenturmeldungen überprüfen und einordnen können. Damit meine ich nicht die Fähigkeit dazu, sondern es sind einfach zu wenige Leute. Man konkurriert mit den anderen Sendern und überlegt, ob man die Nachricht auch bringen muss, wenn alle anderen sie schon senden. Letztlich befeuern so auch Twitter und Facebook "das Geschäft".

Um auf die Nachrichten zurückzukommen. Sicher, diese müssen kurz sein. Doch zumeist würden ein, zwei weitere Sätze reichen, um eine Nachricht besser einordnen, Hintergründe andeuten bzw. sie als PR offenlegen zu können.

Die Bereitschaft, sich durch Kritik zu positionieren, hat in den letzten Jahren bei Journalisten stark abgenommen

Das sind strukturelle Probleme, die hier kenntlich werden. Erleichtern diese Verhältnisse nicht auch eine mögliche Einflussnahme auf die Medien von außen?

Heiko Hilker: Natürlich. Wer um die journalistischen Produktionsprinzipien und die vorhandenen Ressourcen weiß, der weiß auch, wie er Einfluss nehmen kann. Das muss dann nicht direkt über Personen gehen. Wenn es über Personen gehen sollte, ist doch zu fragen, warum diese Journalistinnen und Journalisten innerhalb der Sender gerade diese Funktion ausüben. Ich sehe, dass viele Funktionen gerade mit denen besetzt sind, die diese Aufgaben im Sinne der Funktion erfüllen, die die dafür nötige Weltanschauung und journalistische Berufsauffassung, die entsprechenden eigenen Werte und Prinzipien haben.

Was mich beunruhigt, ist, dass es eine große Zahl Journalistinnen und Journalisten gibt, die schreiben, dass eine Person allein ein ganzes Land in eine Richtung drängen, manipulieren, in Geiselhaft nehmen kann. Dabei sagt einem ja schon der gesunde Menschenverstand, dass hinter einer Person immer auch Netzwerke stehen, dass es in einem Land unterschiedliche Interessengruppen gibt. Hinzu kommt, dass einige Journalistinnen und Journalisten die Hilfe der USA so darstellen, als ginge es um Menschenrechte und Demokratie. Es gibt ausreichend Beispiele in der jüngeren und älteren Vergangenheit, in denen den USA Demokratie und Menschenrechte egal waren, wenn es um ihre wirtschaftlichen bzw. geostrategischen Interessen ging.

Journalistinnen und Journalisten müssten diese Interessen jedoch offenlegen. Wer dies macht, macht sich jedoch angreifbar, denn er positioniert sich. Dies ist umso schwieriger, da ja nicht alle Fakten bekannt sind, man sich auch irren kann. Diese Bereitschaft, sich zu positionieren, hat in den letzten Jahren stark abgenommen. Immer öfter lässt man Experten sprechen. Viele Kommentare enden mit einer Entweder-Oder-Prognose.

Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Mediennutzer äußerte laute Kritik an dem gelieferten Journalismus, der Begriff Medienverdrossenheit macht die Runde. Halten Sie den Begriff für geeignet, um das Phänomen zu erfassen?

Heiko Hilker: Nun, das ist wie mit der Politikverdrossenheit. Ich erinnere mich, dass es Anfang der 90er Jahre eine große Debatte darüber gab, dass die Jugend politikverdrossen sei. Um dies zu untersetzen, wurden zwei Trends angeführt: Die Wahlbeteiligung junger Menschen sinke und auch die Zahl derjenigen, die sich in Parteien und deren Jugendorganisationen organisieren würde. Allerdings gab es einen Gegentrend. Die Zahl derjenigen, die sich in Vereinen und Initiativen engagieren würden, nehme zu. Sie wollten sich nicht allgemeinpolitisch, sondern für konkrete Ziele organisieren. Und so kamen Jugendforscher zu der Aussage, dass die Jugend nicht politikverdrossen, sondern Politiker-verdrossen sei.

Ich nehme nicht wahr, dass die Menschen weniger Medien nutzen. Es sind bestimmte Angebote, die Nutzerinnen und Nutzer verlieren. Zu fragen ist natürlich, inwieweit die einzelnen Medien zur politischen Information genutzt werden, welche Quellen die politische Meinungs- und Willensbildung bestimmen. Da sind die Zeiten von wenigen großen Fernsehkanälen und einigen starken überregionalen Zeitungen und Zeitschriften vorbei. Das Internet bietet da Alternativen. Die Bürgerinnen und Bürger können sich über die sozialen Netzwerke und Blogs über ihre Sicht der Dinge austauschen.

Früher konnten andere politische Sichtweisen gar keine Massenrelevanz erreichen, wenn sie nicht durch das Nadelöhr der etablierten Medien gingen. Heute ist dies anders. Die vielen kritischen Kommentare unter den Artikeln sowie die Diskussion über Artikel und Berichte zeigen ja gerade, dass diese gelesen, gehört bzw. gesehen werden. Es gibt auch viele Berichte und Artikel, die nicht nur verlinkt, sondern auch - positiv - empfohlen werden. So kann ein Medium auf der einen Seite gelobt, auf der anderen kritisiert werden. Diese Differenziertheit offenbart: Es handelt sich nicht um eine Medienverdrossenheit, sondern wenn, dann um eine Medienmacher-Verdrossenheit. Dabei sind nicht alle Journalistinnen und Journalisten gemeint. Die Kritik richtet sich an eine Gruppe von Journalistinnen und Journalisten, die politisch einseitig, oberflächlich bzw. einseitig berichten sowie zum Teil eng mit Politik und Wirtschaft verbunden sind.

Durch die Auswahl der Journalisten und der Redaktionsleiter wird bestimmt, welchen "Sound" die Berichterstattung haben wird

Unter massiver Kritik stehen auch die öffentlich-rechtlichen Medien. Ihnen wird Manipulation und Zensur vorgeworfen. Der Intendant des WDR, Tom Buhrow, sagte im Hinblick auf die Vorwürfe, diese gingen gegen die journalistische Ehre. Sie sitzen im Rundfunkrat des MDR. Wie haben Sie die Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen aufgenommen?

Heiko Hilker: Der MDR-Rundfunkrat tagt ja nicht permanent, sondern zwischen fünf- bis sechsmal im Jahr. Auch der Hörfunk- bzw. Fernsehausschuss tagt nicht öfter. Mit Kritik wird sich vor allem dann beschäftigt, wenn diese in den Tagen vor den Sitzungen durch die Medien ging. Der MDR-Rundfunkrat hat sich im Herbst insbesondere in den beiden Programmausschüssen mit der Ukraine-Berichterstattung der eigenen Programme, also des MDR-Fernsehens, der Hörfunkwellen sowie im Onlinebereich beschäftigt. Für die Sendungen im ERSTEN ist der Rundfunkrat zuständig, der diese Sendungen zuliefert, für die Tagesschau also der NDR. Daneben beschäftigt sich der ARD-Programmbeirat ausführlich mit dem ERSTEN.

Tom Buhrow hatte im Zusammenhang gesagt, dass er den "Vorwurf unsauberer und einseitiger Berichte" nicht auf sich sitzen lassen werde, dies gehe "an die journalistische Ehre". Mittlerweile gibt es ja sowohl von einzelnen Redaktionen Richtigstellungen bzw. Entschuldigungen. Manchmal heißt es, dass angesichts der Situation vor Ort sowie der Faktenlage keine andere Berichterstattung möglich war und deshalb Dinge berichtet wurden, die sich im Nachgang als nicht treffend erwiesen. Manipulation und Zensur setzen ja ein bewusstes Handeln voraus.

Ist das Problem nicht komplexer?

Heiko Hilker: Ja, ich gehe davon aus, dass das Problem komplexer ist. Zum einen wird schon durch die Auswahl der Journalistinnen und Journalisten sowie der zuständigen Redaktionsleiter und darüber stehenden Hierarchen bestimmt, welche Schwerpunkte, welchen "Sound" die Berichterstattung haben wird. Nur wenige politische Journalistinnen und Journalisten können ihre persönliche Sichtweise aus der Berichterstattung herausnehmen und vollkommen frei an ein Thema herangehen. Zum zweiten ist zu vermuten, dass das Hintergrundwissen von vielen Journalistinnen und Journalisten abnimmt. Wie sonst ist es zu erklären, dass ein Ereignis nicht in seinem Kontext, in seiner geschichtlichen Entstehung dargestellt wird? Manche Entwicklungen lassen sich, wenn man nicht oberflächlich sein will, nur erklären, wenn man geschichtlich 20 oder 50 Jahre zurückblickt.

Können Sie das erläutern?

Heiko Hilker: Die Frage, wer alles welche Interessen verfolgt, wird nicht bis in die Tiefe recherchiert. Die Frage, welche Interessengruppen hinter welchem Politiker bzw. welcher Position stehen, wird nicht im Detail aufgearbeitet. Dies alles sind ja notwendige Voraussetzungen, um sich selbst erst einmal ein Bild zu machen. Denn nur so kann man die Ereignisse, von denen ein Teil ja auch PR-Inszenierungen sind, einordnen.

Es fehlen anscheinend auch die Arbeitsinstrumente, um PR-Nachrichten erkennen und einordnen zu können. Diese braucht man in einer Zeit, in der Interessengruppen über PR-Strategien gezielt und verdeckt versuchen, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Jeder Nachrichtenredakteur müsste also Zugriff auf eine entsprechende PR-Datenbank haben, aus der hervorgeht, wer mit wem vernetzt ist, wer in welchen Bereichen aktiv ist, welche Lehrstühle und Forschungseinrichtungen von wem und wofür finanziert werden etc.

Wenn man die Auslandskorrespondentinnen und -korrespondenten sieht, so haben die keine leichte Arbeit. Selbst wenn die Auslandsstudios in Krisenzeiten aufgestockt werden, kommen die Journalistinnen und Journalisten kaum heraus. Sie haben genug zu tun, um die Anforderungen der ARD-Fernsehsender und Radiowellen zu bedienen, die zumeist eigene O-Töne haben wollen. Zudem haben diese auch schon ihre Sicht der Dinge, wollen eine Berichterstattung im Rahmen ihrer redaktionellen Sichtweise. (Die Probleme der Auslandsberichterstattung hat z.B. Lutz Mükke schon 2008 sehr gut beschrieben.)

Wer über Medien auf die öffentliche Meinung Einfluss nimmt, muss sich auch dem öffentlichen Diskurs stellen

Redaktionen stehen natürlich unter Druck.

Heiko Hilker: Ja, auch die Redaktionen zu Hause stehen unter Druck, wenn es Meldungen bei der Konkurrenz oder in den sozialen Netzwerken gibt. Man will und muss schnell sein, doch dafür fehlt das Personal. Da wurden ja in den letzten Jahren Stellen eher abgebaut.

Wer um die internen redaktionellen Sichtweisen sowie die Produktionsprinzipien und -zwänge weiß, für den ist es bei entsprechenden Ressourcen einfacher, Nachrichten zu lancieren.

Natürlich können Fehler immer wieder auftreten. Doch so, wie man einen politischen Vorschlag auf "Herz und Nieren" prüft, sollte man auch die Ursachen der jeweiligen Fehler ermitteln. Nur so kann die journalistische Qualität verbessert werden. Nur so kann man sichern, dass man dem Auftrag unabhängiger Berichterstattung gerecht wird.

Kann es sein, dass es ein Kommunikationsproblem zwischen den etablierten Medien und ihren Nutzern gibt?

Heiko Hilker: Wenn man einige Jahre zurücksieht, gab es fast keine Kommunikation zwischen den etablierten Medien und den Nutzerinnen und Nutzern. Heute bietet das Internet mehr Möglichkeiten als Leserbriefspalten bzw. -seiten. Hier wurden und werden die Kommentare auch redaktionell "betreut", gekürzt, in eine Reihenfolge gebracht. Viele Schreiberinnen und Schreiber kamen gar nicht zum Zuge.

Eine den neuen Medien entsprechende redaktionelle Betreuung fehlt zumeist. Diese Betreuung müsste insbesondere durch Reaktion, durch Kommunikation gekennzeichnet sein. Dies würde qualifiziertes Personal erfordern bzw. die Bereitschaft der etablierten Journalistinnen und Journalisten, direkt mit ihren Rezipienten zu kommunizieren. Diese Bereitschaft fehlt einigen. Sie müssten ja, da ihre Zeit knapp ist, andere Dinge dafür sein lassen.

Aber Berufsbilder verändern sich nun einmal mit der Zeit. Dies heißt für Journalistinnen und Journalisten: Wer über Medien auf die öffentliche Meinung Einfluss nimmt, muss sich auch dem öffentlichen Diskurs stellen. Er muss unter Umständen seine Daten, Fakten sowie Sichtweisen und Werte offenlegen, die ihn zu einer Schlussfolgerung kommen lassen. Dies ist für viele Journalistinnen und Journalisten neu, dies ist für sie ungewohnt, das war bisher nicht nötig.

Was meinen Sie, wie wird diese Entwicklung, also zwischen den großen Medien und den Rezipienten, weitergehen?

Heiko Hilker: Ihre Frage zielt ja darauf ab, ob die Medien journalistisch auf die Ansprüche der Rezipienten eingehen und auf die neuen technischen Möglichkeiten reagieren müssen. Auch wenn ich es mir wünsche: Sie müssen es nicht. Die öffentlich-rechtlichen Sender sind über den neuen Rundfunkbeitrag auf Jahrzehnte abgesichert. Man muss den Rundfunkbeitrag zahlen, auch wenn man die Angebote von ARD, ZDF und Deutschlandradio nicht nutzt. Die Gerichte sagen, dass man auch "indirekt" davon profitiert, dass es diese Angebote gibt, da sie der Demokratie dienen.

Die kommerziellen Medienunternehmen, die Zeitungsverlage und Rundfunkanbieter, schaffen sich neben den journalistischen Angeboten immer weitere wirtschaftliche Standbeine. Sie machen sich "journalismusunabhängiger". So setzt der Axel-Springer-Verlag schon mehr als 50 Prozent im Internet um. Der Trend geht zum Publizismus. Nachrichten werden so aufbereitet und veröffentlicht, dass die Plattform Aufmerksamkeit, also Zugriffe, generiert.

Ich glaube, dass die Zahl der journalistischen Nischenanbieter weiter zunehmen wird. Deren Themen werden dann ab und zu durch die etablierten Medien aufgegriffen. So erreichen diese Themen dann große gesellschaftliche Relevanz.

Die letzten Jahre haben immer wieder einmal gezeigt, dass die Meinung eines großen Teils der Bevölkerung sich auch entgegen der Berichterstattung vieler Medien nicht ändert - wenn die Erfahrungen und Sichtweisen anders sind.

Beim Blick in die Zukunft bleibt heute zumeist unberücksichtigt, dass private Unternehmen mittlerweile auch Standards definieren, die Auswirkungen auf die Meinungs- und Willensbildung haben können. So bestimmen die Algorithmen von Suchmaschinen, sozialen Netzwerken und medialen Plattformen sowie die bisher gesammelten Daten das, was man leicht findet bzw. zuerst angeboten bekommt. Veränderungen dieser Algorithmen, die auf unternehmerischer Entscheidung beruhen, können Folgen für die Meinungs- und Willensbildung haben.