"Der Islam wird gar nicht mehr als Religion angesehen"

Kommunikationswissenschaftler Kai Hafez über das Medienbild von arabischer Welt und Islam, über Pegida und islamistische Bilderstürmer

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Die Berichterstattung über die arabische Welt und den Islam braucht Normalisierung durch Differenzierung, fordert Professor Kai Hafez, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Erfurt. Heute veröffentlichte die Bertelsmann-Stiftung eine von ihm erstellte Studie zur Wahrnehmung des Islam in Deutschland (Islamfeindlichkeit ist salonfähig geworden).

Sie beschäftigen sich seit Jahrzehnten systematisch mit Medien und Auslandsberichterstattung. Wenn Sie diese Zeit Revue passieren lassen: Was sind die wichtigsten Merkmale bei der Berichterstattung über Länder mit einer muslimischen Mehrheitskultur, über deutsche Muslime und den Islam?

Kai Hafez: Da müssen wir bereits unterscheiden: Nicht jeder Beitrag über ein Land, in dem der Islam zur Mehrheitskultur gehört, enthält auch die Islamkomponente. Aus vielen Studien wissen wir aber, dass die Berichterstattung über den politischen Islam seit 1979 kontinuierlich zunimmt, also seit der islamischen Revolution im Iran.

Darüber hinaus sehen wir in der deutschen Berichterstattung eine ganz klar eingeschränkte Nachrichtengeografie. Viele Länder in Nordafrika oder auf der arabischen Halbinsel tauchen überhaupt nicht in der Berichterstattung auf oder haben es zumindest sehr schwer. Ägypten und Israel waren hingegen lange Zeit sehr präsent. Ignoriert werden hingegen Länder wie Marokko oder Algerien. Die typische deutsche Nachrichtengeografie konzentriert sich also auf Ägypten plus Heiliges Land und Umgebung, andere Länder spielen praktisch kaum eine Rolle; Indonesien, das bevölkerungsreichste islamische Land, ist kaum präsent, Afghanistan und Pakistan nur, solange dort relevante Gewaltkonflikte existieren. Das ist übrigens ganz anders in Medien von Ländern, die eine koloniale Tradition in der Region haben, also vor allem in Frankreich und Großbritannien.

Zweitens müssen wir eine ganz ausgeprägte Themenagenda feststellen. Die Berichterstattung ist generell sehr konfliktorientiert. Das heißt, berichtet wird nur, wenn es politische oder sogar gewaltförmige Konflikte gibt. Auch das ist in anderen Regionen anders, wenn wir uns beispielsweise Asien oder Lateinamerika ansehen. Das Brasilienbild in den deutschen Medien ist viel differenzierter. Da wird ganz anders berichtet.

Hier findet also eine Verschiebung von Realität statt. Ich kann das am Beispiel dieses YouTube-Videos verdeutlichen, das vor ein paar Jahren für Aufregung sorgte. Ich hielt mich zu diesem Zeitpunkt in Ägypten auf und erhielt besorgte Anrufe aus Deutschland, ob es dort nicht gefährlich ist. Tatsächlich spielte das in Ägypten überhaupt keine Rolle. Es gab vielleicht ein paar hundert Demonstranten irgendwo im Stadtzentrum. Aber im Gegensatz zum in Deutschland vermittelten Bild hat das überhaupt niemanden interessiert.

Die Fernwahrnehmung dieser Gesellschaften entspricht also oft nicht der Realität. Natürlich gibt es einige Kriegsländer, wie in letzter Zeit den Irak, Libyen oder Syrien. Aber generell gilt, dass die Binnenansicht der Gesellschaften wesentlich heterogener und die Lebenswelten der islamischen Welt friedfertiger sind, als die Medien glauben machen. Deshalb waren auch viele Menschen in Deutschland sehr überrascht über den Arabischen Frühling.

Islamophobie ist wesentlich ein medial vermitteltes Bild

Lässt sich einschätzen, wie dieses eher gewalttätige Bild von den dortigen Gesellschaften die Sicht auf den Islam in Deutschland beeinflusst?

Kai Hafez: Leider ist es bei Studien über Medienwirkungen immer etwas kompliziert, eindeutige Schlüsse zu ziehen. Aber es ist hochgradig wahrscheinlich, dass dieses konfliktbelastete Medienbild auch eine negative Wirkung auf das Publikum entfaltet. Das legt der Vergleich des negativen Islambildes mit der verbreiteten Islamfeindlichkeit der öffentlichen Meinung nahe. Zwar spielen da auch andere Institutionen wie Bildungseinrichtungen, Schule usw. eine Rolle, aber statistisch gesehen ist es so, dass ein Großteil der Menschen keinen Kontakt zu muslimisch geprägten Lebenswelten hat, also weder in anderen Ländern noch hier in Deutschland.

Wir sprechen also bei der Islamophobie im Wesentlichen über ein medial vermitteltes Bild. Während je nach Medium und Zeitpunkt 50-80 Prozent des Medienbildes des Islams und muslimische Länder negativ gefärbt ist, hegen gleichzeitig 50 bis 60 Prozent der Bevölkerung ein negatives Bild vom Islam. Das negative Medienbild korreliert also recht deutlich mit der Islamophobie.

Der Grund dafür ist ganz klar, dass die Berichterstattung auf gewalttätige Ausdrucksformen fokussiert, also auf politischen Extremismus, Frauenunterdrückung usw., obwohl sie in der islamischen Welt eine Marginalie darstellen.

Wenn wir uns Deutschland ansehen, liegt die Zahl der politischen Extremisten in diesem Bereich, also derer, die vom Verfassungsschutz so eingestuft werden, bei unter einem Prozent. Selbst wenn die manchmal öffentlichkeitswirksam auftreten, handelt es sich in der Realität doch um ein extremistisches Randphänomen. Selbst in der arabischen Welt, wo derzeit Phänomene wie "IS" eine bedeutsame Rolle spielen, ist dies nur möglich, weil ganze politische Systeme wie Irak oder Syrien kollabieren - übrigens auch dank westlicher Einwirkung.

Was denken Sie vor diesem Hintergrund, wenn auf Pegida-Demonstrationen einerseits die "Lügenpresse" gegeißelt wird, aber andererseits genau diese medial aufbereitete Panikmache vor einer angeblichen Islamisierung thematisch bestimmend ist?

Kai Hafez: In der Kommunikationswissenschaft unterscheiden wir zwischen Agenda-Setting und Framing. Auch wenn über den Islam in einem negativen Themenkorsett berichtet wird, können journalistische Beiträge in sich Differenzierungen aufweisen, wie bei einem Vexierbild. Auf der Seite der Agenda sehen wir also ein eindeutiges Feindbild. Wenn wir die Diskurse aber näher betrachten, finden sich auch viele progressive Argumente in den Medien. Und auf diese letzteren beziehen sich vermutlich viele der Pegida-Demonstranten mit ihrer Kritik an den Medien.

Das Problem ließ sich vor ein paar Jahren gut am Beispiel von Thilo Sarrazin verfolgen. Der Mann kam mit seinen plumpen Thesen wirklich in alle Medien. "Die Zeit" etwa räumte ihm zwei ganze Seiten für ein Interview ein. Das Phänomen Sarrazin entstand also mithilfe der Medien, die seine Ideen auf die Agenda setzten und sie bekannt machten. Andererseits war ein großer Teil der deutschen Journalisten ihm gegenüber wirklich kritisch eingestellt, und das spiegelte sich dann auch teilweise in den Artikeln wieder.

Wir haben also auf der einen Seite eine Medienökonomie, die ganz klar den Sensationalismus in Sachen "Islam" fördert, und Journalisten müssen einfach alle Themen bearbeiten, von denen die Redaktion meint, dass sie gerade wichtig sind. Aber in den Artikeln finden sich dann auch kritische Einschätzungen, die sich zum Teil gegen Vorurteilsstrukturen wenden.

Mit Blick auf Pegida ist also beides von Belang: Die negative Medienagenda des Islam hat ein Phänomen mitgeschaffen, dass Journalisten jetzt durch den kritischen Umgang mit Pegida wieder einzudämmen versuchen. Ein wenig wie bei beim Zauberlehrling von Goethe, der seine eigenen Kreaturen nicht mehr beherrscht. Es ist also nicht unplausibel, dass bei Pegida diese zwei konträren Sichtweisen auf die Islamberichterstattung eine Rolle spielen.

Für Journalisten heißt das, dass es mehr Mut zu positiven Themensetzungen braucht. Und ich erlebe tatsächlich ein großes Unbehagen bei vielen Journalisten mit ihrer täglichen Arbeit. Journalisten rufen mich teilweise an und erkundigen sich, was ich ihnen aus medienwissenschaftlicher Sicht im Umgang mit dem Islam raten würde. Dabei wird oft deutlich, dass die gegenwärtige Pressekrise noch einmal Wasser auf die Mühlen des Sensationalismus gießt.

Wenn wir einen Perspektivwechsel vornehmen: Woher kommt die extreme Sensibilität islamistischer Fundamentalisten gegenüber bestimmten medialen Darstellungen? Ich denke jetzt nicht erst an die Mohammad-Karrikaturen oder die mutmaßlichen Täter bei dem Überfall auf das Magazin Charlie Hebdo - auch die Fatwa von Ajatollah Chomeini gegen Salman Rushdie im Jahr 1989 wirkte im Kontext eines modernen Rationalismus sehr befremdlich....

Kai Hafez: Ich nehme an, das hat mehr mit der üblichen terroristischen Psychologie zu tun. Diese Extremisten sind tendenziell paranoid und im Terrorismus ist es strukturell so, dass schon die kleinste Karikatur solche Exzesse verursachen kann. Natürlich besteht bei einigen Muslimen eine gewisse Sensibilität gegenüber der Darstellung von Mohammed, aber das wird auch instrumentalisiert. In der muslimischen Welt gibt es jedenfalls eine eigene Tradition von Satire, bei der auch die Heiligen nicht geschont werden.

Ich sehe da jedenfalls keine allgemeinen Kriterien, nach denen im Islam eine andere Sensibilität gegenüber medialen Darstellungen existieren würde. Die Karikaturenkrise von 2006 hat beispielsweise in Kairo selbst damals kaum jemanden interessiert, während man aus den hiesigen Medien den Eindruck gewinnen konnte, nicht nur Kairo, sondern die ganze Welt ist im Aufruhr wegen der Mohammed-Karikaturen.

Auch im Christentum mussten sich schließlich einige erst daran gewöhnen, dass die Medien Religion satirisch behandeln. Ich erinnere nur an den Umgang mit dem Musical Jesus Christ Superstar, das zunächst in einigen Ländern verboten war bzw. nicht aufgeführt wurde. Von solchen Erscheinungen ist es aber noch eine weiter Schritt hin zu Exzessen, wie wir sie wieder in Paris bei dem Überfall auf die Redaktion von Charlie Hebdo erleben mussten, wobei der genaue Hintergrund ja bisher nicht vollständig geklärt ist. Die Vorgänge kulturell zu deuten, führt uns nicht weiter. Da handelt es sich um kleinste Gruppen, die ihr eigenes Süppchen kochen. Für solche Leute sind die Anlässe vollkommen beliebig, um ihren Kulturkrieg zu führen.

Der politische Islam ist ein Phänomen der Moderne

Aktuell scheint die Strategie von Samuel Huntington aufzugehen, dass sich Europa also von seinen Nachbarn Russland und den muslimisch geprägten Nachbarn kulturell, politisch, wirtschaftlich immer weiter isoliert. Was können Journalisten und Medien besser machen, um eine solche Dynamik zu durchbrechen?

Kai Hafez: Was Huntington damals prophezeit hat, dass sich Europa irgendwann in einem Krieg mit seinen Nachbarn befinden wird, das ist ja nicht unausweichlich. Natürlich stehen wir aktuell vor gravierenden Problemen. Natürlich ist es alles andere als gesund, wenn die Hälfte der Bevölkerung, wie unsere Studie zeigte, ohne nähere Analyse pauschal annimmt, dass der Islam nicht zu Deutschland passe. Und sie reden da ausdrücklich nicht nur über Islamisten. Da zeigt sich ein pauschales Negativbild von 1,5 Milliarden Menschen weltweit und einer über 1500 Jahre alten Kultur.

Wir müssen anfangen, uns stärker mit der Normalität und auch den positiven Aspekten des muslimischen Alltagslebens zu beschäftigen. Und dabei geht es nicht nur um religiöse Aspekte, sondern um die ganze Vielfalt von Lebensrealität. Ich denke, der richtige Weg wäre, wenn wir eine Normalisierung durch Differenzierung erreichten.

Die hochgradige Politisierung des Islambildes in den Medien tut nicht gut. Es gibt eben nicht nur den politischen Islam. Vor den 1970er Jahren spielte er überhaupt keine Rolle. Er ist erst durch das politische Erwachen in dieser Zeit, durch die islamische Revolution entstanden, er ist also ein Phänomen der Moderne.

Ein großer Teil der aktuellen Probleme lässt sich darauf zurückführen, dass der Islam in Deutschland gar nicht mehr als Religion betrachtet, sondern auf das Politische reduziert wird. Das führt natürlich zwangsläufig zu Konflikten. Obwohl ein Großteil der Deutschen religiös sehr tolerant ist: 80 Prozent der Bevölkerung sagen, dass sie religiöse Vielfalt wollen. Aber der Islam, und das hat sehr stark mit der medialen Darstellung zu tun, wird vordergründig gar nicht mehr als Religion angesehen. Durch diese starke Verengung auf das Politische entsteht quasi ein politisches Missverständnis.

Man sollte gesellschaftliche Probleme auch nicht unter den Teppich kehren, aber wir brauchen im Umgang eine Diversifizierung, die auch die kulturellen Seiten und die Lebenswelten widerspiegelt. Wir sehen das bei einem Blick ins Feuilleton. Das Judentum und der Islam spielen dort keine Rolle. Über ihre jeweilige Substanz erfahren wir wenig, und das ist tatsächlich ein Aspekt, bei dem die beiden Religionen vor ähnlichen Problemen stehen, darauf haben die Zentralräte der Jüdischen und der Muslimischen Gemeinde schon vor zehn Jahren und jüngst erneut hingewiesen. Auch die Jüdische Gemeinde sieht sich mit dem Problem konfrontiert, dass sie oft nur im Kontext des Nahostkonflikts oder des Holocaust wahrgenommen wird.

Und was raten Sie Muslimen in Deutschland? Was wäre aus Sicht der Medien- und Kommunikationswissenschaften eine sinnvolle Reaktion auf diese Polarisierung und Ausgrenzungserfahrung?

Kai Hafez: Mein Eindruck ist, dass der Zentralrat der Muslime in seinem öffentlichen Auftreten schon viel besser geworden ist. Allerdings repräsentiert die organisierte muslimische Gemeinde nur einen geringen Prozentsatz der muslimischen Bevölkerung. Der Großteil ist gar nicht organisiert, so dass eine Artikulation schon deshalb schwierig ist. Hinzukommt, dass der Islam keine zentralen Institutionen kennt, wie die römisch-katholische Kirche oder auch die großen evangelischen Kirchen. Es gibt für die muslimische Gemeinde also kein religiöses Hochamt in diesem Sinn.

Die Kernfrage lautet also, wie schaffen wir es, in einen Dialog mit unorganisierten Muslimen zu treten. Da stehen die Schulen, die Medien und auch die Universitäten als potentielle Gesprächspartner in der Verantwortung. Gerade in diesem Bereich lässt sich aber auch beobachten, dass die Situation schon besser geworden ist, und zwar ausgerechnet nach dem 11. September 2001. Das war meines Erachtens der Anfang dafür, dass die deutsche Gesellschaft stärker ins Gespräch mit Muslimen kam. Plötzlich tauchten sie auch in Talkshows auf.

Auf der anderen Seite gibt es unter den Muslimen, die diese Vermittlungsaufgaben übernehmen, noch häufig durchaus berechtigte Klagen darüber, dass sie nur eingeladen werden, um zu den immergleichen negativen Themen Stellung zu nehmen. Sie haben also das Gefühl, dass sie sich rechtfertigen müssen für Probleme, mit denen sie gar nichts zu tun haben. Sie sind für den Islamismus ungefähr genauso verantwortlich wie irgendein Katholik für die Aktivitäten der IRA in Nordirland.

Das ist der wesentlichste Grund dafür, dass die bisherigen Ansätze des medialen Dialogs weitgehend misslungen sind. Der Dialog vollzieht sich im Rahmen hegemonialer Themensetzungen und asymmetrischer Strukturen in den deutschen Mediensystemen, von denen sich die Mehrheit der Muslime hat einschüchtern lassen. Grundsätzlich ist es wichtig, und da stehen auch die Medien in einer besonderen Verantwortung, die Kontaktfrequenz zwischen den Menschen, Religionen und Kulturen zu erhöhen und sich um einen offenen Dialog zu bemühen.