ILO: Schlechte globale Arbeitsmarktaussichten, steigende Einkommensunterschiede

Fabrik in Shenzen. Bild: Steve Jurvetson/CC BY 2.0

Das Risiko sozialer Unzufriedenheiten wächst weltweit, so der Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation

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Gestern war es der Oxfam-Bericht, der die weltweiten, krassen Unterschiede zwischen Arm und Reich auf die Bildschirme brachte: Die reichsten 1% werden bald mehr besitzen als der Rest der Weltbevölkerung, fasste BBC den Inhalt zusammen und erinnert damit an die Occupy-Bewegung. Auf den Plakaten der Demonstranten in Paris, Grosny oder in Dresden stehen gegenwärtig andere Slogans. Heute rückt der nächste panoramische Globalüberblick weitere Ungleichheiten ins Blickfeld: der aktuelle Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zur weltweiten Beschäftigungslage.

Wie in den vorangegangenen Jahren findet sich daran wenig Optimistisches, dagegen vieles, was mit der Aussicht auf wachsende "soziale Unzufriedenheit" und dem gesteigerten Risiko für "sozialen Unruhen" verbunden wird. Die weltweite Beschäftigungslage wird sich in den nächsten fünf Jahren weiter verschlechtern, so die grundsätzliche Vorhersage des Berichts: "World Employment and Social Outlook - Trends 2015" (Langfassung und Kurzfassung).

Weltweit zählt ILO im Jahr 2014 201 Millionen Arbeitslose, 31 Millionen mehr als vor der globalen Wirtschaftskrise, deren Beginn man auf das Jahr 2008 datiert. Erwartet wird, dass die weltweite Arbeitslosigkeit in diesem Jahr um 3 Millionen zunimmt und in den nächsten vier Jahren um 8 Millionen. Seit Anfang der Krise seien 61 Millionen Arbeitsplätze verschwunden. Angesichts der Neueinsteiger auf dem Arbeitsmarkt müssten global 280 Millionen zusätzliche Jobs geschaffen werden, um sie aufzunehmen und um bis 2019 die globale Beschäftigungskluft zu schließen. Soweit die Zahlen mit beschränkter Aussagekraft.

Höhere Jugendarbeitslosigkeit in allen Regionen

Interessanter wird es, wenn der Bericht spezifischere Probleme akzentuiert. Etwa die Jugendarbeitslosigkeit. Hierzu gibt es bemerkenswerte Aussagen, selbst auf der pauschalen Ebene. So zum Beispiel, wenn festgestellt wird, dass das Phänomen der höheren Jugendarbeitslosigkeit allen Regionen gemeinsam ist. Trotz einer allgemeinen Tendenz zu besserer Ausbildung. Der Frust heize soziale Unzufriedenheit an, warnt die ILO. Die Arbeitslosenquote für die Altersgruppe zwischen 15 und 24 liege um ein Dreifaches höher als bei den Älteren. Besonders betroffen seien Frauen.

Zwar gebe es deutliche Unterschiede in den Arbeitsmarktaussichten der Länder, so zeige sich zum Beispiel die USA und Japan und "einigen europäischen Ländern" ein Erholungstrend seit der Krise, aber als sonderlich beruhigend bewertet das der Bericht nicht. In südeuropäischen Ländern beobachte man nämlich nur einen langsamen Rückgang, von außerordentlich hohen Raten - insbesondere bei der Jugendarbeitslosigkeit wäre hinzuzufügen.

Zu diesen Entwicklungen kommt eine Einbruch in den Arbeitsmärkten der Wirtschaften, denen man im Englischen das Wort "emerging oder developing" hinzufügt, Länder wie China, Russland oder lateinamerikanische, die man vor einigen Jahren noch auf Optimismus verströmende Titelblätter von Wirtschaftsmagazinen sah. Die sich vor der Krise abzeichnenden Verbesserungen bei den prekären Beschäftigungsformen sind in den "Schwellenländern" zum Erliegen gekommen, konstatiert der Bericht. Seine Vorhersage: Die prekären Beschäftigungsverhältnisse werden in den nächsten Jahren hoch bleiben.

Seit 2012 habe die Zahl der solcherart Beschäftigten weltweit um 27 Millionen zugenommen. Gegenwärtiger Stand: 1,4 Milliarden. Die Hälfte davon stellt das subsaharische Afrika und Südasien: 3 von 4 Arbeitern sind dort prekär beschäftigt.

Niedriglohnsektor wird ausgebaut

Der Niedriglohnsektor wird weltweit ausgebaut - so das Bild, das sich aus den verschiedenen Aussagen des Berichts zusammensetzt. So heißt es, dass in einigen fortschrittlichen oder weiterentwickelten Wirtschaften die Ungleichheiten infolge der Krise "beinahe das Niveau von weniger weit entwickelten Wirtschaften erreicht" habe. Diese Entwicklungen wird in Zusammenhang gebracht mit dem Verschwinden der Arbeitsplätze, die "medium skilled routine jobs" genannt werden.

Zwar könne man eine steigende Nachfrage bei den Jobs am unteren und am oberen Ende der verlangten Qualifikationen , der skills ladder beobachten, die durchschnittlich ausgebildeten Arbeiter sähen sich nun aber einer Situation ausgesetzt, wo sie um Arbeitsplätze konkurrieren müssen, die eine weniger gute Ausbildung erfordern. So würden sich "neue Beschäftigungsmuster" bilden, die nun seit nurmehr zwei Jahrzehnten zu einer wachsenden Ungleichheit der Einkommen beitragen.

In ILO-Zahlen liest sich das so: Die reichsten 10 Prozent verdienen 30 bis 40 Prozent des Gesamteinmommens. Die ärmsten 10 Prozent verdienen 2 Prozent des Gesamteinkommens.

In der wachsenden Ungleichheit sehen die Verfasser auch einen der Gründe für den Vertrauensverlust gegenüber Regierungen. Besonders im Blick haben die ILO-Berichtschreiber den Nahen Osten und Nordafrika und Länder in Ostasien und Lateinamerika. Allerdings dürfte diese sehr pauschal gefasste Aussage auch auf europäische Länder zutreffen. Rezepte zur wirtschaftlichen Gegensteuerung, welche die Internationalen Arbeitsorganisation vorschlägt, stehen nicht gerade in hohem Kurs: Nachfragestärkung, mehr Kredite für die Realwirtschaft, bessere Löhne...