China mischt den "Hinterhof" der USA auf

Wie Russland ist China längst verstärkt in Lateinamerika aktiv und will nun sogar 250 Milliarden US-Dollar in die Region pumpen, was den USA missfällt

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Nicht nur der Brics-Staat Russland treibt im Zuge der Sanktionspolitik der USA und Europas verstärkt Projekte in Lateinamerika voran (Russland baut Interessen im "Hinterhof" der USA aus). Den großen Wurf will nun das große Brics-Land China in der Region machen, die in den USA so gerne als "Hinterhof" bezeichnet wird. In Washington ist man nicht sehr erfreut darüber, dass allein China im kommenden Jahrzehnt rund 250 Milliarden US-Dollar in Mittel- und Südamerika und der Karibik investieren will, womit sich das Handelsvolumen auf eine halbe Billion verdoppeln soll. Wichtigster Handelspartner Brasiliens (ebenfalls ein Brics-Staat) ist schon jetzt nicht mehr die USA, sondern China. Und das gilt auch schon für Chile und Peru. Über diese Entwicklung ist das Imperium im Norden besorgt. Das Tauwetter zwischen den USA und Kuba muss in diesem Zusammenhang gesehen werden.

China ist längst auf dem Vormarsch in Lateinamerika. Aber das Tempo soll nun noch deutlich verschärft werden. Während in Europa hektisch auf die Anschläge in Paris reagiert wurde, blieb ein vermutlich historisches Treffen in Peking ziemlich unbeachtet. "Neue Plattform, neuer Ausgangspunkt und neue Chance - Gemeinsam für umfassende kooperative Partnerschaft zwischen China, Lateinamerika und der Karibik", lautete das Motto. Und es handelte sich um nicht mehr und nicht weniger als um einen Gipfel in Peking zwischen dem Reich der Mitte und den Celac-Staaten. Das ist eine aus 33 Ländern bestehende Gemeinschaft aus Staaten in Süd- und Mittelamerika sowie in der Karibik, die alle souveränen Staaten Amerikas mit Ausnahme von Kanada und den USA umfasst.

Allein die Tatsache, dass das Treffen erstmals in der chinesischen Hauptstadt stattfand, ließ aufhorchen. Doch auf dem Gipfel wurden die Weichen für eine umfassende Zusammenarbeit in der Zukunft gestellt. Chinas Staatspräsident Xi Jinping hat einen ambitionierten 10-Jahresplan mit Investitionen und Maßnahmen Strukturförderung in der Region angekündigt, der es in sich hat. Chinas Investitionen in der Region sollen sich in den kommenden zehn Jahren auf 250 Milliarden Dollar belaufen, womit sich das gegenseitige Handelsvolumen auf fast 500 Milliarden US-Dollar verdoppeln soll.

Ende der Hegemonie der USA in Lateinamerika

Damit wird der Turbo zu einem Programm hinzugeschaltet, mit dem China schon in den vergangenen 15 Jahren sein Handelsvolumen mit der Region enorm gesteigert hat. Seit Beginn dieses Jahrtausends hat es sich schon verzwanzigfacht. Der Anstieg ist vor allem in den letzten Jahren besonders stark. Zwischen 2006 und 2011 hat es sich von 71,3 Milliarden auf 233,7 Milliarden Dollar mehr als verdreifacht. Und das hat dazu geführt, dass in Brasilien, Chile und Peru schon jetzt die USA als wichtigster Handelspartner verdrängt wurde. In Argentinien, Venezuela und direkt an der US-Grenze in Mexiko ist China schon auf den zweiten Rang vorgestoßen und droht die USA ebenfalls bald von der Spitzenposition zu verdrängen. China ist für Chile längst wichtigstes Abnehmerland seiner Produkte geworden, etwa 25% seiner Exporte gehen ins Reich der Mitte. In den Fällen Brasiliens und Uruguay sind es schon 15% und Kolumbien und Argentinien führen gut 8% ihrer gesamten Exporte nach China aus.

Und die Hegemonie der USA in Lateinamerika zu beenden, ist zweifellos ein Ziel der Investitionsoffensive. Bisher hatte China in den zurückliegenden 15 Jahren im Durchschnitt etwa 10 Milliarden Dollar in den Celac-Staaten investiert. Nun soll sich diese Summe in den nächsten 10 Jahren auf etwa 25 Milliarden pro Jahr mehr als verdoppeln. Dabei war das Volumen schon bisher beachtlich. Allein zwischen 2005 und 2013 sollen knapp 100 Milliarden Dollar geflossen sein. In der gleichen Zeit haben die Weltbank (WB) und die Interamerikanische Entwicklungsbank (IDB) zusammen dort etwa 163 Milliarden vergeben. Und werden die chinesischen Investitionen in der Region wie geplant umgesetzt, wird China allein mehr Kredite vergeben als WB und IDB gemeinsam.

Der Kapitalstrom aus China in die Region werde einen bedeutsamen Beitrag für den die Kooperation zwischen Ländern im Süden und für den globalen Wohlstand leisten, meinte der chinesische Staatspräsident, womit er die strategischen Interessen seines Landes zu verschleiern sucht. Denn sollte das Handelsvolumen wie erwartet ansteigen, wäre China vermutlich in einem Jahrzehnt unangefochtener Spitzenreiter in der Region. Denn es ist derzeit kaum zu erwarten, dass das Handelsvolumen der USA in der Region wegen der vielfältigen Konflikte und Widersprüchen mit Venezuela, Argentinien, Ecuador oder Bolivien entsprechend steigt. Noch liegen die USA mit ihren Handelsvolumen knapp vor China.

Ausgearbeitet wird derweil zwischen dem Reich der Mitte und den Celac-Staaten ein Kooperationsplan. Und hier deutet sich klar an, dass der Schwenk weg von Projekten zur Sättigung des chinesischen Rohstoffhungers verstärkt wird. Allein zwischen 2015 und 2019 sollen 35 Milliarden Dollar aus verschiedenen chinesischen Töpfen an Krediten für Infrastrukturprojekte fließen. Zhu Qingqiao, Abteilungsleiter für Lateinamerika und die Karibik im chinesischen Außenministerium, warb bei den Celac-Staaten dafür, dass sie dieses Geld "aktiv" nutzen sollten, das China auf den Tisch legt, um "gleichwertige Beziehungen" zu schaffen, die "gegenseitigen Nutzen" bringen.

Bisher waren die Beziehungen zu den Celac-Staaten vor allem von Rohstoffinteressen des Giganten bestimmt. Sie ähnelten damit denen des Westens. Öl, Gas, Kupfer, Lithium, Fleisch, Soja und andere Waren wurden nach China geliefert, das im Gegenzug Fertigwaren und Technologie lieferte. Nach Angaben verschiedener Untersuchungen entfielen bisher rund 90% chinesischer Investitionen in Lateinamerika auf die Sicherung von Rohstoffen.

Und es ist es auch kein Wunder, dass sich ein enormer Teil des Engagements bisher in Venezuela entwickelt hat. Das ölreiche Land, das zudem mit den USA im Dauerclinch liegt, war bisher der mit "Abstand größte Empfänger chinesischer Kredite und erhielt in den Jahren 2005-2013 über USD 50 Milliarden", ist bei der Deutsche Bank Research zu lesen. Das sind mehr als die Hälfte der gesamten Kredite, die China in der Zeit in Lateinamerika vergeben hat. Mehr als 300 Abkommen wurden zwischen beiden Ländern schon geschlossen.

Im Streit zwischen Argentinien und den Hedgefonds, mit der das Land in eine "technische Staatspleite" getrieben wurde, ist China Argentinien nicht nur politisch, sondern auch mit Krediten beigesprungen. Damit wurde das Erpressungspotential der "Geierfonds" ausgehebelt und verhindert, dass sich die Krise zu einer wirklichen Pleite ausweitet. China hat das auch genutzt, um seinen Einfluss in dem südamerikanischen Land auszubauen. Und es werden, so streicht auch Magdalena Forster von Deutsche Bank Research heraus, Kredite sogar oft mit vergleichsweise günstige Zinsen vergeben. China hat die schwierige Lage von Argentinien nicht für "Risikoaufschläge" genutzt, als das Land sich kein Geld an den internationalen Kapitalmärkten besorgen konnte.

Allerdings verbinde China die Kredite oft mit Auflagen, wonach "chinesische Dienstleistungen oder Ausrüstung für die Projekte verwendet werden" müssten. Dadurch verringere sich das Risiko chinesischer Gläubiger, meint Forster. Die Darlehen würden oft auch durch die Lieferung von Rohstoffen abgesichert. Einige Kredite an Venezuela und Ecuador beinhalten die Verpflichtung, Öl nach China zu exportieren, wovon ein Teil für die Rückzahlung von Zinsen und Amortisationen der Kredite verrechnet werde, womit sich China eine dauerhafte Versorgung mit Rohstoffen sichert.

Der "Große Kanal"

Schon in den letzten Jahren wurde aber der Schwenk weg von der Rohstoffversorgung deutlicher. Argentinien wurde nicht nur kurzfristig Geld zur Verfügung gestellt, um notwendigste Importe bezahlen zu können. Beim Besuch von Xi Jinping im vergangenen Sommer wurden dem Land auch zwei neue Darlehen im Umfang von 4,7 Milliarden Dollar zum Bau von zwei Staudämmen und 2,1 Milliarden Dollar für ein Eisenbahn-Projekt gewährt. Auch damit zeichnete sich die strategische Neuorientierung schon deutlicher ab. Schon zuvor waren dem Land insgesamt Kredite in Höhe von 14 Milliarden gewährt worden, die vor allem in den Schienenverkehr geflossen sind.

Der Anteil von chinesischen Krediten für Infrastrukturmaßnahmen soll nun deutlich steigen. Rechnet man die 35 Milliarden zwischen 2015 und 2019 auf den ambitionierten 10-Jahresplan um, dann könnten fast 100 der geplanten 250 Milliarden in solche Projekte fließen, was eine deutliche Verschiebung weg von der Rohstoffversorgung wäre. Auffällig war, dass der staatliche chinesische Nahrungsmittelkonzern COFCO zum Beispiel gerade Nidera und Noble übernommen hat, das sind zwei der weltweit führenden Getreidehändler, die in Lateinamerika den Ton angeben.

Neben der Finanzierung des Eisenbahnbaus in Argentinien, finanziert China auch den Bau eines neuen Hafens in Kuba. Verhandelt wird auch über den Bau einer Bahnverbindung über die Anden zwischen Brasilien und Peru. Und nicht zuletzt ist da das Mega-Projekt Nicaragua-Kanal, das als Konkurrenzprojekt zum Panama-Kanal gestartet wurde, der gerade vergrößert wird. Die ersten Arbeiten zur Vorbereitung am Nicaragua-Kanal haben offiziell am 22. Dezember des vergangenen Jahres begonnen.

Der "Große Kanal" soll fast 300 Kilometer lang werden, zwischen 230 und 520 Meter breit und rund 30 Meter tief sein. Die Investitionen belaufen sich nach verschiedenen Schätzungen auf 40 bis 50 Milliarden Dollar. Das Geld will der chinesische Mobilfunk-Milliardär Wang Jing aufbringen. Er ist der Präsident des chinesischen Konsortiums "Hong Kong Nicaragua Canal Development Investment Co." (HKND). Es soll vorerst über 50 Jahre die Rechte für den Bau und den Betrieb des Kanals erhalten, aber mit der Option, die Konzession um weitere 50 Jahre zu verlängern.

Das Projekt ist im Land extrem umstritten, auch wenn die Regierung bis zu 200.000 Arbeitsplätze und eine Steigerung des Wohlstands in dem sehr armen Land verspricht. Trotz allem kam zum Baubeginn zu heftigen Protesten und Auseinandersetzungen mit der Polizei. Eine zentrale Sorge ist, dass die Trasse über mehr als 10 Kilometer durch den Nicaraguasee führt. Es handelt sich um das größte Süßwasserreservoir in ganz Zentralamerika. Der See ist gut fünfzehn Mal so groß wie der Bodensee, aber nur flach, weshalb die Fahrrinne ausgebaggert werden muss. Befürchtet wird, dass heikle Ökosystem könnte kippen, warnen Umweltschützer vor unverantwortbaren Schäden an der Umwelt.

Diese Kritik und diese Sorgen greifen nun auch die USA auf, wo man sich sonst um die Umweltgefahren von Projekten insgesamt eher weniger Sorgen macht. So hat sich die US-Botschaft in Nicaragua "besorgt" über "fehlende Information und Transparenz" gezeigt. Gefordert wird, dass alle Etappen des Kanalbau-Projekts in offener und transparenter Weise vonstattengehen sollen. Die Forderungen richten sich auch auf die Finanzierung, zudem müssten die Entschädigungen bei Enteignungen offengelegt werden. Sonst sieht man in den USA über solche Vorgänge gerne hinweg.

Die Besorgnis hat wohl eher damit zu tun, wie sich China und chinesisches Kapital ausbreiten und die Hegemonie der USA über die Region bedrohen. So darf die Charme-Offensive und das Tauwetter mit Kuba auch als Gegenstrategie gegen russische und chinesische Pläne gesehen werden, da man in Washington einsieht, dass die Blockade diese Entwicklungen in der ganzen Region nur begünstigt haben.