Separatisten wollen vom Minsker Abkommen nichts mehr wissen

Allmählich wird es Zeit für Realpolitik

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In der Ukraine sind mehr als 5000 Menschen seit Mitte April getötet worden, so die Menschenrechtsorganisation der Vereinten Nationen OHCHR. Vermutlich sei die Zahl "beträchtlich höher". Über 10.000 Menschen wurden in der Zeit verletzt. In neun Tagen zwischen dem 13. Und dem 21. Januar 2015 wurden mindestens 262 Menschen getötet, nach der OHCHR "die tödlichtste Zeitspanne seit der Ausrufung des Waffenstillsands am 5 September".

Die Vereinten Nationen zeigen sich besorgt über das nicht umgesetzte Minsker Abkommen und über die Anwesenheit von "ausländischen Kämpfern im Osten, zu denen angeblich auch Soldaten Russlands gehören", und der "Anwesenheit von schweren und modernen Waffen in dicht bevölkerten Gebieten unter der Kontrolle von bewaffneten Gruppen". Zivilisten würden in der Falle sitzen, es fehle jeder Respekt der Menschenrechte. Das richtet sich gegen die Separatisten, kritisiert wird aber auch die Unterbindung der Reisefreiheit in und aus den von den Separatisten kontrollierten Gebieten sowie die Einstellung der "staatlichen Dienste" seit November. Seitdem werden keine Renten, sozialen Hilfen und Gehälter mehr gezahlt, was besonders alte Menschen, alleinerziehende Mütter oder behinderte Menschen treffe.

Mittlerweile scheint klar zu sein, dass die Separatisten militärisch Erfolge erzielen konnten. So scheint der seit Monaten umkämpfte, völlig zerstörte Flughafen von Donezk nun erobert worden zu sein. Nach Angaben der "Volksrepublik" Donezk hätten die ukrainischen Streitkräfte große Verluste erlitten. Im Überschwang des Erfolgs sehen die Separatisten offenbar das Minsker Abkommen als überholt an. Man will keine Kriegsgefangenen mehr machen, so Sachartschenko, was wohl heißen soll, dass man das Kriegsrecht nicht mehr beachtet und Überwältigte tötet. Der Führer der "Volksrepublik" Donezk erklärte auch das Ende des Waffenstillstands und machte die Absicht deutlich, weitere Territorien erobern zu wollen, genauer, bis an die Grenzen der Region Donezk vorstoßen zu wollen, was immer dies genau bedeuten mag. Man sei in der "Offenive". Man könne weiter sprechen, aber nur noch mit Präsident Poroschenko.

Inwiefern Moskau tatsächlich direkten Einfluss auf die Separatisten hat, die ihre Macht verteidigen, ist unklar. Die Äußerungen von Sachartschenko kamen just in dem Moment, als der russische Außenminister Lawrow zugesagt hatte, auf die Separatisten Druck auszuüben, das Minsker Abkommen umzusetzen. Setzen also die Separatisten Moskau unter Druck oder versucht Moskau, auf Zeit zu spielen und eigene Interessen zu verschleiern? Die ukrainischen Streitkräfte wollen einen russischen Konvoi in der Nähe des Flughafens zerstört haben und dokumentieren dies mit Fotos, die u.a. russische Ausweise zeigen sollen. Die Separatisten sollen ein Wärmekraftwerk ausgeschaltet haben, dass der von der Ukraine kontrollierten Region Lugansk einen Blackout beschert hat.

Die deutschen Vermittlungsversuche dürften scheitern, so lange die geschaffenen Wirklichkeiten in der Ukraine nicht einbezogen werden. Von der Krim spricht ernsthaft niemand mehr, in der Ostukraine müssten direkte Gespräche zwischen der ukrainischen Regierung und den Separatistenvertretern stattfinden. Das will Kiew aus nachvollziehbaren Gründen nicht, aber wenn die überwältigende militärische Macht fehlt, die abtrünnigen Regionen einzunehmen, sollte Realpolitik statt Nationalismus einkehren. Immerhin gibt das vor der Pleite stehende Land täglich zwischen 5 und 7 Millionen US-Dollar für den Krieg in der Ostukraine aus.