Ägyptens neue Städte in der Wüste

Vor 40 Jahren entstand die Idee, die Städte im Niltal durch den Bau neuer Städte zu entlasten, die aber bislang weitgehend Geisterstädte blieben

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die ägyptischen Städte am Nil explodieren, während riesige Teile des Landes menschenleere Wüste sind. Schon lange gab es daher Pläne, die Wüste für den Bau neuer Siedlungen zu nutzen, um die bestehenden Städte zu entlasten. Unter Präsident Sadat entstand die erste Wüstenstadt "10. Ramadan", nordöstlich von Kairo. Geplant waren weitere Städte mit eigener Industrie für 250.000 bis 500.000 Bewohnern, später sollte vor allem Kairo mit neuen Städten entlastet werden, in einer dritte Generation von Wüstenstädten sollten Zwillingsstädte für andere Städte gebaut werden.

Sonderlich erfolgreich war die Urbanisierungsstrategie nicht. 2006, 30 Jahre nach Beginn des Urbanisierungskonzepts, lebten gerade einmal 770.000 Menschen in allen neuen Wüstenstädten zusammen, das sind 2,45 Prozent der gesamten Stadtbevölkerung. Die meist mit staatlichen Geldern erbauten Städte hängen in der Regel am Tropf des Staates, die Wohnungen sind für die Mehrzahl der Ägypter zu teuer, geschätzt werden für die Reicheren gated communities. Es fehlt an Schulen, Geschäften, öffentlichen Verkehrsmitteln, an Infrastruktur und schlicht an einer attraktiven städtischen Umgebung.

Schule in der Stadt "6. Oktober". Bild: Mustafa Selim/CC-BY-SA-3.0

Wissenschaftler haben sich die Stadt "6. Oktober" näher angeschaut, die größte der neuen Wüstenstädte. Sie gehört der ersten Generation an und wurde neben einer großen Industriezone seit Anfang der 1980er Jahre errichtet. Zudem liegt sie noch im Großraum Kairo, 30 km nordöstlich von Kairo. Die direkte Anbindung an die größte ägyptische Industriezone, wo sich viele Firmen und Banken und auch Autokonzerne wie BMW, Mercedes oder GM Werke angesiedelt haben, war sicherlich einer der wichtigsten Gründe, warum diese Stadt, die 2006 immerhin fast 160.000 Einwohner hatte und damit die bevölkerungsreichste aller neuen Wüstenstädte ist, noch einigermaßen erfolgreich ist, obgleich viele der Häuser wie in den anderen Städten auch hier leer stehen oder unterbelegt sind. Eigentlich war geplant, dass bis 2020 2,5 Millionen Menschen hier leben. Mit großen öffentlichen Investitionen sollte die Stadtentwicklung angeschoben werden, versucht wurde, bekannte Konzerne und private Investoren für Freizeitparks, Universitäten oder eine Medienstadt zu finden.

Offenbar wurde aber nicht versucht, eine Stadtentwicklung zu planen, sondern man erweiterte das Stadtgebiet und bot Parzellen an, ohne die Stadt zu verdichten, wodurch es zu einem Wildwuchs zwischen fertigen Gebäuden, leeren Flächen und Neubauruinen kam. Das 400 Quadratkilometer große Stadtgebiet erstreckt sich dank der günstigen Bodenpreise 20 km in Ost-West-Richtung und 23 km in Nord-Süd-Richtung. Innerhalb dieses oft leeren riesigen Gebiets mit einer zerstreuten Besiedlung gibt es kaum öffentliche Verkehrssysteme, etwas besser sieht es mit der Anbindung an Kairo durch Minibusse aus. Die Einkaufszone erstreckt sich über 7 km. In ausgewiesenen Wohngebieten sind nach 25 Jahren nur zwischen 20-30 Prozent der Parzellen mit fertigen, aber meisten leerstehenden Häusern bebaut, auf ebenso vielen stehen Neubauruinen, bis zu 50 Prozent der Parzellen sind leer, also Wüste. Es herrschen "gated communities" und Luxusgebäude vor. Trotz der Ansiedlung einiger privater Schulen und Universitäten, von Hotels, Malls, Kinos, Clubs und einem Themenpark macht das noch einigermaßen erfolgreiche Stadtprojekt einen verfahrenen Eindruck.

Scheich-Zayid-Kanal. Bild: Rémih/CC-BY-SA-3.0

Viele der geplanten Städten oder Stadtteile wurden buchstäblich in den Sand gesetzt und sind zu Geisterstädten geworden. So ist beispielsweise das von Mubarak mit viel Geld 1997 initiierte Projekt Neues Tal, bei dem mit einem 240 km langen Kanal ein neues künstliches Niltal geschaffen werden sollte, um dort mit der Vergrößerung der bewohnbaren Fläche von 5 auf 25 Prozent 20 Prozent der Bevölkerung in neuen Städten wie Toshka umzusiedeln, nur ein teures, von Ägypten, Saudi-Arabien und den Vereinten Arabischen Emiraten finanziertes landwirtschaftliches Projekt geblieben. Aus dem Nasser-Stausee wird seit 2005 Wasser mit dem Mubarak-Pumpwerk 50m hoch zum Scheich-Zayid-Kanal gepumpt und damit 50 km entfernt die Toshka-Senke bewässert. 21.000 Hektar werden bislang bewirtschaftet, ein Zehntel der geplanten Fläche.

Bild: Manuel Alvarez Diestro

New Cairo

Der Fotograf Manuel Alvarez Diestro hat kürzlich Ägypten bereist und sich die Geisterstädte mitten im Sand angesehen. Daraus ist seine Serie über New Cairo geworden. Diestro geht davon aus, dass die die Städte einst bewohnt sein werden, vor allem jene Viertel, die für die ärmeren Schichten gedacht sind. Die Gebäude seien noch im Bau wie diejenigen, die Diestro in Aswan fotografiert hat. Sie sind für die ärmeren Schichten gedacht und haben keine Zäune um sich, aber es gibt eben auch gated communities für die Reicheren, die in Immobilien investieren können und nicht vom Staat abhängig sind.

Bild: Manuel Alvarez Diestro

Es erscheint zwar absurd, aber es wäre gut möglich, dass die Wüstenstädte das Analogon zu den Gartenstädten sein werden, die in Europa seit Ende des 19. Jahrhunderts entstanden sind. Auch in die Wüstenstädte könnten die Reichen aus den überfüllten, lauten und umweltverschmutzten Städten am Nil fliehen, um hier Sicherheit, Luxus und Ruhe zu finden und sich vom Rest der Bevölkerung abzugrenzen.

Bild: Manuel Alvarez Diestro

Da die Städte nicht sehr weit entfernt von den bestehenden Großstädten sind, wäre es durchaus vorstellbar, dass die Reichen, wenn sie nicht gleich in anderen Ländern Häuser in einer weniger kargen Umgebung erwerben, sich hier eine Zweitwohnung zulegen, auch wenn unklar ist, wie in diesen künstlichen Städten im Nichts der Wüste überhaupt urbanes Leben erwachsen kann oder diese zumindest so attraktiv werden, dass sich die Reichen hier niederlassen wollen. Noch jedenfalls machen die Baustellen den surrealen Eindruck einer urbanen Fata Morgana (weitere Bilder siehe hier).

Bild: Manuel Alvarez Diestro