"Gotteskrieger haben keinen Grund zur Selbstachtung"

Franz Josef Wetz über ein Entwicklungsprinzip

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Durch die Entwicklung von Selbstachtung kompensiert der Mensch existentielle Demütigungen und die kleinen Widrigkeiten des Lebens. Allerdings droht dieser Prozess zwischen den Polen Selbstwertgefühl und Kenntnis der eigenen Unzulänglichkeit immer wieder in einen Ungleichgewichtszustand zu geraten. Ein Gespräch mit Franz Josef Wetz, dem Autor von Rebellion der Selbstachtung.

Herr Wetz, was ist Selbstachtung überhaupt?

Franz Josef Wetz: Der verhältnismäßig gute Ruf, den man bei sich selbst genießt! Von allen Meinungen, die man hat, ist keine so wichtig wie die über einen selbst. Sich selbst zu achten heißt: sein Leben für sich als wertvoll zu bejahen, und das heißt: sein Dasein als der Mühe wert zu halten, die es einem selbst und den anderen bereitet. Selbstachtung gibt dem Einzelnen das Gefühl: Du zählst. - Was Selbstachtung ist, erfahren wir im Alltagsleben oft erst dann, wenn sie bedroht oder schon beschädigt ist.

Obwohl man die eigene Selbstachtung vielleicht zuvor noch nie gespürt, geschweige denn hierüber nachgedacht hat, können schon ein verächtlicher Blick auf der Straße, der dümmlich belehrende Ton eines Vorgesetzten oder die herablassende Geste des Mitleids, die einen die eigene Hilflosigkeit, Abhängigkeit oder Unterlegenheit spüren lassen, die eigene Selbstachtung offenbaren. Häufig findet sich unsere Selbstachtung mit solchen Herabsetzungen aber nicht ab und begehrt hiergegen auf - dem Motto gemäß: Hier tritt mir jemand zu nahe. Muss ich mir das gefallen lassen? Ich habe doch auch meinen Stolz!

Welchen Sinn hat Selbstachtung?

Franz Josef Wetz: Selbstachtung ist eine existenzielle Notwendigkeit. Nur wer über eine starke Selbstachtung verfügt, kann schlecht behandelt werden, ohne sich deshalb gleich erniedrigt fühlen zu müssen. Wie ein intaktes Immunsystem stärkt Selbstachtung die Widerstandskraft des Menschen im Umgang mit den Widrigkeiten des Lebens. Sie macht weniger anfällig für seelische Verletzungen, die Sabotagen des Alltagslebens. Die Überzeugung vom eigenen Wert ist also eine elementare Lebenskraft. Sie befähigt den Einzelnen, mehr Verantwortung für sein Dasein zu übernehmen, Neues anzupacken, am Reichtum des Lebens zu wachsen.

Ist Selbstachtung biologisch fundiert?

Franz Josef Wetz: Nach meinem Verständnis: Ja. Die Religion hingegen bezieht die Selbstachtung auf die Gottebenbildlichkeit des Menschen: Als herausragendes Geschöpf Gottes soll sich der Mensch achten. Die Soziologen wiederum versuchen die Selbstachtung allein auf soziale Anerkennung zurückzuführen. Natürlich spielt gegenseitige Wertschätzung für die eigene Selbstachtung eine wesentliche Rolle. Dennoch liegt weder in Gott noch in meinem Nächsten der eigentliche Ursprung der Selbstachtung. Näher betrachtet ist sie keimhaft bereits im biologisch entschlüsselten Selbsterhaltungsstreben des Menschen angelegt.

Können Sie das präzisieren?

Franz Josef Wetz: Normalerweise hängt der Mensch von Natur aus am Leben und richtet geradezu automatisch seine Kräfte auf die eigene Erhaltung. Bei bewusstem Leben drückt dieser Überlebenswille bereits eine Selbstwertschätzung aus, ziehen doch die Menschen hierdurch ihr Dasein dem Nichtsein vor, und das heißt: sie bejahen ihr Leben für sich als wertvoll. Bewusstes Leben ist als Drang nach mehr Leben also mehr als Leben, nämlich zugleich ein Wert für dieses Leben selbst. In diesem Sinne ist die Selbstwertung im biologischen Imperativ der Selbsterhaltung verankert.

Ist Religion der Selbstachtung zu- oder abträglich?

Franz Josef Wetz: Je nachdem. Glaubensbekenntnisse sind in der Regel der Selbstachtung zuträglich, weil sie den Menschen als ein aus der Natur herausragendes Wesen ansehen. Als solches soll der Mensch bereits einen Wert an sich darstellen, weil er von Gott besonders gewürdigt wird. Mit solchen Lehren verhindern die Menschen, dass sie gering über ihr Leben denken, so nichtig es auch in den kosmischen Weiten des Universums ist. In dem Maße aber, wie die Religionen den Menschen als erlösungsbedürftigen Sünder darstellen, als lasterhaftes, elendes Geschöpf, das Gottes Güte überhaupt nicht verdiene, schwächen sie wieder die menschliche Selbstachtung.

Ist es irrelevant, ob die Selbstachtung auf reale oder irreale Annahmen fußt?

Franz Josef Wetz: Losgelöst von der Frage, ob die abgehobene, anmaßende und zweifelhafte Idee der Gottebenbildlichkeit als Grundlage der Selbstachtung noch Plausibilität besitzt, ist es erstaunlich, dass solche irrealen Annahmen überhaupt zu gesteigerter Selbstachtung führen können. Für gewöhnlich hängt die Aufrechterhaltung unserer Selbstachtung stärker von realen Faktoren wie sozialer Anerkennung und garantierten Rechten ab. In der Regel sind solche Lebenshilfen wirksamer und fassbarer als die diffuse Vorstellung der Gottebenbildlichkeit, weshalb dieser gegenüber aus meiner Sicht ersteren auch ein Vorrang zukommt.

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