Argentinien schafft seinen Geheimdienst ab

Präsidentin Fernández de Kirchner zieht die Konsequenzen aus der Intervention des Geheimdienstes in die Aufklärung des AMIA-Attentats und will mit einer Neugründung dem "Staat im Staat" ein Ende machen

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Der noch immer ungeklärte Tod des Chefermittlers des AMIA-Attentats Alberto Nisman am 18. Januar hat die argentinische Politik vorzeitig aus der Sommerpause geholt. Überschlagen sich die Medien im Januar mit eigentlich eintöniger Berichterstattung von den argentinischen Atlantikstränden, vergeht seit einer guten Woche kein Tag, an dem nicht über die Hintergründe des Todes spekuliert wird. Von den drei möglichen Varianten zum Ableben des per Kopfschuss getöteten Juristen - Selbstmord, erzwungener Selbstmord oder Mord - konnte bislang keine durch die Ermittlungsergebnisse erhärtet werden.

Wegen der Ereignislage unterbrach auch Präsidentin Cristina Fernández Kirchner ihren Sommerurlaub und kündigte nun eine folgenschweres Gesetzesprojekt an. Als Reaktion auf die Verstrickung der Geheimdienstbehörde SI (Secretaría de Inteligencia) in die Ermittlungen zum Anschlag auf die jüdische Wohlfahrtsorganisation AMIA (Asociación Mutual Israelita Argentina), bei dem 1994 85 Menschen starben und Hunderte verletzt wurden, wird die Institution nun aufgelöst. Das Vorhaben soll im Eilverfahren bereits Anfang Februar verabschiedet und innerhalb von 90 Tagen umgesetzt werden, wie das Staatsoberhaupt vorgestern in einer einstündigen Fernsehansprache verkündete. An die Stelle der SI soll künftig eine AFI (Agencia Federal de Inteligencia) genannte Ersatzorganisation treten.

Präsidentin Fernández de Kirchner kündigt Geheimdienstreform an.

Mit der Reformierung der Geheimdienstarchitektur werden Aufgabengebiete, Arbeitsweise und Rechenschaftspflichten genauer definiert. Fernández erläuterte hierzu, dass sich der Tätigkeitsbereich künftig maßgeblich auf den Bereich schwerer internationaler Kriminalität wie Terrorismus, Drogenhandel und Wirtschaftskriminalität beschränken soll. Einzig bei komplexen Delikte wie Gegenspionage und schweren Attentaten gegen die öffentliche Ordnung müsse die AFI im Inland tätig werden. Kommunikation mit der Justiz soll zukünftig lediglich über die Führungsebene der Organisation laufen, informelle Kontakte sollten unterbunden werden.

Der Generalsekretär und sein Stellvertreter werden von der Exekutivgewalt in Übereinstimmung mit dem Senat berufen und müssen sich an die Grundsätze der Verfassung und der Menschenrechte halten. Abhörgenehmigungen sind von der Bundesstaatsanwaltschaft zu genehmigen. Bei Gesetzesverstößen, wie etwa illegales Abfangen von Telefon- oder sonstigen Daten droht den Angestellten der Behörde eine Haftstrafe von zwischen drei und zehn Jahren. Transparenter werde die AFI auch sein, so Fernández. Es handele sich um die Begleichung einer Schuld gegenüber der Bevölkerung, die seit dem Beginn der Demokratie 1983 bestünde, rechtfertigte sie den Schritt und erklärte: "Wir müssen anfangen ein Geheimdienst-Reformprojekt zu erarbeiten, weil der bestehende nicht den nationalen Interessen dient."

In ihrer Ansprache stellte sie den AMIA-Anschlag in eine Reihe mit dem Staatsterrorismus der letzten Militärdiktatur (1976-1983), in deren Zeit 30.000 Oppositionelle vom Regime ermordet wurden. "Die Verpflichtung unserer Regierungen war immer der Kampf gegen die Straflosigkeit," versicherte sie. Der schwerste Anschlag aller Zeiten in Argentinien vor mehr als 20 Jahren wird iranischen Drahtziehern aus dem Hisbollah-Umfeld zugeschrieben. Das Verfahren steht weitgehend auf der Stelle, seitdem 2006 internationale Haftbefehle gegen teils hochrangige iranische Funktionäre verfügt wurden und der Iran eine Auslieferung ablehnt.

Zweifel an deren Urheberschaft konnten nie ausgeräumt werden, andere Spuren wurden nicht mehr verfolgt. Maßgeblich verantwortlich für die Täterhypothese, so wird gemeinhin angenommen, war ein hoher Geheimdienstfunktionär namens Antonio "Jaime" Stiuso. Diesen setzte die Regierung im vergangenen Dezember als operativen Einsatzleiter der Geheimdienstbehörde ab. Er unterhielt enge Beziehungen zum Generalstaatsanwalt, fungierte als zentrale Quelle für diesen und beide arbeiteten Hand in Hand an dem Fall, wie Wikileaks-Unterlagen zeigen.

Um den Tod Nismans ranken sich immer noch eine Reihe von Fragen

Er starb wenige Tage nachdem er schwere Vorwürfe gegen die Regierung Fernández' erhoben hatte und einen Tag bevor er vor diese im Parlament erörtern sollte. Warum er seinen Sommerurlaub vorzeitig abbrach und die Anklage mitten in den Justizferien publik machte, bleibt ein Rätsel. Seine Anschuldigungen gegen Fernández, ihren Außenminister Timerman und andere hochrangige Funktionäre ihres linksperonistischen Parteienbündnisses unterstellten, dass diese die Ergreifung der mutmaßlichen Täter behinderten. Der zuständige Richter ließ jedoch die Klage nicht zu, weil der Sonderermittler keine Beweise für die Anschuldigungen liefern konnte.

Die Tatwaffe stammt von einem persönlichen Mitarbeiter des Staatsanwalts Diego Lagomarsino, der ihm diese nach eigener Aussage am Tag vor dessen Ableben übergab, womit er nach aktuellem Stand der Ermittlungen der letzte Kontakt vor dessen Tod war. Der IT-Spezialist Lagomarsino war ein enger Vertrauter Nismans. Er sagte aus, dieser habe sich bedroht gefühlt und den zu seinem Schutz abgestellten Polizisten nicht mehr getraut. Die kleinkalibrige Waffe der Marke Bersa habe dieser zu seiner Verteidigung nutzen wollen.

Unklar ist bislang, welche Rolle Lagomarsino in den AMIA-Ermittlungen einnahm. Seit 2007 arbeitete er selbstständig für den Sonderermittler und traf sich fast nur in seiner Wohnung im Stadtteil Puerto Madero mit diesem. Mit umgerechnet etwa 4.000 Euro erhielt er damit ein Gehalt, das höher als das eines politischen Regierungsbeamten ist. Nun wird wegen der illegalen Weitergabe seiner Waffe gegen ihn ermittelt, in der vergangenen Woche wurde ein Ausreiseverbot verhängt.

Weiterhin ominös ist die Rolle von besagtem Stiuso. Es wird vermutet, dass er Nisman inmitten der gerichtsfreien Zeit aus dem Urlaub in Europa zurückrief. Klarheit dazu gibt es nicht. Aus der Befragung der Exfrau Nismans, die eilig nach Madrid reisen musste, um die gemeinsame Tochter aus einer VIP-Lounge am Flughafen abzuholen, sind keine diesbezüglichen Informationen bekannt geworden. Ihr gegenüber sagte er lediglich, es handele sich um eine dringende Angelegenheit.

Stiuso galt als einer der mächtigsten Männer im SI-Apparat. So führte der ehemalige Justizminister Gustavo Béliz 2004 in einer Fernsehsendung aus, Stiuso verfüge über eigene Mittel in Millionenhöhe und man habe Angst vor ihm, weil er gefährlich sei und töten lassen könne. Ob das stimmt oder nicht, sei dahin gestellt.

Die Rolle des Geheimdienstes

Fakt ist, dass der Geheimdienst wie Kritiker sagen, einen "Staat im Staat" bildet. Unter dem Dach der SI, die von Perón in den 1950er Jahren gegründet alle folgenden Diktaturen überdauerte, existieren genau genommen mehr als zehn verschiedene Geheimdienste mit einen Etat von umgerechnet 185 Millionen Euro - 80 Prozent davon für Agentengehälter. Informationen über Strukturen und Ausgabenposten sind Mangelware. Der ehemalige Präsident Néstor Kirchner hatte einst versucht, Licht ins Dunkel zu bringen, indem er die Veröffentlichung von Geheimdokumenten verfügte, darunter auch 7.000 Spitzelidentitäten. Unzählige kriminelle Machenschaften sind in der Folge publik geworden. Das veränderte jedoch kaum etwas.

Vor wenigen Wochen fiel Stiuso nun in Ungnade bei der Regierung. Unter Führung einer Clique um den Chef der Streitkräfte César Milani wurde dieser aus dem Amt gedrängt. Aber auch Milani ist kein Heiliger, gegen ihn läuft ein Verfahren wegen Teilnahme an den Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der letzten Diktatur. Ende 2013 verschwanden bei einem nicht aufgeklärten Diebstahl wichtige Dokumente in dem Verfahren aus dem Auto des ermittelnden Staatsanwalts. Kritiker vermuteten hinter Stiusos Rauswurf die Schaffung einer kirchneristischen Gegenstruktur innerhalb der SI unter Führung Milanis. Und nun scheint Kirchner die SI insgesamt als Gegnerin im Fall Nisman identifiziert zu haben. Zupass kommt ihr der Tod nämlich nicht. Auf Facebook erklärte sie kürzlich, die eigentliche Aktion gegen die Regierung sei nicht die Anschuldigung gewesen, sondern Nismans Tod, nachdem er diese öffentlich machte.

Insgesamt geht es um einen groß angelegten Feldzug gegen die Geheimdienststrukturen. In der Ansprache kommentierte die Staatsvorsteherin diesbezüglich: "Seit 2013 wurde ich vonseiten des Geheimdienstes und mit Unterstützung der Justiz in immer schnellerer Abfolge mit Vorwürfen bombardiert, und das aus den Büros der eigenen Regierung." Daher würden mit der Neustrukturierung auch viele Agenten aus dem Amt enthoben, warnte sie. Damit hat sie nun ein Thema angefasst, an das sie sich vorher nicht getraut hat. Vielleicht weil sie zuvor bessere Kontrolle über die "Dienste" hatte. Vielleicht aber auch, weil sie Respekt vor den Machenschaften der Agenten hatte. In jedem Fall, ließ sie die Öffentlichkeit wissen, sie ließe sich nicht einschüchtern und erpressen.

Dass vor diesem Hintergrund bei der anstehenden Neustrukturierung des Geheimdienstes mehr als ein Kommandowechsel herauskommt, wäre wünschenswert, ist aber nicht absehbar. Und Geheiminformationen zu dem Fall Nisman werden wahrscheinlich auch nicht bekannt, denn klar ist, dass mit der Auflösungsankündigung die Schredder in der SI-Zentrale heißgelaufen sind.