Griechische Regierung distanziert sich von Russland-Kommuniqué der EU

Athen könnte neue Sanktionen verhindern - oder Gegenleistungen fordern

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Gestern wurde eine scheinbar gemeinsame Erklärung der Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Mitgliedsländer öffentlich. In ihr wird Russland "die fortdauernde und wachsende Unterstützung" der ostukrainischen Volksrepubliken vorgeworfen und die Verantwortung für einen Raketen- oder Geschosseinschlag in ein Wohnviertel in Mariupol unterstellt. Außerdem droht man mit neuen Sanktionen. Dieses Kommuniqué soll nach Informationen der Deutschen Wirtschafts Nachrichten nun das erste Mal in der Geschichte der EU nachträglich mit einer Fußnote versehen werden, in der es heißt, dass nicht für alle 28, sondern nur 27 Staatschefs dieser Meinung sind.

Grund dafür ist ein Protest des seit Montag amtierenden neuen griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras, der bei der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini und bei der EU-Vertretung in Athen telefonisch monierte, er seit vor der Veröffentlichung der Erklärung nicht um seine Zustimmung gefragt worden. Der Süddeutschen Zeitung gegenüber meinte man dazu in Brüssel, es sei "üblich, das Schweigen eines Mitgliedstaats […] als Zustimmung zu werten". Dem Wall Street Journal zufolge geht man allerdings in der griechischen Regierung von einer Umgehung der "normalen Prozedur" aus.

Das Abweichen Griechenlands ist insofern bedeutsam, als Sanktionen einstimmig beschlossen werden müssen. Allerdings ist gut denkbar, dass sich die griechische Regierung zu Sanktionen überreden lässt, wenn man ihr anderweitig Zugeständnisse macht. Angebote an Athen können allerdings nicht nur aus Brüssel oder Berlin, sondern auch aus Moskau kommen: Nikolai Fyodorov, der russische Landwirtschaftsminister, stellte Griechenland bereits am 16. Januar in Aussicht, dass das Land wieder unbeschränkt Lebensmittel nach Russland exportieren könne, wenn es gezwungen sei, aus der EU auszutreten. Dieses Angebot dürfte mit ein Grund dafür gewesen sein, dass Brüssel zukünftig Sanktionsausnahmen für einzelne Länder erlauben will.

Dem EUObserver zufolge sollen auch Österreich, Ungarn und die Slowakei eine andere als die im neuen EU- Kommuniqué zu Russland geäußerte Meinung vertreten haben, bevor sie umgestimmt wurden. Auch Politiker aus anderen EU-Mitgliedsländern gaben sich in der Vergangenheit vom Sinn der Sanktionen gegen Russland wenig überzeugt: Am bislang deutlichsten sagte das der tschechische Präsident Miloš Zeman: In einer siebzehnminütigen Ansprache auf der Konferenz Dialogue of Civilizations kritisierte er, dass die Maßnahmen nicht nur wirkungslos, sondern sogar schädlich seien. Man müsse sie deshalb aufheben und stattdessen einen Dialog entwickeln, in dessen Rahmen Informationen "unzensiert" ausgetauscht werden.

Anderswo kommt die Kritik an den Sanktionen vor allem aus der Opposition - zum Beispiel vom UKIP-Vorsitzenden Nigel Farage, der in einer EU-Parlamentsrede am 16. September 2014 fragte, ob die Entscheider in der EU und der NATO "ihren Verstand in den Urlaub geschickt" haben und einen Krieg mit Russland wollen, weil die "gescheiterte", "widersprüchliche" und "unnötig provozierende" Politik der EU und der NATO in Libyen, Syrien und der Ukraine seiner Ansicht nach genau dorthin führt.

Farage plädiert stattdessen dafür, die Russische Föderation als Verbündeten im Kampf gegen die Dschihadisten in Syrien, Nigeria, Kenia und im Irak zu gewinnen und einen gemeinsamen Plan zu entwerfen. Seinen Worten nach ist der russische Staatspräsident Wladimir Putin - "was immer man von ihm halten mag" - ein natürlicher Verbündeter im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) und andere salafistische Terrorgruppen. Deshalb sollten die Politiker der EU-Mitgliedsländer "erwachsen werden" und der Tatsache ins Auge sehen, dass nicht Russland, sondern der Dschihadismus die aktuell größte Bedrohung ist.

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