Stabilitätsfaktor Saudi-Arabien?

Deutschland liefert nach kurzem Stopp wieder Waffen in die autoritäre wahabitische Monarchie

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"Saudi-Arabien ist aus unserer Sicht durchaus ein Stabilitätsfaktor in der Region", ließ Bundeskanzlerin Merkel über ihren Regierungssprecher Steffen Seibert verlautbaren. Das war Ende 2012, als Saudi-Arabien den Kauf mehrerer hundert deutscher Radpanzer plante. In jenem Jahr erhielt Riad darüber hinaus Waffen im Wert von 1,237 Milliarden Euro, und wuchs damit zum weltweit größten Abnehmer deutscher Rüstungsgüter. Diese Tendenz hielt auch in den folgenden Jahren an.

Es bleibt fraglich, was die Bundeskanzlerin unter einem "Stabilitätsfaktor in der Region" versteht. Diese Äußerungen sind aber Ausdruck einer hohen Unbedarftheit in geopolitischen und geostrategischen Fragen. Merkels Strategie steht im Einklang mit der Politik des Westens gegenüber Saudi-Arabien, die inzwischen als gescheitert angesehen werden muss (Pussies und Panzer). Weder wurden "Leuchttürme der Demokratie" errichtet, noch hat der Demokratie-Export funktioniert. Stattdessen stürzten im Arabischen Frühling Regime, die mit Washington und der EU verbunden waren, ohne dass aus deren Trümmern prowestliche Systeme zu entstehen scheinen.

Spätestens mit dem Aufstieg der Terrorgruppe Islamischer Staat wurde bekannt, dass diese Truppen anfangs mit Geldern und Waffen und Saudi-Arabien und Katar unterstützt wurden. In Berlin und Washington schaut man gerne darüber hinweg, wenn saudische Geldgeber den religiösen Fanatismus in Form des dort praktiziertenWahhabismus und Salafismus weltweit finanzieren. Weder die Besetzung Bahrains durch saudische Truppen, noch die permanenten Menschenrechtsverletzungen, die die Kanzlerin höchstens in Richtung Moskau und Teheran beklagt, konnten die westliche Aufrüstung Saudi-Arabiens bisher beenden. Über Merkels Menschenrechtsrethorik wurde diesbezüglich schon alles geschrieben. Basierend auf ihrer hohen Intelligenz und ihres Machterhaltungsinstinkts handelt es sich hierbei um Thesen, die auf den Augenblickseffekt und die jeweilige Mehrheitsfähigkeit abzielen soll.

"Sleeping with the devil" lautet der Titel des sehr empfehlenswerten Bestsellers des EX-CIA-Agenten Robert Baer. In diesem Buch hat Baer die skandalöse Komplizenschaft zwischen der saudischen Dynastie und der amerikanischen Erdöl-Plutokratie aufgedeckt. Spätestens am 11.September 2001 wurde auch den letzten Naivlingen im Pentagon bewusst, was man sich da für ein Frankenstein-Freund angelacht hatte. Schon bei den Anschlägen von Khoba im Juni 1996, die 19 US-Soldaten das Leben kosteten, hatte sich der Verdacht bestätigt, dass die saudische Dynastie in diverse Verschwörungen gegen die USA verwickelt ist.

Prinz Nayef, der ehemalige Innenminister Saudi-Arabiens, galt insgeheim als Sympathisant von al-Qaida. Nayef ging militant gegen jede "liberale" Strömungen vor, wobei Liberal eigentlich ein unpassender Begriff für ein Land ist, indem es bestenfalls gemäßigte Konservative gibt. Prominente Mitglieder der saudischen Königsfamilie sollen in den neunziger Jahren das Terrornetzwerk Al-Qaida finanziell unterstützt haben, so behauptete der in den USA inhaftierte Terrorist Zacarias Moussaoui in einem Brief an einen Richter.

Nach dem Tod von König Abdullah schien zumindest in Berlin ein leichtes Umdenken einzusetzen bezüglich der bisher praktizierten Strategie gegenüber Riad. "Die Bundesregierung hat laut einem Zeitungsbericht alle Waffenexporte nach Saudi-Arabien auf Eis gelegt. Die Lage in der Region sei zu instabil", hieß es laut BamS Ende Januar dieses Jahres. Doch das Gegenteil ist der Fall. Das für Rüstungsexporte zuständige Bundeswirtschaftsministerium informierte diese Woche die Mitglieder des Wirtschaftsausschusses über die jüngsten Exportgenehmigungen der Regierung. In der tabellarischen Übersicht wird deutlich, deutsche Rüstungsunternehmen dürfen "Zieldarstellungsgeräte für Infanteriewaffen inkl. Zubehör, vier Schießsimulationssysteme inkl. Zubehör und Radare, optronische Ausrüstung, Software und Technologie zur Grenzsicherung" an Saudi-Arabien liefern.

Michael Scott Doran, Nahost-Experte der Princeton University, schrieb bezüglich der amerikanischen Saudi-Arabien-Politik: "Die Situation ist kritisch, weil die USA über geringe Mittel verfügen, der anitischiitischen und antiamerikanischen Strömung entgegenzuwirken. Der Wahhabismus ist die Grundlage eines gesamten politischen Systems. Jeder, der vom Status quo profitiert, wird sich um dieses System scharen, falls es von außen angetastet wird. Den Vereinigten Staaten bleibt keine andere Wahl, als die fälligen demokratischen Reformen im Irak und in Saudi-Arabien energisch voranzutreiben. Doch jeder Versuch, eine liberale politische Ordnung zu schaffen, wird zusätzlichen Disput auslösen. Die antiamerikanische Stimmung würde angeheizt. Bei seinem Bemühen, die Demokratie im Mittleren Osten zu fördern, wird Washington wieder einmal feststellen müssen, dass seine engsten arabischen Verbündeten gleichzeitig seine erbittertsten Feinde sind."

Das Gleiche lässt sich auch bezüglich der Politik Berlins gegenüber Riad formulieren. Es ist für den Westen jetzt höchste Zeit, sich neue Verbündete in der Region zu suchen.