Die neue Rechte ist antikapitalistisch und antieuropäisch

Auf einer Tagung wurde über die "Europäische Identität in der Krise" diskutiert

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Einen guten Riecher für aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen hatten die Mitarbeiter des Centre for Intercultural and European Studies an der Hochschule Fulda, als sie vor eineinhalb Jahren die Tagung "Europäische Identität in der Krise" planten. Dabei sollte es darum gehen, wie Rechtspopulisten und Rechtsextreme europäische Identitätsvorstellungen für sich umdeuten.

Die Konferenz, die vom 30. zum 31. Januar stattfand und mit hochkarätigen Referenten aus Politik- und Sozialwissenschaften besetzt war, erhielt nicht nur durch das Phänomen Pegida eine unerwartete Aktualität. Mit dem Politologen Jean-Yves Camus war auch einer der Autoren der französischen Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" als Referent eingeladen. Der verriet auch gleich, dass in Frankreich ebenfalls eine Kundgebung nach dem Pegida-Modell geplant war. Der Anschlag auf "Charlie-Hebdo" hatte aber dann den Aufmarsch der Rechtspopulisten am 18. Januar in Paris gestoppt.

Camus beschrieb in seinem Vortrag die so genannten Identitären "als eine zutiefst postmoderne Bewegung". Sie knüpften in ihrem Diskurs sowohl an Europa wie an den Nationalstaat an. Einerseits gingen sie von einer europäischen Rasse aus, hätten aber andererseits ein Europa mit einer größtmöglichen Zahl ethnisch geprägter Nationalstaaten zum Ziel.

Damit ist ihr Konzept nicht weit vom "Europa der Vaterländer" entfernt, einem Kernbegriff der Neuen Rechten, wie Alexander Häusler feststellte. Der Düsseldorfer Rechtsextremismusforscher beschäftigte sich in seinem Vortrag mit nationalen Identitätskonstruktionen der Partei "Alternative für Deutschland". Er beschrieb wie sich die AFD von einer Anti-Euro zu einer Anti-Islamisierungspartei gewandelt hat, für die die nationale Identität einen zentralen Stellenwert besitzt. Die Partei versuche die Krise der politischen Repräsentation für die Anbindung an den rechten Kulturkampf zu nutzen. Ziel sei dabei die Formierung eines nationalkonservativen Blocks. Daher seien AFD-Mitglieder auch von Anfang an bei Pegida-Demonstrationen dabei gewesen, auch wenn dies von der Parteielite dementiert werde.

Um die Dresdner Islamisierungsgegner ging es auch im Vortrag von Ulrich Bielefeld, der sich mit "Renationalisierungsprozessen rechts und links" befasste. Die Rechtspopulisten in der Elbmetropole betrieben eine "Politik des Affekts", die präfaschistisch sei, so der Politikwissenschaftler vom Hamburger Institut für Sozialforschung. Man wolle nicht überzeugen, sondern nutze eine Strategie des unmittelbaren Appells. Bemerkenswert sei dabei, dass sich der Unwille an alten Begrifflichkeiten wie "Volk" und "Abendland" artikuliere.

Generell sei die neue Rechte antikapitalistisch und antieuropäisch zugleich, wobei sie die "Europaphobie" mit linken Bewegungen teile. Beide setzten Europa mit dem Neoliberalismus gleich. Während die Rechte aber die Einwanderung kritisiere, kapriziere sich die Linke auf Konsumkritik.

Diese Gleichsetzung von linker und rechter Europakritik blieb nicht unwidersprochen. So kritisierte der Wiener Soziologe Jörg Flecker den Begriff "Europhobie" und fragte, ob man die Haltung zur EU unabhängig von den politischen Inhalten beschreiben könne. Das Europa der Konzerne, das eine Politik der Entsolidarisierung betreibe, sei tatsächlich neoliberal.

Flecker machte hauptsächlich die Verabschiedung vom europäischen Sozialstaatsmodell mit den damit einhergehenden Veränderungen der Arbeitswelt für den Anstieg rechtspopulistischer Einstellungen verantwortlich. Die Arbeitnehmer empfänden ein Gefühl der Ungerechtigkeit, weil ihre im Erwerbsleben erbrachten Leistungen in der Ägide des Shareholder Value nicht mehr honoriert würden. Diese Aussagen konnte der Soziologieprofesssor von der Universität Wien mit einer beeindruckenden Interviewstudie belegen, die die Ängste und Gefühlslagen der "kleinen Leute" präzise wiedergab. Dabei, so Flecker, würden nicht nur materielle Verluste gefürchtet, sondern auch der Verlust der "Respektabilität". Und nicht nur abhängig Beschäftigte würden vom zunehmenden Konkurrenzdruck belastet. Auch ein Selbständiger, der, um ökonomisch zu bestehen, Tag und Nacht arbeite und dabei womöglich seine Beziehung verliere, empfinde Arbeitsleid.

Letzten Endes blieb immer wieder die Frage, warum die Menschen nicht eine Veränderung der ökonomischen Verhältnisse einfordern, statt ihren Unmut gegen Einwanderer und Asylsuchende richten. Möglicherweise liegt das auch daran, dass abhängig Beschäftigte sich gar nicht mehr als solche verstehen. So zeigten, wie Jean-Yves Camus berichtete, verschiedene französische Untersuchungen, dass Arbeiter sich nicht mehr als unterprivilegierte Klasse sehen, sondern als Teil der Mittelschicht.

Insofern ist Alexander Häusler zuzustimmen, der meinte, die größte Herausforderung für die europäische Linke sei es, ein Identitätsmodell zu entwickeln, das einen Gegenentwurf zu neoliberalen und neokonservativen Bewegungen darstellt.