Kiew spielt mit dem Internationalen Gerichtshof

Beitreten will man dem ICC nicht und erkennt dessen Rechtsprechung lediglich an, um Vergehen Russlands auf ukrainischem Territorium zu untersuchen

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Nachdem die Ukraine es bislang nicht erreicht hat, die beiden "Volksrepubliken" Lugansk und Donezk international zu Terrororganisationen zu erklären, und auch weiter davor zurückschreckt, den Ausnahmezustand zu verhängen, will die Rada, das ukrainische Parlament, nun Russland vor dem Internationalen Strafgerichtshof anklagen.

Der Raketenbeschuss von Mariupol, bei dem 30 Menschen getötet und 100 verletzt wurden, hat offenbar dafür den Ausschlag gegeben. Gestern verabschiedete die Rada mit großer Mehrheit die Resolution, die aber höchst einseitig ist. Man will nämlich nur insofern dem Römischen Statut des ICC beitreten, als es um die Anklage gegen die Russische Föderation geht, die auf ukrainischem Territorium am 24. Januar in Mariupol Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben soll.

Die Ukraine hat das Römische Statut zwar im Jahr 2000 unterschrieben, aber noch nicht ratifiziert. Nach dem Sturz der Janukowitsch-Regierung hatte die Übergangsregierung nach einem Beschluss der Rada vom 24. Februar 2014 im April die Rechtsprechung des ICC nach Artikel 12, Paragraf 3 anerkannt, aber nur zur Untersuchung der begangenen Taten zwischen dem 21. November 2013 und dem 22. Februar 2014, also bis zum Ende der Janukowitsch-Präsidentschaft. Der ICC-Staatsanwalt hat eine Vorermittlung eingeleitet, um zu prüfen, ob die Eröffnung eines Verfahrens nach Artikel 53 möglich ist.

Russland hat ebenso wenig wie die USA oder die Ukraine das Römische Statut ratifiziert. Gerade erst wurden die Separatisten ebenso wie die ukrainische Regierung von der Menschenrechtsorganisation HRW im letzten Bericht dazu aufgefordert, keine Wohngebiete ungezielt zu beschießen oder in diesen Stellungen zu errichten, womit billigend Zivilisten gefährdet werden. Dies könne ein Kriegsverbrechen sein, Vergehen müssten geahndet werden (Ukraine: Amnesty und HRW kritisieren beide Konfliktparteien). Auch in der Nähe des Gebiets von Mariupol, das von Raketen beschossen wurde, befand sich ein Stützpunkt der Miliz Asow, die die Stadt verteidigt.

Überdies forderte HRW Präsident Poroschenko auf - wenn er, wie angekündigt, Informationen über den Angriff auf Mariupol dem ICC übergeben sollte -, die zeitliche Beschränkung der Erklärung vom April 2014 aufzuheben, um mehr Vorfälle vom ICC untersuchen lassen zu können und dem Römischen Statut beizutreten. "Der Staatsanwalt des ICC sollte nicht aufgefordert werden, nur diejenigen Vorfälle zu betrachten, die von der Regierung herausgepickt wurden", monierte Ole Solvang von HRW.

Wenn die ukrainische Regierung die internationale Justiz ernst nimmt, sollte sie die Rechtsprechung des Gerichts über den ganzen Verlauf des Konflikts suchen, egal ob es die Gegner oder die eigenen Kräfte betrifft.

Dazu sollte der Ukraine auch die EU raten, die USA werden hier sicherlich keinen Wert darauf legen, weil sie den ICC ebenso wie Israel (ICC beginnt "vorbereitende Untersuchung zur Situation in Palästina") nicht anerkennen (US-Regierung zieht Unterschrift unter das Statut von Rom zurück) und während seiner Bildung versucht haben, möglichst viele Staaten von einem Beitritt abzuhalten (USA und Israel boykottieren den Internationalen Gerichtshof). Man hatte und hat berechtigte Angst, wegen der vielen Interventionen vor dem ICC zu landen, da bekanntlich, wie eben jetzt wieder im Hinblick auf die CIA-Folterer und -Verschlepper, kein wirklicher Versuch gemacht wird, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Man droht sogar dem ICC mit militärischer Gewalt, das entsprechende Gesetz wurde 2002 von George W. Bush in Kraft gesetzt (US-Bürger und Alliierte sollen auch mit Gewalt vor dem Zugriff des Internationalen Gerichtshofs geschützt werden).

Die Ukraine bleibt dabei, nicht das Römische Statut zu ratifizieren, sondern will einseitig nur wieder mutmaßliche Kriegsverbrechen der Gegner vom ICC untersuchen lassen. Dieses Mal wird nach dem Rada-Beschluss, die Rechtsprechung des ICC anerkannt, um Vergehen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen hoher Angehöriger der russischen Regierung zu untersuchen. Ein doch sehr durchsichtiger Schachzug, den so kaum jemand ernst nehmen wird, der sich nicht als Konfliktpartei positionieren will.

Untersucht werden soll nicht nur der Vorfall in Mariupol, sondern die "russische Aggression" auf ukrainischem Territorium seit dem 20. Februar 2014. Damit wird zwar die zeitliche Einschränkung aufgehoben, man will aber nicht, dass auch Vorfälle untersucht werden, für die ukrainische Streitkräfte und Mitglieder der ukrainischen Regierung verantwortlich sind.