Handverlesene Professoren

Warum sich bei der Uni-Karriere vor allem die soziale Herkunft lohnt

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"Leistung muss sich wieder lohnen", lautete eine politische Parole in den Wahlkämpfen der 1980er Jahre. Freilich ein bis heute uneingelöstes Versprechen, nimmt man die Ergebnisse verschiedener empirischer Studien zur Kenntnis. Danach lohnt sich vor allem eines: eine bestimmte soziale Herkunft. Zum Beispiel bei den Universitätsprofessuren. Deren Lehrstuhlinhaber rekrutieren sich in Mehrheit aus einem akademischen Elternhaus.

Das ist jedenfalls das Ergebnis einer Studie von Christina Möller von der Universität Paderborn, die jetzt unter dem Titel "Herkunft zählt (fast) immer. Soziale Ungleichheiten unter Universitätsprofessorinnen und -professoren" erschienen ist. Befragt wurden dabei 1.340 Hochschullehrer an den Universitäten in Nordrhein-Westfalen. Rudolf Stumberger sprach mit der Autorin über soziale Aufstiegschancen an der Universität.

Wenn man Professor/in werden will, mit welchem Elternhaus hat man die besten Chancen?

Christina Möller: Wie ich anhand meiner Daten aufzeigen konnte, stammen heute über 60 Prozent der neu berufenen Professorinnen und Professoren aus einem akademischen Elternhaus. Daher sind die Chancen, eine Professur zu erreichen, also umso größer, wenn Sie aus einem Elternhaus kommen, in dem zumindest ein Elternteil bereits eine Hochschule besucht hat. Der Anteil an sozialen Aufsteigern aus niedrigen Sozialschichten, etwa aus Arbeiterschichten, ist in den vergangenen Jahrzehnten zurückgegangen, so dass sich eine soziale Schließung der Universitätsprofessur vollzogen hat.

Sie haben die soziale Herkunft von Professoren/innen untersucht. Wie war die Studie angelegt?

Christina Möller: Ich habe alle Professorinnen und Professoren an den öffentlichen Universitäten in Nordrhein-Westfalen angeschrieben und Ihnen einen Online-Fragebogen zukommen lassen. 1.340 Personen haben teilgenommen, das ist ein gutes Viertel und daher ein guter Querschnitt für dieses Bundesland. Auch der Frauenanteil der Teilnehmerinnen entspricht ihrer realen statistischen Verteilung, ähnlich repräsentativ ist auch die Verteilung nach den Fächergruppen.

Wie kamen Sie auf dieses Thema?

Christina Möller: Mir ist aufgefallen, dass es bei Fragen um Chancengleichheit in der wissenschaftlichen Karriere fast ausschließlich um die Frage nach dem Geschlecht ging, da Frauen ja immer noch deutlich unterrepräsentiert sind. Das ist einerseits verständlich, andererseits bleibt aber die soziale Herkunft dabei völlig im Dunkeln. Das hat mich erstaunt und ich habe mich gefragt, warum das so ist; vor allem auf dem Hintergrund, dass soziale Ungleichheiten in Deutschland wieder zugenommen haben, d.h. der Zugang zu wichtigen Ressourcen wie Bildung und hohen Positionen scheint wieder verstärkt von der Schichtzugehörigkeit abhängig zu sein. Daher hatte ich mir vorgenommen, dies zu untersuchen.

Gibt es einen Unterschied zwischen Geistes-/Sozialwissenschaften und zum Beispiel Jura und Medizin?

Christina Möller: Ja, einen deutlichen Unterschied. Während in den Rechtswissenschaften und in der Medizin kaum soziale Aufsteiger eine Professur bekleiden, sieht das in den Sozialwissenschaften ganz anders aus. Besonders in den erziehungs- und sozialwissenschaftlichen Fächern stammen sehr viel mehr Professorinnen und Professoren aus niedrigen und mittleren Sozialschichten, haben also einen sozialen Aufstieg machen können. Die geisteswissenschaftlichen Fächer liegen eher dazwischen, sozusagen im Mittelfeld der sozialen Hierarchie.

Wie ich ermitteln konnte, hängen Herkunft und Geschlecht eng miteinander zusammen. So erweisen sich die Professuren in den Rechtswissenschaften und auch in der Medizin nicht nur besonders verschlossen gegenüber sozialen Aufsteigern, sondern auch gegenüber Frauen - und das, obwohl unter den Studierenden die Frauen schon längere Zeit ungefähr die Hälfte ausmachen. Daher ergibt sich zwischen Studium und Professur noch eine starke Selektion nach Herkunft und Geschlecht. Insbesondere die Rechtswissenschaften haben eine historisch lange konservative Fachkultur, so dass es Personen aus unteren Sozialschichten und Frauen schwer haben, sich in diesen Fächern an die Spitze zu kämpfen.

Wie zeichnet sich die Juniorprofessur hinsichtlich sozialer Herkunft aus?

Christina Möller: Die Juniorprofessur ist meinen Daten zufolge die weitaus sozial geschlossenste Statusgruppe unter den Professuren - und das, obwohl sie auf sechs Jahre befristet ist und daher eine Zwischenposition zwischen Promotion und Lebenszeitprofessur darstellt. Die Juniorprofessur wurde erst 2002 in NRW eingerichtet und soll langfristig die Habilitation auf dem Weg zur Professur ersetzen.

Soziale Aufsteiger aus niedrigen und mittleren Sozialschichten sind dabei absolute Ausnahmen, es dominieren Nachkommen aus den höchsten Herkunftsgruppen, die akademisch geprägt sind. Ich erkläre mir das damit, dass Personen aus sozioökonomisch privilegierten Elternhäusern eine stärkere Passung zum Bildungs- und Hochschulsystem mitbringen, d.h. sie zeichnen sich durch eine größere Nähe zu den Anforderungen und Gepflogenheiten auf den höheren Bildungs- und Qualifizierungsstufen aus und haben es daher leichter, sich strategisch früh gut zu positionieren und mit frühen Erfolgen auf sich aufmerksam zu machen. Da die Juniorprofessur häufig direkt nach der Promotion besetzt wird, scheint es für den Nachwuchs der akademischen Schichten leichter zu sein, sich schnell einen Namen und daher Anerkennung zu verschaffen.

Und wie sieht es bei der außerplanmäßigen Professur aus, also ohne Verbeamtung und ohne Bezahlung?

Christina Möller: Außerplanmäßige Professorinnen und Professoren sind eine relativ heterogene Gruppe, haben häufig keine sichere Anstellung an der Uni und sind vor allem nicht mit den hohen Professuren, die man früher Lehrstuhlinhaber genannt hat, zu vergleichen. Sie sind hoch qualifiziert, haben aber keine reguläre Professur ergattern können und erhielten aufgrund langjähriger Verdienste in einem langwierigen Anerkennungsverfahren den Professorentitel "apl.". Dieser Titel ist daher nicht mit den Privilegien und Machtbefugnissen anderer Professuren zu vergleichen und dementsprechend ist auch die soziale Zusammensetzung: Eine apl.-Professur haben deutlich mehr soziale Aufsteiger erreicht als die einflussreicheren Professuren.

Haben Sie auch Profs an Privatunis befragt?

Christina Möller: Nein, ich habe mich nur auf die durch das Land NRW geführten Unis gestützt, das sind inklusive der Fernuniversität Hagen 14 Universitäten. Interessant wäre auch ein Vergleich mit den Fachhochschulen, aber das war in einem Dissertationsprojekt nicht realisierbar.

Schon im frühen Bildungssystem geschehen an allen Übergangsstellen soziale Selektionen nach Herkunft

Zusammengefasst: Wie groß ist der Einfluss der sozialen Herkunft bei der Vergabe von Professuren?

Christina Möller: Man kann insgesamt sagen, dass die soziale Herkunft eine große Rolle spielt. Denn es geschehen bereits im frühen Bildungssystem an allen Übergangsstellen soziale Selektionen nach Herkunft. Das heißt, dass je höher die soziale Schicht, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, ein Studium zu beginnen und anschließend eine Promotion zu verfolgen.

Wie erklärt sich das? Es herrscht doch angeblich Chancengleichheit?

Christina Möller: Wir leben zwar in einer meritokratischen Gesellschaft ("Leistungsgesellschaft"), in der das Ideal herrscht, dass jeder mit eigener Anstrengung unabhängig von sozialen Dimensionen wie Herkunft oder Geschlecht hohe Bildungsabschlüsse und hohe gesellschaftliche Positionen erreichen kann. Faktisch aber zeigt sich, dass die soziale Herkunft schon in frühem Alter bestimmte Laufbahnen wahrscheinlich oder unwahrscheinlich macht.

Dies hängt viel mit dem Anregungspotential und den habituellen Prägungen im Elternhaus zusammen und die damit zusammenhängende Nähe oder Distanz zu hoher Bildung, aber auch mit systematischen Diskriminierungen im Bildungssystem. Es gibt genügend empirische Studien, die belegen, dass etwa Arbeiter- und Migrantenkinder bei gleichen Noten sehr viel seltener eine Gymnasialempfehlung erhalten als Kinder aus einem sozioökonomisch privilegierteren Elternhaus. Soziale Selektionen ziehen sich praktisch durch alle Übergangsstellen einschließlich beim Übergang zur Promotion, die die weitaus selektivste Bildungsstufe ist.

Wie sieht es diesbezüglich in Ihrer Profession, der Soziologie, aus?

Christina Möller: Ich habe nicht alle Fächer untersucht, sondern mich ausschließlich auf die Zugehörigkeit nach Fächergruppe bezogen. Allgemein gehören erziehungs- und sozialwissenschaftliche Disziplinen ja - wie bereits geschildert - zu den sozial offeneren. Studien über die Rekrutierung in der Soziologie haben sich bisher nicht mit der sozialen Herkunft beschäftigt, daher liegen keine differenzierten und verlässlichen Daten über den Einfluss der sozialen Herkunft vor. Insgesamt aber dürfte sie zu den sozial offeneren Fächern gehören.

Wird der Tatsache der sozialen Auslese im universitären Betrieb irgendwie Rechnung getragen, ist man sich dessen bewusst?

Christina Möller: Nein, bisher fokussiert sich alles auf die Geschlechterthematik, zumindest auf der Ebene der wissenschaftlichen Karrieren. Institutionell gesehen gibt es zwar Bestrebungen, die die Vielfalt an Universitäten stärker in den Blick nehmen, jedoch bleiben diese Perspektiven häufig auf die Studierenden beschränkt und auf das wichtige Thema der Migration. Ich hoffe, dass das Thema der Chancengleichheit in wissenschaftlichen Karrieren bald auch die soziale Herkunft und dem Aspekt von Migrationshintergründen einbezieht. Denn die soziale Herkunft ist ein geschlechterübergreifendes Thema und auch hinsichtlich anderer sozialer Dimensionen wie Migrationshintergrund oder Behinderungen immer miteinzubeziehen, da die soziale Herkunft ja etwas über die Ressourcen, die eine Person hat, aussagt.

Wie groß sind Ihre Chancen, Soziologieprofessorin zu werden?

Christina Möller: Wenn ich tatsächlich vorhätte, Soziologieprofessorin zu werden, gibt es einige Gründe, die Chancen eher schlecht einzuschätzen. Das liegt vor allem daran, dass ich als Aufsteigerin früh mehrere Berufe in der Verwaltung erlernt und ausgeführt habe und daher lange wissenschaftsfern tätig war. Erst mit 30 Jahren habe ich angefangen zu studieren, bin daher erst spät mit den Anforderungen höherer Bildung vertraut geworden und habe auch sehr viel später als der Durchschnitt promoviert. Das Alter spielt daher eine Rolle.

In heutigen erfolgreichen Wissenschaftsbiografien gehören zudem häufig Arbeits- und Qualifizierungszeiten im Ausland dazu und auch insgesamt eine hohe Mobilität, das heißt durch die Tätigkeit und Qualifizierung an unterschiedlichen Hochschulen. Letzteres kann ich zwar auch aufweisen, internationale Erfahrungen aber habe ich nicht. Insgesamt herrscht durch die äußerst geringe Zahl an Professuren und den vielen qualifizierten Anwärtern eine hohe Konkurrenz - die Chancen schätze ich daher gering ein.