Ukraine: Die Kriegstreiber scheinen stärker zu sein

Es wird weiter gekämpft, um die Positionen zu sichern, nach Umfragen wollen auch Ostukrainer nicht den Anschluss an Russland, mehr als 80 Prozent der Krimbewohner sind aber damit einverstanden

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Die Aussichten für die von Merkel und Hollande gestartete Verhandlungsinitiative zur Lösung des Kriegs in der Ostukraine sind nicht gut. Auch wenn die Separatisten schon einmal angekündigt haben, sowohl Mariupol zu erobern, als auch wieder Kramatorsk und Slawjansk einzunehmen, haben die bislang erzielten Geländegewinne wohl vorrangig den Zweck, die Frontlinie zu begradigen und die Distanz zu den Städten Lugansk und Donezk zu vergrößern, so dass sie von Raketenwerfern nicht mehr zu erreichen sind, wenn der im Minsker Abkommen geregelte Waffenstillstand und der Rückzug der schweren Waffen umgesetzt würden. Kaum vorstellbar, dass die Separatisten die Frontlinie vom September anerkennen werden. Für einen Waffenstillstand, der vor allem das Leben von Zivilisten schont, wäre dies "realpolitisch" auch vernünftig. Klar wurde aber auch in München auf der Sicherheitskonferenz, dass Russland und die meisten Vertreter der Nato-Staaten den Konflikt in der Ukraine höchst unterschiedlich sehen. Weder von den offiziellen Vertretern des Westens noch von Russland gibt es wirkliche Versuche der Annäherung oder ideologischen Abrüstung.

Trotz der Friedensinitiative gehen die Kämpfe weiter. Bild: http://novorossia.today

Kiew wird sich schwertun, ein weiteres territoriales Zugeständnis an die Rebellen zu machen, obgleich dies mit hoher Wahrscheinlichkeit verhandelt wird. Innenpolitisch würde dies die Position von Poroschenko gegenüber den Nationalisten und Falken weiter schwächen und er für sie als Verräter gebrandmarkt werden, zumal wenn er nicht vom Westen die Waffenlieferungen erhält, um die er bittet. Das wollen freilich Hollande und Merkel gerade verhindern, weil damit zwar vielleicht die Verteidigungskraft der Ukraine verstärkt würde, aber die Nato direkt in den Konflikt hineingezogen würde, wobei es dann offen um einen Stellvertreterkrieg ginge, der zu einem größeren Krieg werden könnte, wovor die deutsche und die französische Regierung warnen. Poroschenko hat sich jedenfalls schon mal stark gemacht und ein strikten Einhalten des Minsker Abkommens vom September verlangt.

Merkel und Hollande wollen mit ihrer Initiative auch verhindern, dass die EU sich spaltet, deren Einheit seit dem Ausbruch des Konflikts mühsam unter dem Druck der USA und im Sinne der Eskalation aufrechterhalten wurde. Aus dem US-Kongress wächst der Druck, was auch auf der Sicherheitskonferenz etwa durch die Kritik von John McCain und Lindsey Graham an Merkel deutlich wurde, dass der Ukraine Waffen geliefert werden. Noch zögert die US-Regierung, da sie weiß, dass dies die bislang für sie günstige neue transatlantische Einheit zerbröseln könnte. Es ist etwas anderes, in den Irak Waffen zu liefern als in ein europäisches Land mit dem Risiko, in einen Krieg mit Russland hineinzuschlittern.

Für die Separatisten ist entscheidend, das Überleben ihrer "Volksrepubliken" und die Macht ihrer Führung zu sichern, was auch durch eine weitgehende Autonomie innerhalb der Ukraine geschehen könnte. Im Minsker Abkommen war dafür eine Übergangszeit und eine Amnestie vorgesehen. Russland dringt darauf, dass die Separatisten die Verhandlungspartner für Kiew sein müssen. Das will man in der Ukraine nicht, da dort vermieden wird, von unterschiedlichen politischen Interessen von Bevölkerungsgruppen zu sprechen, und die Menschen in den "Volksrepubliken" als "Terroristen" bezeichnet werden, mit denen man natürlich nicht verhandeln kann. Fatal war der Schritt, die Aufständischen in der Ostukraine militärisch in einer "Antiterroroperation" zu bekämpfen, das war wie ein Brandbeschleuniger für den Konflikt, der auch mit einer militärischen Einnahme nicht enden, sondern, wie schon jetzt beginnend, in Terroranschläge und entsprechende repressive Maßnahmen münden würde. Es wäre dringend notwendig, dass Kiew hier seine Position verändert. Aber in der Ukraine wurden aufgrund der Schwäche der Streitkräfte die Nationalgarde und die Milizen immer stärker. Sie leisten einen Großteil der Kämpfe und sind bereits zu einem Staat im Staat geworden, zumal sie auch im Dienste ihrer Geldgeber agieren.

Der ukrainische Präsident Poroschenko beim Versuch, den Krieg in der Ostukraine als Konflikt zwischen der Ukraine und Russland darzustellen. Bild: Screenshot des BR-Videos

Für die Ukraine dürfte am wichtigsten sein, dass neben dem Waffenstillstand die Grenze zu Russland abgedichtet wird, so dass weder Kämpfer noch Waffen und Kriegsmaterial in die "Volksrepubliken" gelangen können. Ein Kompromiss, der zwischen der Ukraine und Russland ausgehandelt werden könnte, könnte darin bestehen, eine neue Demarkationslinie zugunsten der Separatisten festzulegen, wenn Russland dafür die Grenze schließt und diese von der OSZE überwachen lässt. Ob man sich darauf einigen kann, dass die Ukraine sich nicht der Nato irgendwann anschließt, wie gemunkelt wird, ist eher fraglich. Und ob die Separatisten bei aller Hilfe, die sie aus Russland erhalten, bei einem Deal mitspielen, ist ebenso ungewiss wie die Reaktionen der Nationalisten und Milizen in der Ukraine.

Derweil intensivieren sich die Kämpfe, um die Positionen zu sichern oder zu verteidigen. Im besonders umkämpfen Debaltseve, das bald ganz in die Hände der Separatisten fallen könnte, beschuldigt jede Konfliktpartei die andere, die Evakuierung der Zivilisten zu behindern. Beide Seiten führen den Propagandakrieg, die Bevölkerung, die zwischen die Fronten gerät oder in diesen lebt, wird zum strategischen Einsatz und zum Ziel von Angriffen, weil sich die Kämpfer beider Seiten eben auch in Wohngebieten festsetzen.

Kein Bedürfnis nach Anschluss an Russland

Interessant ist jenseits des ideologischen und nationalistischen Grabenkampfs das Ergebnis einer aktuellen Umfrage in der Ukraine und in Russland, die zeigt, dass die politische Führung und extreme Gruppen stärker zur Eskalierung beitragen als die breite Bevölkerung. Zwar ist nach der Umfrage, die gemeinsam vom Kyiv International Institute of Sociology (KIIS) und vom russischen nichtstaatlichen Levada-Institut im Dezember und Januar durchgeführt wurde, die wechselseitige Skepsis gestiegen. Erstaunlicherweise sehen die Ukrainer aber Russland positiver als die Russen die Ukrainer.

Im September 2014 sprachen sich noch 48 Prozent der befragten Ukrainer gegenüber Russland positiv aus, im Dezember waren es nur noch 38 Prozent. Umgekehrt waren im September bereits nur 32 Prozent positiv gegenüber der Ukraine eingestellt, im Dezember waren es nur noch 24 Prozent. Auch wenn statt 45 nun 50 Prozent der Ukrainer verlangen, die Grenze zu schließen, so hätte man sich gerade hier höhere Zahlen erwartet. Auch bei den Russen ist die Zahl der Befürworter der Grenzschließung von 26 auf 32 Prozent gewachsen. Die Gründe dürften allerdings höchst unterschiedlich sein. Die Ukrainer fürchten wohl die Unterstützung der Separatisten, die Russen haben entweder Angst vor der Eskalation und/oder vor weiteren Flüchtlingen aus der Ukraine.

Klar ist jedoch, dass weder Russen noch Ukrainer wieder in einem gemeinsamen Staat wie zu Zeiten der Sowjetunion leben wollen, auch wenn das noch 3 Prozent der Ukrainer, meist aus der Ostukraine (7 Prozent), und 7 Prozent der Russen sagen. Das heißt natürlich auch, dass es zwar eine Ablehnung der Regierung in Kiew in der Ostukraine gibt, aber wohl keinen Wunsch, sich Russland anzuschließen, wie das wohl doch größere Bevölkerungsschichten auf der Krim wollten.

Nach einer angeblich repräsentativen Umfrage von Gfk Ukraine auf der Krim im Januar scheint sich der Großteil der Bevölkerung nicht zwangsannektiert zu fühlen. 82 Prozent sind für die Eingliederung in die Russische Föderation, auch wenn 55 Prozent von diesen sagen, dass der Beitritt nicht ganz legitim gewesen sei und nach dem Völkerrecht durchgeführt werden sollte. 11 Prozent eher nicht, nur 4 Prozent sind dagegen. 80 Prozent trauen den ukrainischen Medienberichten nicht. Meist wird russisches Fernsehen gesehen, aber das Vertrauen ist auch nicht groß, Internetinformationen genießen größeres Vertrauen. Die Hälfte sagt, ihre wirtschaftliche Situation habe sich verbessert. Beunruhigt sind sie durch den Konflikt in der Ostukraine, die Inflation und die Verkehrsanbindung.

Gut möglich, dass die Menschen Angst haben, ihre wirkliche Meinung zu sagen, aber nicht alle der 82 Prozent, die die Annexion oder Eingliederung befürworten, werden aus Angst so geantwortet haben. Das ließe die Frage entstehen, ob der Konflikt um die Krim auch mit einer wirklichen und unabhängig kontrollierten Volksbefragung entschieden werden könnte. Würden das die EU und die USA wollen? Die Selbstbestimmung der Bevölkerung? Wenn man der Meinung ist, dass die Annexion unter Zwang erfolgt ist, dann wäre dies eine Option, die man versuchen könnte, gegenüber Moskau und Kiew durchzusetzen.