Der fast sichere Tod für Schrödingers Katze

Illustration: Wikimedia/CC BY-SA 3.0

Das Gedankenexperiment, bei dem das Überleben einer Katze letztlich vom Beobachten ihres Zustands abhängig ist, lässt sich in der Praxis verschärfen - zuungunsten der Katze

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Als Erwin Schrödinger die nach ihm benannte Grundgleichung der Quantenphysik formulierte, war er selbst nicht sicher, was da eigentlich gerade entstand. Das Problem, das der Physiker sah, bestand im Einfluss der Messung auf das Ergebnis. Wie kann es sein, dass ein solch subjektives Element wie ein Beobachter die Wirklichkeit definiert? Denn ein Detektor misst das Elektron an einem ganz bestimmten Platz - und nicht über die verschiedenen Orte seiner Wellenfunktion verteilt.

Hier vermutete Schrödinger ein fehlendes Element, eine versteckte Variable, die er mit einem berühmt gewordenen Gedankenexperiment aufzeigen wollte: Man stelle sich eine Katze in einer verschlossenen, nicht einsehbaren Kiste vor. Ebenfalls in der Kiste befindet sich eine Mord-Apparatur, die vom Zerfall eines radioaktiven Atoms gesteuert wird. Dieser Vorgang läuft komplett zufällig ab. Man kann zwar sagen, wie viele von 1000 Atomen binnen einer Stunde zerfallen werden. Doch es ist unmöglich, die restliche Lebenszeit für ein einzelnes Atom zu bestimmen. In welchem Zustand befindet sich die Katze?

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Aus Sicht der Quantentheorie könnte die Antwort lauten: In einer Überlagerung aus den beiden Zuständen "tot" und "lebendig". Die Wellenfunktion der Katze hätte zwei Maxima - jeweils eines bei jedem der Extremwerte, wäre aber auch irgendwo dazwischen nicht Null. Diese Superposition der beiden Zustände verschwindet, wenn ein Beobachter die Kiste öffnet: Abhängig vom Zustand des Atoms in der Mordmaschine geht die Katze entweder in einen dauerhaft liegenden Zustand über oder springt den Gedankenexperimentator wütend an.

Was das für unser Verständnis von der Wirklichkeit bedeutet, darüber waren sich die Quantenphysiker lange uneins. Die Kopenhagener Deutung etwa, 1927 von Niels Bohr und Werner Heisenberg in Kopenhagen formuliert, geht davon aus, dass die Wellenfunktion zum Zeitpunkt der Messung kollabiert - sie nimmt einen der möglichen Messwerte an. In ihrer extremsten Deutung wird die Katze also nicht durch das vom Kernzerfall aktivierte Giftgas getötet, sondern durch den Menschen, der die Kiste öffnet.

Verbesserte Vorhersagen

Schrödinger selbst konnte seine Ideen nicht in der Praxis testen - das ist den heutigen Physikern vorbehalten. Die zeigen in einem Artikel in den Physical Review Letters nun, dass sich die Vorhersagen über den Zustand der Katze noch bedeutend verbessern lassen. Es ist wohl ein seltsamer Zufall, dass als Lead-Autor des Papers ausgerechnet Kater Murch (der Name ist keine Erfindung, siehe hier) von der Washington University in St. Louis verantwortlich zeichnet.

Als Testobjekt nutzten die Physiker einen supraleitenden Stromkreis, den sie einer zeitlichen Entwicklung aussetzten. Sprich: sie starteten einen Vorgang, der mit 50:50-Wahrscheinlichkeit entweder so (Katze tot) oder anders ausgeht. Jedenfalls galt diese Wahrscheinlichkeitsverteilung, wenn sie den Zustand des Systems zu einem bestimmten Zeitpunkt t gemessen hatten. Bei dieser Messung handelte es sich um eine so genannte starke Messung, das Äquivalent zum Öffnen der Kiste - danach war der Zustand des Systems auf einen Wert festgelegt. Allerdings nutzten die Forscher nun einen Trick.

90-prozentige Sicherheit

Sie hielten das Ergebnis der Messung zwar fest, sahen es sich aber nicht an. Da die Messung ausgeführt worden war, musste der Zustand des Systems trotzdem festgelegt worden sein. Die Katze war entweder tot oder lebendig. Danach aber untersuchten die Physiker das System mit schwachen Messungen, die den Quantenzustand nicht beeinflussen. Aus dem Verlauf dieser Messungen gelang es ihnen nun, durch Zurückrechnen den Zustand des Systems zum Zeitpunkt t mit 90-prozentiger Sicherheit vorherzusagen - und damit weitaus genauer als im klassischen Gedankenexperiment zu erwarten. Dasselbe Vorgehen, also schwache Messungen vor der starken Messung, brachte diese Ergebnisse nicht.

Spannend ist daran, wie sich das Experiment interpretieren lässt: Im Quantenregime geht dem Fluss der Zeit anscheinend sein Richtungssinn verloren, meinen die Forscher. Die Zeit wird symmetrisch - so lässt sich jedenfalls die Tatsache interpretieren, dass sich die Vorhersagen über eine bereits geschehene Messung nachträglich noch verbessern lassen. Ob dadurch auch die Reihenfolge von Ursache und Wirkung vertauscht wird, wollen die Forscher nun in zusätzlichen Experimenten testen.

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