Aus den Erfahrungen von Hamburg gelernt?

Die bayerische Staatsregierung will in München keinen neuen Konzertsaal bauen, sondern einen alten entkernen - nun tobt die Kulturlobby

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In Hamburg, wo am Sonntag gewählt wird, baut man seit 2007 an einer Elbphilharmonie, deren veranschlagte Kosten für den Steuerzahler nach und nach von 77 auf (vorerst) 789 Millionen Euro stiegen. Millionen- und Milliardengräber mit ähnlichen Kostensteigerungsraten gibt es auch in zahlreichen anderen deutschen Städten. Sie treten vor allem dann auf, wenn es um Bauten geht, mit denen sich Architekten selbst verwirklichen wollen.

In München drängt die Kulturlobby seit Jahren auf den Bau eines neuen Prestige-Konzertsaals. Seit sich Pläne für den Bau einer Art zweiten Elbphilharmonie auf einer Isarinsel zerschlugen, konzentrieren sich ihre Wünsche auf den natur- und denkmalgeschützten Finanzgarten in der Nähe des Odeonsplatzes. Der Konzertsaalbau dort soll 300 Millionen Euro kosten. Die architektonisch gewagten Illustrationen, die dazu kursierten, lassen Skeptiker allerdings ähnliche Steigerungsmöglichkeiten wie in Hamburg befürchten.

Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer und der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter einigten sich letzte Woche darauf, diese Selbstverwirklichungsmöglichkeit auf Steuerzahlerkosten nicht auszuschreiben. Um eine "endlose Debatte" (die für den Steuerzahler die günstigste Option gewesen wäre) zu vermeiden, soll stattdessen die erst 30 Jahre alte Philharmonie im Münchner Gasteig entkernt und mit einem neuen Inneren versehen werden. Was das kosten wird, ist noch offen.

Die Philharmonie im Gasteig. Foto: Andreas Praefcke. Lizenz: CC BY-SA 3.0.

Seit dem Bekanntwerden dieser Pläne lässt sich in deutschen Medien gut beobachten, wie eng die Vernetzung zwischen Eliten sein kann - Feuilleton und Fernsehen verdammen die Entscheidung nämlich einhellig und mit ähnlich schwammigen Weltgeltungs-Argumenten, mit denen ihre Vorgänger im 19. Jahrhundert deutsche Kolonien forderten. Besonders auffällig ist das im Bayerischen Rundfunk, der hoffte, sein teures Rundfunkgebührenorchester in einem neuen Konzertsaal im Finanzgarten besser unterzubringen als im Gasteig, wo es sich den Saal mit den (ebenfalls sehr teuren) Münchner Philharmoniker teilen muss. Dieses Platzproblem ließe sich allerdings auch damit lösen, dass man den Steuer- und Gebührenzahlern eines der Orchester erspart.

Inzwischen gibt es eine Petition für den Bau eines neuen Konzertsaals im Finanzgarten - mit gut 20.000 "Unterzeichner/innen". Der Freistaat Bayern hat allerdings 12,6 Millionen Einwohner. Ob die der gleichen Meinung sind wie die Zwanzigtausend, die zu einem beträchtlichen Teil in der Kulturindustrie beschäftigt sind, ist unter anderem deshalb fraglich, weil die Zahl der regelmäßigen Konzertsaalnutzer mit etwa 16.000 noch niedriger ist als die Zahl der Petenten. Es wäre deshalb interessant, mit dem neuen Instrument der Volksbefragung herauszufinden, wie die Mehrheit der Bayern über einen neuen Konzertsaal denkt, bei dem (im für den Steuerzahler günstigsten Fall) jeder einzelne Sitzplatz mit 100.000 Euro subventioniert wird. Hinzu kommen - je nach Karte - noch einmal dreistellige Beträge pro Konzerttermin.

Doch selbst dann, wenn Bayern einen neuen Konzertsaal baut, wird das Land Mühe haben, in Sachen öffentlicher Verschwendungssucht mit Berlin mitzuhalten: Die mit 60 Milliarden Euro verschuldete Hauptstadt will nämlich trotz des abschreckenden Beispiels von Athen und anderen Veranstaltungsorten für mindestens 2,4 Milliarden Euro olympische Spiele austragen. Der Ökonom Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) kritisierte diese Pläne in einem ausgesprochen lesenswerten Beitrag im gestrigen Tagesspiegel als volkswirtschaftlich und finanzpolitisch unsinniges "chronisches Berliner Imponiergehabe", das ohne einen "breiten, zivilgesellschaftlichen Dialog" zustande kam. Stattdessen darf der mit öffentlicher Olympiawerbung überschüttete Steuerzahler "für seine eigene, informationslose Beeinflussung" zahlen.

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