Ärzte der Welt legen Patenteinspruch gegen Mondpreis-Medikament ein

Behandlung aller Hepatitis-C-Infizierten mit Sovaldi würde 30.000.000.000.000 Euro kosten

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Im letzten Jahr brachte die durch das Vogelgrippemedikament Tamiflu bekannte Firma Gilead (deren Aufsichtsrat in den 1990er Jahren der amerikanische Ex-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld vorsaß) das Hepatitis-C-Medikament Sovaldi auf den europäischen Markt. Das erregte nicht nur deshalb Aufsehen, weil es bessere Heilungschancen und weniger Nebenwirkungen versprach als seine Alternativen, sondern auch wegen seines Preises: Für eine einzige Tablette verlangt Gilead 700 Euro, wodurch Krankenkassen die Therapie eines einzigen Patienten ohne weiteres 200.000 Euro kosten kann. Multipliziert man das mit den (nach Angaben der WHO) weltweit bis zu 150 Millionen mit Hepatitis C infizierten Menschen, dann kommt man auf 30.000.000.000.000 Euro.

Gilead kann für Sovaldi diesen Mondpreis verlangen, weil das Europäischen Patentamt der Firma ein (ohne Evergreening) zwanzigjähriges Monopol auf das Medikament genehmigt hat. In Indien wurde der Patentantrag für Sovaldi dagegen abgelehnt, weil man den Wirkstoff Sofosbuvir im Vergleich zu vorher bekannten Molekülen als nicht neu genug ansieht. Deshalb können dort auch Wettbewerber das Medikament anbieten und dafür sorgen, dass Angebot und Nachfrage den Preis regeln.

Strukturformel von Sofosbuvir. Grafik: Yikrazuul. Lizenz: Public Domain.

Die Organisation Ärzte der Welt hält die Entscheidung des Bombayer Patentamts für vernünftiger als die aus München und hat deshalb Einspruch gegen die Monopolrechtsgewährung in Europa eingelegt - ein nach Angaben der NGO im medizinischen Bereich in Europa bislang einmaliger Schritt, der in der Vergangenheit nur in Schwellenländern und in den USA unternommen wurde.

Im Europäischen Patentamts will man den Einspruch nun von einem Expertengremium prüfen lassen. Außerdem soll es eine öffentliche Anhörung geben. Hat der Einspruch Erfolg, würde das die deutschen Krankenkassen (und die bei ihnen Versicherten) um Milliarden entlasten. Eine genaue Summe lässt sich unter anderem deshalb nicht errechnen, weil die Rabattverträge, die einzelne Kassen mit Gilead schlossen, Geheimhaltungsklauseln beinhalten.

Darauf, dass man in Indien bei der Überprüfung von Patenten etwas gründlicher vorgeht als in Europa und den USA, deuten auch unlängst getroffene Entscheidungen zu den Arzneimitteln Imatinib, Sutent, Pegasys und Nexavar hin. Diese Praxis nützt der indischen Generikaindustrie, deren Umsatz Link auf http://www.heise.de/tp/blogs/8/152737 zufolge bis 2020 auf 58 Milliarden Euro steigen könnte. Diese positive Prognose hängt auch damit zusammen, dass Generika für Indien inzwischen ein wichtiges Exportgut sind, mit dem Entwicklungs- und andere Schwellenländern zu einem Bruchteil der Preise beliefert werden können, die amerikanische und europäische Unternehmen für Medikamente verlangen.

Außerdem erlaubt Abschnitt 84 Absatz 1 des indischen Patentgesetzes drei Jahre nach Erteilung eines Patents eine Zwangslizenzierung, wenn ein Produkt nicht zu einem "vernünftigen Preis" erhältlich ist. Das indische Patentamt brachte diese Ausnahmeregelung erstmals 2012 zur Anwendung, als es feststellte, dass diese Voraussetzung für das Nieren- und Leberkrebsmedikament Sorafenib zutrifft.

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