Schier unlösbares Machtspiel in der Ukraine

Die Separatisten und Kiew schrauben die Forderungen für einen Waffenstillstand nach oben, während weiter gekämpft und gestorben wird

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Zwar wird an weiten Teilen der Frontlinie zwischen den Separatisten und ukrainischen Streitkräften und Milizen die Waffenruhe weitgehend eingehalten, aber wie es zu erwarten war, kämpfen beide Seiten weiter unerbittlich um die Stadt Debaltseve und werfen sich im altbekannten Modus gegenseitig die Verletzung des Waffenstillstands vor. Heute will die OSZE-Beobachtermission Debaltseve besuchen.

Der ukrainische Regierungschef fordert Reparationszahlungen von Russland. Bild: kmu.gov.ua

Für die Separatisten bedeutet die Kontrolle der Stadt auch die der in ihr Gebiet hineinreichende Tasche und würde eine Frontbegradigung darstellen, für die ukrainischen Truppen ist es ein Keil in die "Volksrepublik" Donezk, der die Verbindung zwischen Lugansk und Donezk behindert und weiterhin Raketenbeschuss auf Donezk ermöglicht. Bevor der Kampf um dieses Gebiet nicht geklärt ist, wird es wohl keinen Waffenstillstand geben und damit auch keinen Rückzug der schweren Waffen.

so sieht die Lage aus der Sicht von Kiew aus.

Die ukrainischen Streitkräfte bestreiten, dass Soldaten bei Debaltseve in einem Kessel eingeschlossen seien. Es gebe keinen Kessel, nur Terroristen, die angreifen. Allerdings wird auch von ukrainischer Seite berichtet, dass der Kessel fast geschlossen sei. Der letzte Zufahrtsweg sei bereits zu unsicher. Wenn die Armee keinen großen Einsatz durchführe, sei der Kessel geschlossen, in dem dann Tausende von ukrainischen Soldaten festsitzen. Die Separatisten behaupten hingegen, der Kessel sei geschlossen. Die Soldaten dürften abziehen, aber sie müssten Waffen und schweres Gerät zurücklassen.

so sehen die Separatisten die Lage.

Während das Sterben um die Entscheidung über die Frontlinie weitergeht, spielen die beiden Parteien das übliche Spiel. Die Separatisten versichern, sie würden ihre schweren Waffen wie vorgesehen zurückziehen, wenn die ukrainischen Streitkräfte damit beginnen. Die lehnen dies wiederum ab, so lange noch Kämpfe stattfinden. "Unilateral" könne dies nicht geschehen, sagte der ukrainische Außenminister Klimkin. Sowohl die Separatisten als auch Kiew sagen, Debaltseve gehöre ihnen. Schon während der Verhandlungen in Minsk sollen die Separatisten unter der Drohung, ihr Einverständnis nicht zu geben, darauf gedrungen haben, dass Debaltseve unter ihre Kontrolle gehört.

Unter diesen Bedingungen scheint eine "Lösung" nur militärisch erzielt werden zu können, was wiederum den ganzen Prozess in Frage stellt und zu einem Wiederaufflammen der Kämpfe auch an anderen Stellen führen könnte. Die Kontaktgruppe wird heute angeblich eine Videokonferenz ausführen. Schwer vorstellbar, dass sich hier eine Einigung erzielen lässt, wenn nicht gleichzeitig Druck auf Kiew und auf die Separatisten ausgeübt wird. Dass Moskau sonderlich willens ist, den Druck auf die Separatisten zu erhöhen, sollte man wohl nicht erwarten, da die EU gerade weitere Sanktionen verhängt hat. Sehr schön spricht Bundeskanzlerin Merkel von einer "fragilen Lage".

Die Separatisten treten nun auch mit der Forderung auf, dass die Blockfreiheit der Ukraine eine maßgebliche Bedingung sei. Allerdings versicherte der stellvertretende Milizchef Basurin, die Separatisten würden heute mit dem Rückzug schwerer Waffen beginnen, allerdings nur in bestimmten Gebieten, in denen Waffenruhe herrscht. Die Separatisten werfen Kiew vor, dass mehrere Milizen wie Asov, Aidar oder Donbass nicht unter der Kontrolle der Armee stehen. Sie würden wahllos Orte in der "Volksrepublik" Donezk mit Artillerie beschießen.

Auf der anderen Seite wird in Kiew die Angst vor einer Veränderung des zentralistischen Staats in einen Bundesstaat geschürt, als ob dies des Teufels wäre. Der Sprecher der Rada, Volodymyr Hroisman, hat wieder einmal wie schon andere Regierungsvertreter erklärt, dass es zwar nach dem Minsker Abkommens eine Dezentralisierung des Staats geben werde, aber bloß keinen Bundesstaat. Das wird offenbar mit dem Verlust an territorialer Integrität verbunden, als wären die USA oder Deutschland kein souveräner und unteilbarer Staat. Hier herrscht hohe Irrationalität.

Hroisman erklärt zwar, dass man lokale Wahlen durchführen wolle, aber er legt die Hürden so hoch, dass auch hier kaum eine Einigung erzielt werden kann. Die jetzigen Führer der "Volksrepubliken" sollen nämlich nicht an den Wahlen teilnehmen können, eine Amnestie will er auch ausschließen: "Gangster, Banditenführer etc. können nicht gewählt werden. Sie sind Kriminelle, die betraft werden müssen, und es gibt hier keine Zurückhaltung. Amnestie kommt hier nicht in Betracht." Regierungschef Jazenjuk beharrt weiter darauf, dass Russland für den Wiederaufbau des Donbass zahlen müsse, als ob die von Kiew ausgerufene "Antiterroroperation" völlig unschuldig an den großen Zerstörungen ist. Jazenjuk will das von Präsident Poroschenko verhandelte Minsker Abkommen von russischen Reparationsleistungen abhängig machen. Und Jazenjuk forderte gestern auch wieder einmal, dass der Westen die Ukraine mit Waffen unterstützen müsse. So wird das wohl nichts und bleibt der Kr ieg alternativenlos.